Moderne Romantik.
51
umarmen, zog sie dann rasch auf seine Brust zurück und preßte
die flachen Hände heftig auf das Herz, indem seine Augen
den Ausdruck der heftigsten Sehnsucht annahmen. Unser Held
fühlte sich in der That leicht, groß und frei, wie ein Vogel
in der Luft, er hätte sich gehen lassen und so in den Aether
Hineinstürzen mögen. Aber jedem Unbefangenen mußte diese
Position höchst gefährlich erscheinen. Plötzlich fühlte sich
Wolf von innen fest an den in der Luft schwebenden Füßen
gefaßt und in die Stube zurückgezogen. Dieses unwillkühr-
liche Rückschrittsmanövre brachte ihn schnell zur Besinnung;
als er wieder eine feste breite Basis unter seinen Füßen
fühlte, drehte er sich im höchsten Unwillen um. Er sah den
Kellner hinter sich, der offenbar die menschenfreundliche Ab-
sicht gehabt hatte, ihn von seiner halsbrecherischen gymnastisch-
zärtlichen Uebung zurückzubringen.
Wir können uns nicht darauf einlassen, den Leser die
Stufenleiter der Sehnsuchtsfolter ganz durchzuführen, auf die
unser Held am heutigen Tage gespannt war; er fühlte einen
so riesenhaften Unmuth, eine so herkulische Ungeduld in sich,
daß er die Sonnenscheibe hätte erfassen und um einige
Stunden früher in den westlichen Ocean hinabzwingen mögen;
er fühlte die Kraft eines himmelstürmenden Titanen in sich,
eine innere Ueberfülle, eine überschwängliche Lebenswärme.
— Er hatte höchst sorgfältige Toilette gemacht, schneeweiße
Wäsche und buttergelbe Handschuhe angethan; die Vatermörder,
die Cravatte, die Manschetten saßen untadelhaft. Ein mustern-
der Blick in dem Spiegel, der mit Zufriedenheit über das
Bild seiner Figur glitt, noch ein schüchterner Blick nach dem
im Abendroth erglühenden Thurme und den leuchtenden
Fenstern, und dann hinab!
Eine Anrede im Gedächtniß einstudirend und die mög-
liche Form eines Dialoges mit der romantischen Dame über-
denkend, wanderte Wolf im grauen Zwielicht an dem Flusse
auf und ab. — Wie in Blut getaucht lag der westliche
Horizont hinter der Burg auf den Bergen; die dunkeln
Gipfel des Waldes schwammen wie starre Leichname in diesem
Gluthmeere. Die Luft schien von ihrer eigenen Schwere zu
zittern; eine schwarze Wolke lag in grausig phantastischen
Formen über den Bergen ausgebreitet; die Schwüle war
drückend und man vernahm in abgebrochenen Pausen das
ferne dumpfe Grollen des Donners. Es war als bereiteten
sich die Elemente zu einem großen Schlage vor; ihre gegen-
wärtige Todtenstille schien der Ansatz zu einem Tigersprunge
zu sein, daher war es sehr unheimlich. Die Mücken um-
schwärmten dichter und blutgieriger als sonst unfern Wanderer;
er hatte an diesen kleinen Blutsaugern genug zu wehren,
und vergaß Anrede und Dialog darüber. Er fühlte eine
namenlose Angst und Bangigkeit; er wünschte, daß es Tag
sei. Doch die brennende Sehnsucht, das geliebte Wesen von
Angesicht zu Angesicht zu sehen, stählte seine Kraft und
spannte seine Sehnen.
Endlich landete der Schiffer versprochenermaßen, nachdem
er das kleine Liebesconcert ausgeführt hatte. „Kommen Sie",
ermunterte er unfern Freund, „wir wollen unser Heil ver-
suchen." Schweigend schritt er auf dem schmalen gewundenen
Pfade den Schloßberg hinauf, schweigend folgte Wolf. —
So waren sie auf dem Gipfel angekommen; dem Rechts-
candidaten fröstelte trotz der Schwüle. Der Schiffer zog
an einem verborgenen Klingelzug; die Thüre der äußern
Mauer knarrte und schloß sich wieder hinter den Einge-
tretenen. Alles war dunkel auf dem Burghofe; nur hier
und da schinimerte ein grauer Steinblock und ein Haufe
herabgefallenen Mörtels in dem Lichtstreifen, der aus einem
Fenster im Thurme herab fiel. — Ueber einige Treppen
hinweg gelangten sie zum Eingänge in den runden Thurm,
der die schöne Burgbewohnerin und deren Gemach barg.
Eine dunkle Wendeltreppe führte sic in das dritte Stock-
werk des Thurmes. Bor einer eichenen Thüre, die in einen
spärlich erleuchteten Vorsaal führte, hielt der Schiffer an und
sagte zu seinem Begleiter: „Seines so gefällig und warten
Sie hier eine Minute, bis ich wieder herauskomme und Ihnen
Nachricht bringe, ob die Dame Sie vorlasscn will." Er
schloß die Thür und ließ Wolf allein in der Finsterniß. —
Das Picken einer Wanduhr drang aus den innern Gemächern
an sein Ohr, eine Grille zirpte ihre einförmige Weise da-
zwischen. Kälte rieselte über seinen Rücken und schüttelte
seine Glieder; es kostete ihm Mühe sich zu ermannen. —
Endlich hörte er drinnen eine weibliche Stimme, die ihm
wie silberner Glockenklang, der ein Fest oder eine Hochzeit
einläutet, vorkam: „So will ich dies Mal eine Ausnahme
machen. Sagen Sie dem Herrn, daß er hereinkommen möge."
Das gab dem Rechtscandidaten neuen Muth und neues
Leben; wie ein elektrischer Schlag fuhr diese Stimme er-
wärmend durch seine Glieder, seine Füße bewegten sich fast
unwillkührlich vorwärts, der Thür zu, von wo die zauberische
Stimme erklang. Der Schiffer trat eben heraus und sagte,
indem er Wolf hineinließ: „Ich werde Sie unten auf der
Treppe erwarten und mit einer Laterne wieder hinabbegleiten."
Da stand nun der Glückliche in dem halb erleuchteten
Vorsaale, nur eine Thüre trennte ihn noch von dem himm-
lischen Wesen seiner ivachen Träume. Er konnte kaum selbst
das Glück begreifen, ihr so nahe zu sein. Er klopfte zitternd
an; auf das erfolgende „Herein" trat er ein.
Im Lichte eines das geräumige Gemach nur karg er-
hellenden Kronleuchters sah er eine junge Dame im weißen
Atlaskleide, über die schwarzen Locken und zum Theil auch
über das Angesicht einen weißen Spitzenschleier geworfen,
zur Seite eines Tisches in einem Fauteuil mit einer unnach-
ahmlichen Attitüde sitzen. Ihre feine wohlgeformte Hand
ruhte auf der Lehne, indeni sie den Hals einer Guitarre
zwischen den Fingern hielt, die sie eben bei Seite gesetzt
haben mochte; in der andern hielt sie einen Strauß frischer
duftender Waldblumen. Die Spitzen ihrer schwarzbeschuhten
Füßchen sahen unter dem Kleide hervor. Ihre ganze Toi-
leite erschien sehr einfach, aber geschmackvoll und elegant. —
(Fortsetzung folgt.)
51
umarmen, zog sie dann rasch auf seine Brust zurück und preßte
die flachen Hände heftig auf das Herz, indem seine Augen
den Ausdruck der heftigsten Sehnsucht annahmen. Unser Held
fühlte sich in der That leicht, groß und frei, wie ein Vogel
in der Luft, er hätte sich gehen lassen und so in den Aether
Hineinstürzen mögen. Aber jedem Unbefangenen mußte diese
Position höchst gefährlich erscheinen. Plötzlich fühlte sich
Wolf von innen fest an den in der Luft schwebenden Füßen
gefaßt und in die Stube zurückgezogen. Dieses unwillkühr-
liche Rückschrittsmanövre brachte ihn schnell zur Besinnung;
als er wieder eine feste breite Basis unter seinen Füßen
fühlte, drehte er sich im höchsten Unwillen um. Er sah den
Kellner hinter sich, der offenbar die menschenfreundliche Ab-
sicht gehabt hatte, ihn von seiner halsbrecherischen gymnastisch-
zärtlichen Uebung zurückzubringen.
Wir können uns nicht darauf einlassen, den Leser die
Stufenleiter der Sehnsuchtsfolter ganz durchzuführen, auf die
unser Held am heutigen Tage gespannt war; er fühlte einen
so riesenhaften Unmuth, eine so herkulische Ungeduld in sich,
daß er die Sonnenscheibe hätte erfassen und um einige
Stunden früher in den westlichen Ocean hinabzwingen mögen;
er fühlte die Kraft eines himmelstürmenden Titanen in sich,
eine innere Ueberfülle, eine überschwängliche Lebenswärme.
— Er hatte höchst sorgfältige Toilette gemacht, schneeweiße
Wäsche und buttergelbe Handschuhe angethan; die Vatermörder,
die Cravatte, die Manschetten saßen untadelhaft. Ein mustern-
der Blick in dem Spiegel, der mit Zufriedenheit über das
Bild seiner Figur glitt, noch ein schüchterner Blick nach dem
im Abendroth erglühenden Thurme und den leuchtenden
Fenstern, und dann hinab!
Eine Anrede im Gedächtniß einstudirend und die mög-
liche Form eines Dialoges mit der romantischen Dame über-
denkend, wanderte Wolf im grauen Zwielicht an dem Flusse
auf und ab. — Wie in Blut getaucht lag der westliche
Horizont hinter der Burg auf den Bergen; die dunkeln
Gipfel des Waldes schwammen wie starre Leichname in diesem
Gluthmeere. Die Luft schien von ihrer eigenen Schwere zu
zittern; eine schwarze Wolke lag in grausig phantastischen
Formen über den Bergen ausgebreitet; die Schwüle war
drückend und man vernahm in abgebrochenen Pausen das
ferne dumpfe Grollen des Donners. Es war als bereiteten
sich die Elemente zu einem großen Schlage vor; ihre gegen-
wärtige Todtenstille schien der Ansatz zu einem Tigersprunge
zu sein, daher war es sehr unheimlich. Die Mücken um-
schwärmten dichter und blutgieriger als sonst unfern Wanderer;
er hatte an diesen kleinen Blutsaugern genug zu wehren,
und vergaß Anrede und Dialog darüber. Er fühlte eine
namenlose Angst und Bangigkeit; er wünschte, daß es Tag
sei. Doch die brennende Sehnsucht, das geliebte Wesen von
Angesicht zu Angesicht zu sehen, stählte seine Kraft und
spannte seine Sehnen.
Endlich landete der Schiffer versprochenermaßen, nachdem
er das kleine Liebesconcert ausgeführt hatte. „Kommen Sie",
ermunterte er unfern Freund, „wir wollen unser Heil ver-
suchen." Schweigend schritt er auf dem schmalen gewundenen
Pfade den Schloßberg hinauf, schweigend folgte Wolf. —
So waren sie auf dem Gipfel angekommen; dem Rechts-
candidaten fröstelte trotz der Schwüle. Der Schiffer zog
an einem verborgenen Klingelzug; die Thüre der äußern
Mauer knarrte und schloß sich wieder hinter den Einge-
tretenen. Alles war dunkel auf dem Burghofe; nur hier
und da schinimerte ein grauer Steinblock und ein Haufe
herabgefallenen Mörtels in dem Lichtstreifen, der aus einem
Fenster im Thurme herab fiel. — Ueber einige Treppen
hinweg gelangten sie zum Eingänge in den runden Thurm,
der die schöne Burgbewohnerin und deren Gemach barg.
Eine dunkle Wendeltreppe führte sic in das dritte Stock-
werk des Thurmes. Bor einer eichenen Thüre, die in einen
spärlich erleuchteten Vorsaal führte, hielt der Schiffer an und
sagte zu seinem Begleiter: „Seines so gefällig und warten
Sie hier eine Minute, bis ich wieder herauskomme und Ihnen
Nachricht bringe, ob die Dame Sie vorlasscn will." Er
schloß die Thür und ließ Wolf allein in der Finsterniß. —
Das Picken einer Wanduhr drang aus den innern Gemächern
an sein Ohr, eine Grille zirpte ihre einförmige Weise da-
zwischen. Kälte rieselte über seinen Rücken und schüttelte
seine Glieder; es kostete ihm Mühe sich zu ermannen. —
Endlich hörte er drinnen eine weibliche Stimme, die ihm
wie silberner Glockenklang, der ein Fest oder eine Hochzeit
einläutet, vorkam: „So will ich dies Mal eine Ausnahme
machen. Sagen Sie dem Herrn, daß er hereinkommen möge."
Das gab dem Rechtscandidaten neuen Muth und neues
Leben; wie ein elektrischer Schlag fuhr diese Stimme er-
wärmend durch seine Glieder, seine Füße bewegten sich fast
unwillkührlich vorwärts, der Thür zu, von wo die zauberische
Stimme erklang. Der Schiffer trat eben heraus und sagte,
indem er Wolf hineinließ: „Ich werde Sie unten auf der
Treppe erwarten und mit einer Laterne wieder hinabbegleiten."
Da stand nun der Glückliche in dem halb erleuchteten
Vorsaale, nur eine Thüre trennte ihn noch von dem himm-
lischen Wesen seiner ivachen Träume. Er konnte kaum selbst
das Glück begreifen, ihr so nahe zu sein. Er klopfte zitternd
an; auf das erfolgende „Herein" trat er ein.
Im Lichte eines das geräumige Gemach nur karg er-
hellenden Kronleuchters sah er eine junge Dame im weißen
Atlaskleide, über die schwarzen Locken und zum Theil auch
über das Angesicht einen weißen Spitzenschleier geworfen,
zur Seite eines Tisches in einem Fauteuil mit einer unnach-
ahmlichen Attitüde sitzen. Ihre feine wohlgeformte Hand
ruhte auf der Lehne, indeni sie den Hals einer Guitarre
zwischen den Fingern hielt, die sie eben bei Seite gesetzt
haben mochte; in der andern hielt sie einen Strauß frischer
duftender Waldblumen. Die Spitzen ihrer schwarzbeschuhten
Füßchen sahen unter dem Kleide hervor. Ihre ganze Toi-
leite erschien sehr einfach, aber geschmackvoll und elegant. —
(Fortsetzung folgt.)