Hirngefpinnfte.
77
„Warum setzt man die Brille auf die Nase?"
— „Weil immer der Untere den Fehler der Obern
tragen muß."
„Der heimliche Verdruß gleicht dem Maul-
wurf, beide zerwühlen tief verborgen, jener den
Wiesen-, dieser den Herzensgrund. Und beide
blieben auch verborgen, wenn nicht der eine auf
den Wiesenspiegel seine Haufen und Hohlwege,
der andere seine Furchen und Falten auf dem Ge-
sichte bilden müßte."
Der Landmann hält das, was er, wie z. B.
seine Sprache (Idiom, Dialekt), seine Geschäfte,
gleichsam von der Natur aus kau», für völlig gar
nichts, so vortrefflich es auch-an sich sein mag;
daher es der Städter auf seinen Landausflügen
und Marktgängen ganz verfehlt, wenn er sich aus
Herablassung oder gutgemeinter Cordialität bäuer-
licher Sprach- und Ausdrncksweise bedient. Mit
dem Bauer, wenn man ihm iniponiren, oder >venn
mau auch nur seine Gefälligkeit und Bereitwillig-
keit erlangen will, muß man hochdeutsch, sehr hoch-
deutsch sprechen und sich herrisch, je mehr desto
besser, tragen und geben, — aber um Gott, was
fällt mir ein! — Ist doch das ganze deutsche
Volk sammt seinen Fürsten und Herren ein solcher
Bauer, der seine herrliche Sprache, seine blühende
Industrie, seine gründliche Wissenschaft und Kunst
nicht achtet und sich von den herrischen Fremden
in jeder Art imponiren läßt.
Des Menschen unablässiges Streben von Kindes-
deinen an ist, seine Macht und Ucberlegenheit zu
zeigen. — Das Kind, vorzüglich der Knabe, jagt
ruhige Tauben-, Hühner- und Gänseschwärme auf,
knickt Blumen und Halme, spaltet Stauden und
Baumschösse re. re. Etwas größer geißelt er Pferde
und Hornvieh; wieder größer sucht er Streit und
Raufhäudel mit Seinesgleichen; im Mannesalker
kommen die Erscheinungen und tausenderlei Formen -
der Herrschaft und Ueberniacht, bis sie dasteht im
Tyrannen und Welterschütterer in ihrer traurigen
Vollkommenheit und gottsträflichen Vollendung.
-Allein es ist so auf Erden, und wird,, ja muß
so bleiben; denn dieses Streben erweckt ein Gegen-
streben und diese Friktion heißt — Leben.
Wer den Zusammenhang seines kleinen Jchs
mit dem großen Ganzen am klarsten erforscht
hat und kennt, der ist der Weiseste, oder was
gleichbedeutend ist, der Glücklichste auf Erden,
77
„Warum setzt man die Brille auf die Nase?"
— „Weil immer der Untere den Fehler der Obern
tragen muß."
„Der heimliche Verdruß gleicht dem Maul-
wurf, beide zerwühlen tief verborgen, jener den
Wiesen-, dieser den Herzensgrund. Und beide
blieben auch verborgen, wenn nicht der eine auf
den Wiesenspiegel seine Haufen und Hohlwege,
der andere seine Furchen und Falten auf dem Ge-
sichte bilden müßte."
Der Landmann hält das, was er, wie z. B.
seine Sprache (Idiom, Dialekt), seine Geschäfte,
gleichsam von der Natur aus kau», für völlig gar
nichts, so vortrefflich es auch-an sich sein mag;
daher es der Städter auf seinen Landausflügen
und Marktgängen ganz verfehlt, wenn er sich aus
Herablassung oder gutgemeinter Cordialität bäuer-
licher Sprach- und Ausdrncksweise bedient. Mit
dem Bauer, wenn man ihm iniponiren, oder >venn
mau auch nur seine Gefälligkeit und Bereitwillig-
keit erlangen will, muß man hochdeutsch, sehr hoch-
deutsch sprechen und sich herrisch, je mehr desto
besser, tragen und geben, — aber um Gott, was
fällt mir ein! — Ist doch das ganze deutsche
Volk sammt seinen Fürsten und Herren ein solcher
Bauer, der seine herrliche Sprache, seine blühende
Industrie, seine gründliche Wissenschaft und Kunst
nicht achtet und sich von den herrischen Fremden
in jeder Art imponiren läßt.
Des Menschen unablässiges Streben von Kindes-
deinen an ist, seine Macht und Ucberlegenheit zu
zeigen. — Das Kind, vorzüglich der Knabe, jagt
ruhige Tauben-, Hühner- und Gänseschwärme auf,
knickt Blumen und Halme, spaltet Stauden und
Baumschösse re. re. Etwas größer geißelt er Pferde
und Hornvieh; wieder größer sucht er Streit und
Raufhäudel mit Seinesgleichen; im Mannesalker
kommen die Erscheinungen und tausenderlei Formen -
der Herrschaft und Ueberniacht, bis sie dasteht im
Tyrannen und Welterschütterer in ihrer traurigen
Vollkommenheit und gottsträflichen Vollendung.
-Allein es ist so auf Erden, und wird,, ja muß
so bleiben; denn dieses Streben erweckt ein Gegen-
streben und diese Friktion heißt — Leben.
Wer den Zusammenhang seines kleinen Jchs
mit dem großen Ganzen am klarsten erforscht
hat und kennt, der ist der Weiseste, oder was
gleichbedeutend ist, der Glücklichste auf Erden,
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Hirngespinnste"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 15.1852, Nr. 346, S. 77
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg