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Hirngespinste.
gleichviel ob er im Kerker oder ans dem Throne sitzt, ob
er bettelt oder praßt.
Volle Becher und Herzen brauchen nur den kleinsten
Anstoß und sie gehen über.
Lumpe, Künstler und Heilige gehen häufig in unan-
sehnlichen, ja schlechten Kleidern und verstoßen meistens gegen
Sitte und Herkömmlichkeit.
Warum?
Weil sie sich sämmtlich um die Meinung der Welt und
um das Urtheil des Hansens nicht kümmern.
Sonderbar! so ähnlich von außen und innen, von Grund
und Erscheinung, und doch ist jener nur ein Lump, dieser
ein Künstler und der dritte gar ein Heiliger.
Je höher die Väter ihre Thürme und Paläste baute», desto
größere Schutthanfen hatten ihre Söhne und Enkel wegzuräumen.
Sonst hatten die Kinder „Herrn Väter," „Frauen Müt-
ter," häufig auch „Papas und Mamas," und verblieben den-
selben folgsam und unterthan, wenn sich den guten Alten
schon längst ein munteres Enkelchen als stattlicher Reiter auf
das Kniepferd geschtvnngen hatte.
Jetzt genießt das achtzehnjährige Bürschchen von „Junger
Herr" und das fünfzehnjährige Flitschchen von „Fräulein Toch-
ter" schon vollkommene Freiheit und Unabhängigkeit. Was sollt'
es auch nicht! Zu Hause hat es nur einen „Alten Herrn," eine
„Alte Frau," die höchstens ein ganz kleinwenig brummen
und schmollen dürfen und können, weil sie „Alte" sind, und
lieber um ein gottgefälliges Sterbestündlein bitten sollten!
O Zeiten!
Tie schönste, oho! will sagen: Me empfehlendste Eigenthümlich-
keit eines Menschen in unserer Zeit ist die—Hauseigenthümlichkeit.
Ganz gleich ist es mit dem Blatt, das der Frühling den
Bäumen gibt und das die rathlose Jugend dem Menschen auf
den Mund legt, sie werden beide im Berlanfe der Zeit reif.
Raupen und Käferchen — Gedanken und Erfahrungen aller
Art — schreiben ihre mystischen Zeichen darauf, und im
Herbste fallen sie ab, Kindern ein Spielzeug, Dummen ein
Räthsel, dem Weisen eine heilsame Lehre und Offenbarung.
Demüthig zu sein und auszurufen, wenn man zum Papst
oder Kaiser gewählt worden ist, und dann in allen Zeitungen
l den Ausruf abdrucken lassen: „Gott, der erhöhet und ernie-
driget, hat es gefallen, mich Unwürdigen ans dem Staube
zu erheben rc.," ist eben so leicht als schön; aber, wenn bei
innerem Gefühle und Bewußtsein Dich unverschuldete Armuth
und Niedrigkeit drückt, und wie gewöhnlich in Folge dieser
Dich allenthalben Unrühmlichkeit und Mißachtung begleitet:
dann sei demüthig, wenn Du kannst, und Deine Temuth ist '
dann wirklich jene erhabene, hochgepriesene christliche Tugend,
welcher die himmlische Verherrlichung versprochen wird. — I
Die gekrönte Demuth hat ihre volle Belohnung hienieden.
Mädchen, nehmt Euch am gefallenen Laub ein Exempel!
Den ganzen langen Sommer hindurch kosen und schmeicheln
die buhlerischen Winde und suchen es unter den reizendsten
Vorspiegelungen von der schönen Weite und der Herrlichkeit
ihres Luftreiches mit sich zu locken; aber kaum ist es ihnen
endlich in den einbrechcuden Noth- und Frosttagen des Herb-
stes gelungen — Mädchen, seht und nehmt Euch ein Exem-
pel daran! — so wirbeln »nd tanzen und tändeln sie nur
ein kurzes, kurzes Weilchen mit ihnen, den Getäuschten und
Betrogenen in den Lüften herum, dann aber lassen sie die
Unseligen fallen und liegen in Staub und Koth, und ziehen
wieder lustig und unbekümmert ihre Wege.
Mädchen! so machen es die leichtfertigen Verführer ebenfalls.
Wenn Kraft und Roth das Eisen gebrochen hat, schleicht
die feige Spekulation und hüpft und tanzt der leichtfertige
Uebermuth gern als Gast zum Thore herein.
Das bedenket, wer kein Raufbold, kein mnthiger Fech-
ter, überhaupt kein Fanstheld ist, ist gewöhnlich aalglatt im
Entweichen, und im Entfliehen flink und leichtfüßig.
Die Erde hat keine Freude, weder mit den Menschen
noch niit den Thieren, die sie nur als Schmarotzer quälen
und peinigen, daher ihr Verschlingen derselben. Chronos, der
Vater (Zeit), und Mutter Erde (Rhea) kennen keine Pietät.
Die Kreidefelsen aus Millionen und Millionen Schal-
thieren gebildet gleichen den Schorfen über heilenden Wunden.
Das Leben der Erde durch das Pulsiren des Meeres
Strömen der Flüsse und Bäche bedingt zugleich das Leben
und Weben der Kreaturen ans ihr. Aber Alles muß endlich
versiegen und stocken Puls und Strom — das schöne
Menschendasein hört auf; nur ekles Ungeziefer nistet noch
eine Zeit lang in Moder und Gestank, dann stirbt auch das
und es beginnt die große Verwesnng.
Aus der süßesten Sünde, im Frühlinge des Lebens
ausgesäet, reift des Lebens bitterste Herbstfrncht.
Wenn es bei den Naturfabrikationen zugeht, wie bei den
unserigen: so braucht man, je feiner und kleiner, desto edlere
kostbarere Stoffe und daher die Wunder der mikroskopischen Welt.
Es gehört doch wohl keine große Kunst dazu, aus einem
Ungeheuern Klumpen den plumpen Elephanten, das dumme
Rhinozeros oder, was trotz der Masse so schön ist und auck
mir so wohl gefällt — den schönen Menschen zu fabriziren,
aber jenes kleinwinzige, emsige, verständige Läuschen z. B.,
das uns oft zwischen den alten Papieren begegnet — welche
Kunst gehört dazu, welcher Stoff!!
Ein sinnreiches Naturkind könnte gewiß mehr und das
Meiste viel besser, wenn es nicht von Jugend auf angehalten
und angewiesen würde, es wie die Andern zu machen.
Franz Stelzhammer.
(Fortsetzung folgt.)
Hirngespinste.
gleichviel ob er im Kerker oder ans dem Throne sitzt, ob
er bettelt oder praßt.
Volle Becher und Herzen brauchen nur den kleinsten
Anstoß und sie gehen über.
Lumpe, Künstler und Heilige gehen häufig in unan-
sehnlichen, ja schlechten Kleidern und verstoßen meistens gegen
Sitte und Herkömmlichkeit.
Warum?
Weil sie sich sämmtlich um die Meinung der Welt und
um das Urtheil des Hansens nicht kümmern.
Sonderbar! so ähnlich von außen und innen, von Grund
und Erscheinung, und doch ist jener nur ein Lump, dieser
ein Künstler und der dritte gar ein Heiliger.
Je höher die Väter ihre Thürme und Paläste baute», desto
größere Schutthanfen hatten ihre Söhne und Enkel wegzuräumen.
Sonst hatten die Kinder „Herrn Väter," „Frauen Müt-
ter," häufig auch „Papas und Mamas," und verblieben den-
selben folgsam und unterthan, wenn sich den guten Alten
schon längst ein munteres Enkelchen als stattlicher Reiter auf
das Kniepferd geschtvnngen hatte.
Jetzt genießt das achtzehnjährige Bürschchen von „Junger
Herr" und das fünfzehnjährige Flitschchen von „Fräulein Toch-
ter" schon vollkommene Freiheit und Unabhängigkeit. Was sollt'
es auch nicht! Zu Hause hat es nur einen „Alten Herrn," eine
„Alte Frau," die höchstens ein ganz kleinwenig brummen
und schmollen dürfen und können, weil sie „Alte" sind, und
lieber um ein gottgefälliges Sterbestündlein bitten sollten!
O Zeiten!
Tie schönste, oho! will sagen: Me empfehlendste Eigenthümlich-
keit eines Menschen in unserer Zeit ist die—Hauseigenthümlichkeit.
Ganz gleich ist es mit dem Blatt, das der Frühling den
Bäumen gibt und das die rathlose Jugend dem Menschen auf
den Mund legt, sie werden beide im Berlanfe der Zeit reif.
Raupen und Käferchen — Gedanken und Erfahrungen aller
Art — schreiben ihre mystischen Zeichen darauf, und im
Herbste fallen sie ab, Kindern ein Spielzeug, Dummen ein
Räthsel, dem Weisen eine heilsame Lehre und Offenbarung.
Demüthig zu sein und auszurufen, wenn man zum Papst
oder Kaiser gewählt worden ist, und dann in allen Zeitungen
l den Ausruf abdrucken lassen: „Gott, der erhöhet und ernie-
driget, hat es gefallen, mich Unwürdigen ans dem Staube
zu erheben rc.," ist eben so leicht als schön; aber, wenn bei
innerem Gefühle und Bewußtsein Dich unverschuldete Armuth
und Niedrigkeit drückt, und wie gewöhnlich in Folge dieser
Dich allenthalben Unrühmlichkeit und Mißachtung begleitet:
dann sei demüthig, wenn Du kannst, und Deine Temuth ist '
dann wirklich jene erhabene, hochgepriesene christliche Tugend,
welcher die himmlische Verherrlichung versprochen wird. — I
Die gekrönte Demuth hat ihre volle Belohnung hienieden.
Mädchen, nehmt Euch am gefallenen Laub ein Exempel!
Den ganzen langen Sommer hindurch kosen und schmeicheln
die buhlerischen Winde und suchen es unter den reizendsten
Vorspiegelungen von der schönen Weite und der Herrlichkeit
ihres Luftreiches mit sich zu locken; aber kaum ist es ihnen
endlich in den einbrechcuden Noth- und Frosttagen des Herb-
stes gelungen — Mädchen, seht und nehmt Euch ein Exem-
pel daran! — so wirbeln »nd tanzen und tändeln sie nur
ein kurzes, kurzes Weilchen mit ihnen, den Getäuschten und
Betrogenen in den Lüften herum, dann aber lassen sie die
Unseligen fallen und liegen in Staub und Koth, und ziehen
wieder lustig und unbekümmert ihre Wege.
Mädchen! so machen es die leichtfertigen Verführer ebenfalls.
Wenn Kraft und Roth das Eisen gebrochen hat, schleicht
die feige Spekulation und hüpft und tanzt der leichtfertige
Uebermuth gern als Gast zum Thore herein.
Das bedenket, wer kein Raufbold, kein mnthiger Fech-
ter, überhaupt kein Fanstheld ist, ist gewöhnlich aalglatt im
Entweichen, und im Entfliehen flink und leichtfüßig.
Die Erde hat keine Freude, weder mit den Menschen
noch niit den Thieren, die sie nur als Schmarotzer quälen
und peinigen, daher ihr Verschlingen derselben. Chronos, der
Vater (Zeit), und Mutter Erde (Rhea) kennen keine Pietät.
Die Kreidefelsen aus Millionen und Millionen Schal-
thieren gebildet gleichen den Schorfen über heilenden Wunden.
Das Leben der Erde durch das Pulsiren des Meeres
Strömen der Flüsse und Bäche bedingt zugleich das Leben
und Weben der Kreaturen ans ihr. Aber Alles muß endlich
versiegen und stocken Puls und Strom — das schöne
Menschendasein hört auf; nur ekles Ungeziefer nistet noch
eine Zeit lang in Moder und Gestank, dann stirbt auch das
und es beginnt die große Verwesnng.
Aus der süßesten Sünde, im Frühlinge des Lebens
ausgesäet, reift des Lebens bitterste Herbstfrncht.
Wenn es bei den Naturfabrikationen zugeht, wie bei den
unserigen: so braucht man, je feiner und kleiner, desto edlere
kostbarere Stoffe und daher die Wunder der mikroskopischen Welt.
Es gehört doch wohl keine große Kunst dazu, aus einem
Ungeheuern Klumpen den plumpen Elephanten, das dumme
Rhinozeros oder, was trotz der Masse so schön ist und auck
mir so wohl gefällt — den schönen Menschen zu fabriziren,
aber jenes kleinwinzige, emsige, verständige Läuschen z. B.,
das uns oft zwischen den alten Papieren begegnet — welche
Kunst gehört dazu, welcher Stoff!!
Ein sinnreiches Naturkind könnte gewiß mehr und das
Meiste viel besser, wenn es nicht von Jugend auf angehalten
und angewiesen würde, es wie die Andern zu machen.
Franz Stelzhammer.
(Fortsetzung folgt.)