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Das Testament.

Lingend und pfeifend saß eines Nachmittags der Schuster
I Veit auf seinem Dreifuß; rasch ging ihm die Arbeit unter
i den Händen weg. Er nähte und klopfte aber auch darauf
! los, daß es eine Lust war, ihm zuzusehen, und nur hie und
! da sandte er durch die hellen Fensterscheiben einen flüchtigen
Blick auf die Gasse und die etwaigen Vorübergehende». Es
mochte etwa gegen vier Uhr sein, als er seinen Nachbar,
j den Seifensieder Friedrich, der ihm gerade gegenüber wohnte, j
mit eiligen Schritten das Haus verlassen und über die Gasse
j kommen sah. „Nun, was der wieder haben mag!" sagteer
j vor sich hin; „jetzt ist seine Alte auch noch krank, die wird
ihn nicht übel conjoniren! Doch, er kommt, glaub ich, zu mir!"

Bleich und verstört trat Friedrich in das Stübchen des Schu-
sters, so daß dieser verwundert anhub: „Was gibt's? Du siehst
ja aus wie ein armer Sünder, dem man das Todesnrtheil ver-
lesen hat; am Ende ist deine Margreth—“ „Gestorben!"
unterbrach ihn tonlos der Seifensieder. „Gestorben! und du i
machst so ein Gesicht? Danke Gott, der sie und dich erlöst hat!
Oder ist dein Schmerz wirklich so groß?" „Was den Schmerz
um meine nun — selige Margreth betrifft, so weißt du,
daß ich denselben wohl überwinden kann, aber — aber —"
„Nun, was aber? Heraus damit, wir sind ja allein!"

„Du weißt," Hub Friedrich nach einigen Augenblicken
Stillschweigen an, „du weißt, daß unser Vermögen beinahe
ganz von meiner Frau herkommt — ich habe sie ja auch
deßwegen genommen — sie hat mich immer auf ein Testament
zu meinen Gunsten vertröstet, namentlich seit sie krank war;
nun aber ist sie seit einer halben Stunde todt, ein Testament
ist nicht vorhanden, und ich darf zusehen, wie lachende Erben,
die zudem schon vorher reich genug sind, theilen; höchstens !
bleibt mir das Haus, Wenns gut geht."

„Weiß schon Jemand, daß sie gestorben ist?" fragte nach-
denkend der Schuster. „Nein," war die Antwort, „Niemand
! als du; sie liegt noch wie zuvor in ihrem Bette; im Haus
haben wir Niemand, der Doktor kommt blos Morgens, und
j sagte heute noch, mit dem Sterben habe es bei ihr noch
keine Eile. Ich habe zwar schon das meiste Geld auf die
Seite geschafft, aber unglücklicher Weise war nicht viel da."

„Ja und mit den Gütern," fiel Veit ein, „kannst du's eben
nicht so machen, und auch mit den Capitalbriefen nicht; das sind
Pfandscheine, die stehen im Pfandbuch verzeichnet — deine Mar-
j greif; war vorsichtig — da muß anders geholfen werden!"

„Ja, aber wie? Kannst du die Todte ins Leben zurückrufen,
daß sie ein Testament mache, und mich zum Erben einsetze?"

„Das nicht, wir würden's auch nicht thun, selbst wenn
wir könnten, aber höre mich an! Du wartest noch zwei
. Stunden, bis es Nacht ist; dann gehst du zum Bürgerineister
und sagst, deine Frau sei auf den Tod krank, sie wünsche
ein Testament zu machen; er solle ungesäumt mit den
' nöthigen Personen kommen, und es aufnehmen."

„Aber?"

„Laß mich doch ausreden! Mittlerweile schaffen wir die
Selige in eine Kammer, ich ziehe ihre Kleider an, lege mich

ins Bett, und werde daun den Herren Red und Antwort
geben, so gut oder besser, als die Margreth getha» haben
würde. Das wird mir erst noch recht Spaß machen!"

„Das geht nicht an, man wird den Betrug merken und —"

„Freilich geht's, laß nur mich dafür sorgen! Gehe jetzt
heim; wenn's dunkel ist, komme ich hinüber."

Kopfschüttelnd ging Friedrich fort. Inzwischen rasirt
sich der Schuster glatt, und kaum ist es dunkel, kommt er
zum Friedrich. Die Todte lag noch im Bette, einer großen
Himmelbettlade mit llmhängen. Bald war die Leiche in
die Kammer geschafft. Der Beit zieht den Schlafkittel der
Seligen an, setzt ihre große Haube auf, legt ein Pflaster auf
die Wange, bindet ein Tuch um die Stirne, und fängt,
sobald er im Bette liegt, so erbärmlich zu jammern und zu
seufzen an, daß Friedrich selber meinte, seine Selige zu hören.

„Jetzt gehe nur und sorge, daß die Herren bald kommen,
zu lange möchte ich nicht todtkrank sein," befahl Veit, und
Friedrich machte sich auf den Weg. Eine Stunde nachher
trat der gestrenge Herr Bürgermeister mit zwei Magistrats-
personen ein. „Hier im. Bette liegt meine Frau, die Sie
begehrt," sagte Friedrich, indem er den Umhang ein wenig
zurückschlug; „Margrethe! die Herren sind da!"

Ein Geseufze und Gestöhne erhebt sich aus dem Bette;
„sie bittet," verdeutlichte Friedrich, „sie nicht zu sehr mit
Fragen zu belästigen; auch thut ihr das Licht weh!" „Glaubs
wohl, ist gewöhnlich so, Werdens kurz machen!" beruhigte der
Bürgermeister; „bei völligem Verstände wird sie noch sein?"
„Ja freilich, können sich überzeugen, aber unterschreiben
wird sie nimmer können!" „Schon gut, doch gültig!"

Nachdem der gewöhnliche Eingang geschrieben und Friedrich
an seiner Margaretha Statt die nöthigen Fragen über Namen,
Alter u. s. w. beantwortet hatte, bat ihn der Herr Bürger-
meister, abzutreten, weil es das Gesetz so verlange. Klopfen-
den Herzens horchte er an der Thüre, vernahm aber nichts,
als eine schwache, undeutliche Stimme, hie und da unter-
brochen durch ein „Gut! Recht so! Brav!" des Bürgermeisters.

Nach einer Viertelstunde kamen die Herren heraus. „Ein
braves Weib, die Margreth, kann zufrieden sein, Friedrich!"
sagte der Bürgermeister. „Ja, aber mach dich gefaßt," fuhr
eine der Magistratspersonen fort, „sie treibts nimnier lang;
jedenfalls würde ich heut Nacht bei ihr wachen." „Ja, es
kann gehen wie es will," ergänzte die andere, „du mußt dich
eben fassen!" Mit einem „Gute Nacht!" verließen sie das Haus.

„Alles gut gegangen!" rief der Schuster dem eintretenden
Seifensieder entgegen. „Habs schon gehört vom Bürgermeister,"
erwiderte der, „aber was hast du denn Alles angegeben?"

„Kannst nicht warten, bis das Testament eröffnet wird?
Aber jetzt nur die Todte wieder in ihr Bett, und eine be-
trübte Wittwersmiene gemacht!"

Am andern Morgen erfuhr mau im Städtchen, des Seifen-
sieders Ehehälfte habe heute Nacht um ein Uhr das Zeitliche
gesegnet. „Habs wohl gedacht!" sagte der Bürgermeister. — Die
Selige ward mit allen Ehren zur Erde bestattet, tief betrauert
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