Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Fraucnpolitik.

Und zudem kann ich ihnen ja durch mein Leben nützen, wie
man bald erkennen wird. Meine Großmutter war eine gescheidte
Frau. „Zu einer glücklichen Ehe," pflegte sie zu sagen, und
dabei nahm sie mit der feinen, weißen, von der stets blüthcn-
wcißen Garnirung der altmodischen Kontusche halb versteckten
Hand aus dem HorndöSchen eine Prise und nickte und schaute
gar klug und schelmisch aus ihren hellen Aeugelein, als wollte
sie sagen: das weiß ich bester — „zu einer glücklichen Ehe
gehört immer, daß der Mann unter dem Pantoffel sei; er darf
es nur nicht wissen." „Aber das Mittel, ihr Götter — das
Mittel — schnell heraus damit," so höre ich schon im Geiste
Viele ausrufen. „Seid klug wie die Schlangen," hat schon der
alte Salomo» gerathcn — ein tüchtiger Praktikus, und wenn
damals die Strickbeutel Mode gewesen wären, hätte er dazuge-
sctzt: „so könnt ihr das ganze andere Geschlecht sammt seiner
Weisheit bei euch im SKickbeutel herumttagen." Von welcher
Art aber diese Klugheit sein müsse, darüber wird das Folgende
belehren. Zur klareren Ucbersicht ist cs in Kapitel eingethetlt,
deren erstes lautet:

Erstes Kapitel.

Wie eine junge Frau aus den Rachtzügen der Eisenbahn herausbringt,
wann ihr Mann nach Hause gekommen ist.

Clrmentine stand am Fenster; es war noch früh am Morgen,
die Sonne hatte die Thauperlen draußen aus dem Grün des
Rasens noch nicht aufgesogen, sie beleuchtete Clcmenttne so hell,
so warm — aber Clementine seufzte, Clementine weinte, Cle-
menttne war unglücklich. Der reizende, gestickte und mit Spitzen
besetzte Ncgligeeüberwurf, der ihre schlanken, weichen Formen
verhüllte, — dieses Stück ihrer Ausstattung war noch nicht cin-
! mal gewaschen und sie schon unglücklich. Wer hätte sie weinen
sehen können, ohne für den Sammtblüthenstaub ihrer prächttgen
braunen Augen nicht die ttefste Besorgniß zu fühlen! Ja, sie
war sehr unglücklich — sie glaubte dem frostigen Wesen Hugv's
Wärme, Liebe und Leben eingehaucht zu haben — und sah sich fürch-
terlich bettogen. Er liebte die Zeitungen, die Polittk mehr als sie;
de» ganzen Tag saß er über erstercn und blieb ja ein Stündchen
übrig, so kamen die Freunde Junggesellen und stahlen ihr sogar
dieses Stündchen. (Welche junge Frau geizte nicht mit den Mi-
nuten des Alleinseins mit ihrem Manne! Jede geraubte Minute
rächt sie in späterer Zeit mit einem Jahre des Schmollens.)
Und was mußte Clcmenttne diese Nacht erfahren! Ja, sie war
höchst unglücklich und schellte und wischte sich vor dem Spiegel
j die Thrakien aus den Augen.

„Jost," rief sic einem einttetenden Gegenstände aus zwei
steifen Beinen, einem gebeugten Oberkörper und aus einem rothen
Gesichte mit runder Nase und grauem Schnurrbarte zu. Wer
ist aber Jost? Jost ist das Echo, der Schatten von seinem Herrn;
er tragt dessen abgetragene Kleider, liebt, wie er, die Zeitungen,
genießt gern dieselben Speisen und Weine, wie sein Herr, und
möchte wie sein Herr vielleicht auch heirathcn, könnte man denken. !
„Gott behüte ihn vor solchem Uebel," meinte er und warf jedem
einen wüthenden Blick zu, der von den Freuden des Ehestandes
sprach. Es war keine Freud' mehr im Hause, seit sich die gnädige !

Frau im Hause „eingedrängt und festgesetzt hatte." Sonst wurde
er um Alles gefragt, jetzt nicht mehr; mit dem Herrn war kein
gescheidtcs Wort mehr zu reden, sie hielt zu ihm alle Zugänge
besetzt, sie maßte sich Dinge, Dienstleistungen an, die ihm zuge-
hörten; am Tiefsten aber empörte und schmerzte es ihn, daß sie
die Reste in den Weinflaschen sammelte, das däuchte ihm eine
Beschimpfung seines Herrn. Jost konnte seine Schadenfreude nicht
unterdrücken, als er an Clcmenttne die Thränenspuren bemerkte.

„Jost, sage Er mir — aber höre Er, die Wahrheit will ich
hören — wann ist diese Nacht mein Mann nach Hause gekommen?"
„Wann sind denn die gnädige Frau eingeschlafen?"

„Um eilf Uhr war ich nicht mehr wach," antwortete Cleinen-
tine scheinbar ganz gleichgültig.

„Nu — der Herr sind eine Viertelstunde darauf gekommen."

„Sieht Er'S Jost, daß Er mich belügt — ich war um halb
zwölf Uhr noch wach."

„Ich Hab mich doch nur versprochen," suchte sich Jost aus der
Schlinge zu helfen — „ich wollte sagen eine Stunde darauf."

Clementine gerieth in Eifer.

„Schänie Er sich vor seinen grauen Haaren, so zu lügen.
Was sagte ich doch! Bis ein Uhr war ich wach."

Jost mochte wohl erkennen, daß sic selbst die Stunde der
Nachhausekunft seines Herrn am besten wissen würde, wie es auch
wirklich war. Clcmenttne wußte, daß der Diener seinem Herrn
jedes Wort hinterbrachte und wollte diesem nicht die Genugthuung
gönnen, als ob sie bis zu seiner Rückkehr gewacht hätte. Und
doch wünschte sie, daß Hugo erfahre, daß ihr die Stunde seiner
! Rückkehr nicht unbekannt sei. Jost hielt es unter diesen Um-
ständen für das Beste, gänzlich zu schweigen.

„Es war aber auch eine Unruhe," fuhr Clcmenttne fort,
„die jeden Schlaf von mir verscheuchte. In dem Zimmer unter
dem meinigen war ein Gepolter, ein Hin- und Herrücken von
Stühlen —"

„Haben Sich doch nicht gefürchtet?" siel Jost nicht ohne
Spott ein. „Der Zimmerherr unten, der Herr Dottor Wernthal,
ist abgcreist."

„Doktor Wernthal?" wiederholte sie aufmerksam und näher
eingehend, „von dem hat man aber nie etwas gesehen."

„Ja, Doktor Wernthal. Wissen Sie, er wäre gerne noch
länger hier geblieben — aber die Polizei war zu malittös gegen
ihn. Er ist eigentlich abgereist geworden. Denn wissen Sie,
gnädige Frau, ich weiß es nur daher — den Polizeicommiffär
nämlich, der da drüben wohnt, Hab' ich hier schon einige Male
ein- und ausgehen sehen und gestern Abend um zehn Uhr sagte
er: „Doktor — ich Hab' nicht gehorcht, aber was kann ich dafür,
wenn ich ein gutes Gehör Hab' — Dottor, ich rathe Ihnen mit
diesem Nachtzuge — ich rathe Ihnen — für Morgen stehe ich
nicht mehr." Und wie ich dem Herrn die Thüre aufgeschlossen
Hab', ist er zum Haus hinaus."

„Also um Dreiviertel auf Zwei ist er nach Hause gekoinmen?
Gott steh' mir bei," jammerte sie, „acht Tage verheirathet und
um Dreiviertel auf zwei Uhr —"

„Wer hat Ihnen denn das gesagt?" stotterte Jost erschrocken.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen