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Frauenpolitik.

27

„Sieht Er's Jost, wer die Wahrheit nicht gutwillig sagen
will, dem entschlüpft sie in der Dummheit. Wann geht denn
der Nachtzug, Jost?"

Jost war abermals gefangen. Vor Wuth raufte er am grauen
Schnurrbarte, als wollte er sagen: „Dummes vertracktes Maul,
bist so alt und noch so dumm."

Die Hausglocke ertönte; Jost ging hinaus.

„Dreiviertel auf Zwei bei. Bier und Tabak," sprach Clemen-
tine langsam für sich und rang in Verzweiflung die Hände.

Und uns ist das Räthsel gelost, warum die Männer von
den Frauen so sehr angegangen werden, ibr Vermögen in Eisen-
bahnaktien anzulegen.

Zweites Kapitel.

Handelt davon, wie eine Frau selbst das Unscheinbarste mit Erfolg für
ihre Pläne zu benützen weiß.

Jost kam mit einem Packe Zeitungen und zwei Briefen zurück,
die er mit dem Bemerken Clementinen übergab, daß den einen
das Mädchen „der Frau Mutter" gebracht hätte. Die junge Frau
hatte nämlich schon am frühen Morgen vor letzterer ihr Herz,
ihre Klagen ausgeschüttet und darauf Folgendes zur Antwort
erhalten.

„Liebe Tochter! Ich dachte mir wohl, daß es bei Dir so
kommen würde. Jeder muß seine Erfahrungen auf seine eigene
Art machen, darum Hab' ich dessen vor der Zeit gegen Dich nicht
erwähnt. Das ist alles Schnickschnack, was Du mir da schreibst
von betrogener Liebe, von Ehescheidung und der Rückkehr zu mir.
Ich Hab' eS auch so gemacht und für die Ehe geb' ich nicht viel,
in welcher vies in den ersten acht Tagen nicht verfällt. Hugo
liebt Dich — glaub' mir's, das weiß ich besser — du mußt ihn
aber an Dich — an die Ehe gewöhnen — wir Frauen bringen
den häuslichen Sinn schon in die Windeln mit, die Männer
nicht. Es war gefehlt von Dir, die Verwandlung Hugo's aus
einem lustigen Junggesellen in einen guten Ehemann an einem
Tage und an einem Orte, dem Schauplatze seines ftühcren
Lebens, zu bewerkstelligen. Du mußt ihn für einige Zeit allein
für Dich in Beschlag nehmen und darum lass heute noch auf-
packen und je ferner das Ziel der Reise, desto besser. Dies räth
Dir Deine Mutter, die das Alles schon an sich und tausendmal
an Andern erlebt hat."

Der Brief wirkte beruhigend auf die Aufgeregte; sie sah ein,
wie Recht ihre Mutter hatte. Ueber ein Reiseziel wäre sie nicht
verlegen gewesen. Der zweite Brief war von einer Freundin in
Tyrol und enthielt Glückwünsche und eine Einladung an die
Neuvermählten zu einem Besuche auf dem Bergschlosse der Freun-
din. Mit der Abreise Hugo's wäre Alles gewonnen gewesen,
dort wäre er der Polittk, den Freunden enttückt worden — aber
wie ihn dazu bewegen, den Gewohnheitsmenschen, der sich nicht
leicht zu einem Spaziergänge bewegen ließ — wie?

Unterdessen hatte Jost seine Zwickbrille aufgesetzt und auch,
wie dies seine Gewohnheit war, einen Blick in die Zeitung getha».
Mit vieler Mühe, wobei er mehr als einmal sich murrend be-

schwerte, daß man so lange und schwere Wörter in die Zeitung
setze, mit vieler Mühe hatte er Folgendes zusammenbuchstabirt.

„Lokales. Herr Doctor W.l ist heute abgercist, nach-

dem er vorher, wie man wissen will, noch den Abschiedsbesuch
eines PolizeicommissariuS empfangen hatte. Seit langer Zeit
hatte sich die Lindenstraße nicht so häufiger Besuche von Seite
der hohen Polizei zu erfreuen, als seit obiger Herr seine Woh-
nung dort aufgeschlagen hatte."

Jost steckte die Brille ins Futteral und reichte, auf die bc-
treffende Stelle deutend, Clementtnen die Zeitung.

„Da, sehen Sic nur, gnädige Frau, haben sie den Herrn
Wernthal auch in die Zeitung gesetzt. Wissen Sic, heißt nicht
eigentlich Wernthal, nach dem W sind fünf Punkte. Das ist
aber dumm von dem Doctor Scheitling, dem Rcdacteur — das
ist dumm — unser Herr heißt Widrall — jedes Kind in der
Stadt kennt ihn, und weiß, daß er in der Lindenstraße wohnt
und jedes Kind muß darauf hin gleich denken, daß der Herr
polizeiverdächtig ist."

Clementtne gab Jost Befehl, den Kaffcetisch in Stand zu
setzen. Als sie die Stelle gelesen hatte, war sie nicht mehr un-
glücklich — ihre Mienen glänzten fteudig. Wie mit einem Male
die Blume aus der Knospe bricht, so war in ihr der Plan fertig,
daß sie jetzt auch der äußern Politik ihres Mannes gegenüber
innere Politik treiben und jene durch diese unterdrücken wolle.

Drittes Kapitel.

Als Beförderer dieser Pläne treten verschiedene Ungalantcrien, eine
zerbrochene Kaffeetasse und eine Brandwunde auf.

Als Clementtne in den nebenanstoßenden Salon trat, kam
ihr von der entgegengesetzten Seite Hugo aus seinem Zimmer
entgegen. Clementine eilte ihm lächelnd entgegen und bot ihm
einen zärtlichen Morgengruß. Er fragte nach den Zeitungen, j
Clementtne vermehrte ihre Zärtlichkeiten, schmiegte sich an ihn
an und streichelte seine Hand. Jetzt erst crwiederte er flüchtig
ihren Morgengruß und ftagte zum zweiten Male und ungestümer
nach den Zeitungen.

„Wir haben uns seit gestern Abend nicht gesehen," suchte
Clementine seine Aufmerksamkeit von den Zeitungen abzulenken.
„Du warst wohl nicht lange aus?"

„Lange? Nein — gar nicht lange — ich weiß selbst nicht,
wie viel Uhr es war," war seine Antwort, wobei seine Augen
aber immer auf der Spähe nach den Zeitungen waren.

„Ich schlief sehr bald ein," fuhr die junge Frau fort. „Ein
Gepolter schreckte mich auS meinem Schlafe. Dein Bett war
noch unberührt."

„Ein Gepolter? Ach ja — ein Herr von hier unten ist —
soll, wollte ich sprechen, abgereist sein."

„Ein Herr? Wohnte denn Jemand unter uns?"

„Ich wußte es auch nicht — Jost hat es mir gesagt."

Letzteres war es allein, was ihr noch zu wissen nothwendig war.

(Fortsetzung folgt.)
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