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ter, Dich zu sehen," sprach die Tochter, „aber Du hast ja ge-
weint! Was hast Du denn nur wieder?"

„Ach Fiekchen," antwortete die bekümmerte Mutter, „da
j liegt er, der dritte, flehende Brief von Rauten aus Halle.

; Wenn er nicht bald Hülfe bekommt, muß er das Studieren
! aufgeben und hierher zurückkehren. Und was soll'S dann wer-
den! Seit drei Wochen hat er nur eitel Brod gegessen in
| seinem Dachkämmerchen."

„O, der arme Junge der!" rief Fiekchen theilnehmend
, und Thränen entstürzten ihren Augen; „drei Wochen lang nur
1 eitel Brod! das hält ja kein Mensch auS! Da hat es ja bei
uns auf dem Kloster ein Ackerknccht besser! Aber Mutter,
kannst Du denn nicht auf unser Häuschen borgen?"
i „Wer wird uns noch Geld borgen, Fiekchen!" erwiderte
i die Mutter schluchzend. „Sind wir nicht arm und hülflos?
Auf unserm Häuschen haften schon dreihundert Thaler."

„Aber vier- bis fünfhundert Thaler ist's ja unter Brüdern
«erth, sagt Jeder."

I „Das wohl, Fiekchen! aber Niemand borgt so viel darauf.
Ich habe schon den Brauer Lückenbüßer und den Kornhändler
Meyer darum gebeten, aber überall abschlägige Antwort cr-

„Weißt Du was, Mütterchen," fuhr die Tochter nach
, kurzem Nachsinnen fort, „ich will einmal zu meinem Pathen,
dem reichen Buchholz gehen. Das ist ein so guter Mann!

! der hilft uns gewiß, wenn er's Geld gerade liegen hat. Und
! hat er's nicht selbst, so wirb er uns schon rathen und helfen
j cs sonst woher anzuschaffe». Gleich 'morgen will ich zu ihm
gehen, denn es ist keine Zeit zu versäumen. Jetzt aber muß
! ich wieder fort auf's Kloster."

„Run, so segne Gott der Allmächtige dein Bemühen,
i Kind!" sprach die Mutter hoffnungsvoll und die Tochter ging
i ihren Geschäften nach.

In der Stadt war indessen eine große Auftegung, ein
! förmlicher Aufruhr der Freude entstanden. Eine Stafette von
Braunschweig war bei dem Obcrhauptmann cingetroffen und
i hatte vie Nachricht überbracht, daß der Herzog in den nächsten
Tagen in der Gegend jagen und bei dieser Gelegenheit auch
! die Stadt besuchen und sich die Behörden derselben vorstcllen
| lassen wolle. Wie ein Lauffeuer flog diese Kunde durch die
! Stadt und erregte, wohin sic kam, den lautesten Jubel: „Dä
I Herlog kummet, dä Hertog kummct!" hörte man auf allen
! Straßen mit dem unverkennbarsten Ausdruck der Freude sich
j zurufen. Ja die Bewohner der Stadt, Alt und Jung, Reich
j und Arm, Hoh und Niedrig, Männlich und Weiblich wurden
I im eigentlichen Sinne des Wortes fast närrisch vor fteudiger
, Erwartung. Ein Nachbar lief zu dem andern vor die Thür,

! klopfte mit hastigen Fingern an's Fenster und rief: „Naber!

| Naber! west't denn schon ? dä Hertog kummct! unscr Hertog!"
„Na! wat de man fegst," lautet die fteudigc Gegenrede,
„wenn's doch man wahr wärre!" „T'iS wahr und wahrhaf-
i ttg wahr! t'is 'ne Stafette kommen, dä hat et middebroibt,
swart op wits." Auf den Plätzen der Stadt, besonders vor
dem Rathskeller sammelten sich bald Gnippcn die die freudige

Kunde besprachen. „Wenn es nur wirklich wahr ist-! eS hat
schon oft so geheißen und ist doch immer nichts draus gewor-
den!" meinten zwar einige Zweifler. Aber dieses Mal war
nicht daran zu zweifeln, denn Viele hatten ja das Schreiben
selbst gelesen.

„Nun, was ist denn das für ein so ungeheuer wichttgeS
Ereigniß, wenn ein Herzog in eine Stadt seines Landes kommt?"
wird vielleicht dieser oder jener meiner geneigten Leser bei
sich denken. „Darüber brauchen doch die Leute nicht gleich so
aus dem Häuschen zu kommen!" Aber ich kann dem geneig-
ten Leser versichern, daß drei sehr gewichttgc Gründe Vorlagen,
von denen jeder allein schon ausreichen würde, den Enthusias-
mus der Bewohner des Städtchens genügend zu erklären.

Zum Ersten war cs ein Herzog von Braunschweig,
der zu einer seiner Städte kam, in deren Mauern man ihn
noch nie begrüßt und bewillkommnet hatte und in dem Braun-
schweiger Lande war es seit Jahrhunderten nicht anders Sitte '
und hoffentlich ist's auch heute noch so, als daß sich die Leute i
vor Lust und Freude wie clckttisirt fühlten, wenn sic ihren
angestammten Herzog so von Angesicht zu Angesicht sehen
konnten. Und sie- hatten Ursach dazu: denn der uralte Name
der Welfen hatte mächtige Wurzeln durch das ganze Land
und durch alle Herzen seiner Bewohner gettiebcn, an diesem
alten, erlauchten Fürstenstamme war manch' hohe vorttcffliche
Frucht unter Gottes Schutze gewachsen und gczeittgt zur Freude
und zum Segen des Landes. Kurz und gut, die Leute liebten
den Herzog als ihren angestammten Fürsten und Landesherrn
mit unaussprechlicher Liebe und darum ist ihre fteudigc Be-
geisterung wohl zu erklären.

Zum Zweiten: der Herzog, der erwartet wurde, war
Herzog Karl Wilhelm Ferdinands Sohn, und der Herr unser
Gott segnet ja das Andenken der Gereckten in ihren Kindern
und Kindeskindern.

Zum Dritten und Letzten: der Herzog, der kommen wollte, ‘
war Friedrich Wilhelm, der mit der schwarzen Beutclmütze -
und dem Todtenkopf davor, der später als Held bei Waterloo 1
fiel, der deutsche Mann, Einer der wenigen Fürsten Deutsch-
lands, vielleicht der Einzige, der sich nie und nimmer mit dem j
Corfischen Gewalthaber eingelassen, sondern ihm immer grimmig j
die Zähne gewiesen hat, ihm nichts verdanken wollte und ihm
doch so viel zu verdanken hat, ich meine die Gelegenheit, für
seines deutschen Vaterlandes Unabhängigkeit und zu seines
Braunschweigcr Landes ewigem Nachruhm den Heldentod zu
sterben. Dieser Friedrich Wilhelm war'S, der die Stadt be-
suchen wollte. Es war das erste Mal und sollte nach des
Schicksals Rathschluß das einzige Mal bleiben. Denn als
Erbprinz war der Herzog immer außer Landes in Preußischem
Kriegsdienste gewesen, und als Herzog hatte er, der deutsche
Mann, als er nicht mehr kämpfen konnte gegen den Corscn,
lieber seinem Vaterlande und seinem lieben Braunschweigcr !
Lande Valet gesagt, um bei dem fteien Volke der Britten
bessere Tage abzuwarten.

Dieser Herzog also war's, der erwartet wurde und dem
Aller Herzen begeistert entgegenschlugen. Es ward nun be-
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