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unscrm
Gewerbliche Erzählungen.
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nach Hause nicht allein finden? Wahrscheinlich ist es solch' ein
verzogenes Muttersöhnchen, das sich fürchtet, wenn cs von der
Hand seiner Aeltcrn loskomint."
„Und welch' lächerlichen Kindcrhut trägt er da in der
Hand," meinten noch Andere.
So tönten dem großen Jungen von allen Seiten Spott-
reden nach, doch schien derselbe solche gar nicht zu beachten
und lief weiter, indem er immer weinend nach Papa und
Mama rief.
Die Acltern Charles befanden sich jetzt zufällig auch nahe
bei dem erwähnten Jungen, der wenige Schritte vor ihnen
sein Klagegeheul vernehmen ließ.
„Auch ein armes unglückliches Kind," seufzte die Mutter !
mit Thränen in den Augen.
„Aber viel größer als unser Charles," setzte der nicht ;
weniger betrübte Vater hinzu.
Bei den letzten Worten waren sie bis ganz dicht zu dem
Jüngling herangekomme», so daß dieser den klagenden Ausruf
hören mußte. Plötzlich wandte sich Jener rasch um und eilte
mit dem Jubclruf: Papa, Mama! auf die Aeltern des ver-
irrten Charles zu.
Diese traten beide entsetzt zurück.
„Wer sind Sie?" fragte der Vater.
„Was will der Mensch?" rief die Mutter.
„Kennt Ihr mich denn nicht mehr? Bin ich denn nicht Euer
Charles, den Ihr dort drüben verloren hattet?" So sprach der
sechzehnjährige Jüngling und entsetzt traten die Acltern einige
Schritte zurück. „Ach, wollt Ihr wirklich Euer» guten, kleinen
Charles nicht mehr erkennen?" jammerte der junge Mensch
unter den kindlichsten Thränen.
„Sie können wohl ein Charles sein, aber dennoch leider
nicht unser Charles," sagte der Vater.
„Wie, Vater, Du willst mich verstoßen? Bin ich denn
nicht Dein Kind mehr? Sieh doch hier den Hut, den Du mir
noch gestern erst gekauft und hier die Schuhe von
Nachbar Bichot!"
Die Acltern waren außer sich vor Erstaunen, denn Mes
was der Jüngling da sagte, traf ein bis zum Pünktchen und
jetzt erst fiel ihnen auch die Aehnlichkeit mit dem verirrten Charles
auf. „Hier habe ich auch noch den Sou, den Du mir heute
Morgen gabst, um Coco zu kaufen, Mama," fuhr der Jüngling fort.
„Ach ja, ja. Du bist's! Du bist mein Sohn Charles!"
jubelte die Mutter, indem sic Jenen in die Arme schloß.
„Ich möchte es wahrlich selbst glauben," stotterte der Vater
noch immer außer sich vor Erstaunen, „aber sagen Sie — oder
sage Du mir wenigstens, wo Du plötzlich so groß geworden bist.
Sind es doch noch keine vier Stunden, daß wir Dich vermissen."
Und jetzt erzählte Charles, denn er mar cs, er mußte es
sein, wie er, nachde.m er sich vorhin müde gesucht und heiser
genifen habe, von Müdigkeit übermannt, sich drüben bei den
Rohprodukten auf ein Faß gesetzt und dort fest eingeschlafen
sei. Nach einigen Stunden sei er wieder erwacht und sei es
ihm allerdings selbst vorgekommen, als müsse eine Veränderung
mit ihm geschehen sein, aber er wäre darüber nicht klar
gewesen. Nur habe er gefunden, daß sein Hut, den er neben
sich auf den Boden gelegt, ihm jetzt viel zu klein gewesen sei,
als er denselben aufsctze» wollte. Dann habe er seine Ver-
suche, die Aeltcrn wieder zu finden, mit Eifer fortgesetzt, doch
sei es ihm freilich ausgefallen, daß jetzt die Leute, die ihn
früher so theilnahmsvoll bedauert, plötzlich spöttisch über ihn
gelacht und Bemerkungen gemacht, die er nicht verstanden.
Deshalb sei er auch jetzt so froh und glücklich, seine gute» |
Aeltcrn endlich wieder gefunden zu haben.
Die Aeltcrn jedoch konnten sich noch immer nicht von j
ihrem Erstaunen erholen und besonders wollte es dem Vater 1
nicht ni den Kopf, wie man jetzt einen Knaben von sechs !
Jahren verlieren kann, um denselben in vier Stunden
als Jungen von mindestens sechSzchn Sommern
wiedcrzufinden. Die Umstehenden sprachen
gleichfalls von Wunderdingen, Hcrcnstückchen
und man beschloß endlich, sich
dem Knaben dorthin führen zu lassen,
er den verhängnißvollcn Schlummer
gehalten, der ihn so plötzlich vollständig
metamorphosirt hatte.
Nicht ohne Mühe gelang es Charles,
jenen Ort zu bezeichnen, doch endlich be-
hauptete er mtt völliger Bestimmtheit, dort
auf jenem kleinen Fäßchen gesessen zu ha-
ben, welches mit einem grauen Pulver an-
gcfiillt war. Man eilte hinzu, untersuchte
das Fäßchen näher und was war sein
Inhalt:
Echter peruanischer Guano!
(Aus demDepot der Herren George
Morville kreres et 6omp. in
Havre.)
I l*
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Gewerbliche Erzählungen.
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nach Hause nicht allein finden? Wahrscheinlich ist es solch' ein
verzogenes Muttersöhnchen, das sich fürchtet, wenn cs von der
Hand seiner Aeltcrn loskomint."
„Und welch' lächerlichen Kindcrhut trägt er da in der
Hand," meinten noch Andere.
So tönten dem großen Jungen von allen Seiten Spott-
reden nach, doch schien derselbe solche gar nicht zu beachten
und lief weiter, indem er immer weinend nach Papa und
Mama rief.
Die Acltern Charles befanden sich jetzt zufällig auch nahe
bei dem erwähnten Jungen, der wenige Schritte vor ihnen
sein Klagegeheul vernehmen ließ.
„Auch ein armes unglückliches Kind," seufzte die Mutter !
mit Thränen in den Augen.
„Aber viel größer als unser Charles," setzte der nicht ;
weniger betrübte Vater hinzu.
Bei den letzten Worten waren sie bis ganz dicht zu dem
Jüngling herangekomme», so daß dieser den klagenden Ausruf
hören mußte. Plötzlich wandte sich Jener rasch um und eilte
mit dem Jubclruf: Papa, Mama! auf die Aeltern des ver-
irrten Charles zu.
Diese traten beide entsetzt zurück.
„Wer sind Sie?" fragte der Vater.
„Was will der Mensch?" rief die Mutter.
„Kennt Ihr mich denn nicht mehr? Bin ich denn nicht Euer
Charles, den Ihr dort drüben verloren hattet?" So sprach der
sechzehnjährige Jüngling und entsetzt traten die Acltern einige
Schritte zurück. „Ach, wollt Ihr wirklich Euer» guten, kleinen
Charles nicht mehr erkennen?" jammerte der junge Mensch
unter den kindlichsten Thränen.
„Sie können wohl ein Charles sein, aber dennoch leider
nicht unser Charles," sagte der Vater.
„Wie, Vater, Du willst mich verstoßen? Bin ich denn
nicht Dein Kind mehr? Sieh doch hier den Hut, den Du mir
noch gestern erst gekauft und hier die Schuhe von
Nachbar Bichot!"
Die Acltern waren außer sich vor Erstaunen, denn Mes
was der Jüngling da sagte, traf ein bis zum Pünktchen und
jetzt erst fiel ihnen auch die Aehnlichkeit mit dem verirrten Charles
auf. „Hier habe ich auch noch den Sou, den Du mir heute
Morgen gabst, um Coco zu kaufen, Mama," fuhr der Jüngling fort.
„Ach ja, ja. Du bist's! Du bist mein Sohn Charles!"
jubelte die Mutter, indem sic Jenen in die Arme schloß.
„Ich möchte es wahrlich selbst glauben," stotterte der Vater
noch immer außer sich vor Erstaunen, „aber sagen Sie — oder
sage Du mir wenigstens, wo Du plötzlich so groß geworden bist.
Sind es doch noch keine vier Stunden, daß wir Dich vermissen."
Und jetzt erzählte Charles, denn er mar cs, er mußte es
sein, wie er, nachde.m er sich vorhin müde gesucht und heiser
genifen habe, von Müdigkeit übermannt, sich drüben bei den
Rohprodukten auf ein Faß gesetzt und dort fest eingeschlafen
sei. Nach einigen Stunden sei er wieder erwacht und sei es
ihm allerdings selbst vorgekommen, als müsse eine Veränderung
mit ihm geschehen sein, aber er wäre darüber nicht klar
gewesen. Nur habe er gefunden, daß sein Hut, den er neben
sich auf den Boden gelegt, ihm jetzt viel zu klein gewesen sei,
als er denselben aufsctze» wollte. Dann habe er seine Ver-
suche, die Aeltcrn wieder zu finden, mit Eifer fortgesetzt, doch
sei es ihm freilich ausgefallen, daß jetzt die Leute, die ihn
früher so theilnahmsvoll bedauert, plötzlich spöttisch über ihn
gelacht und Bemerkungen gemacht, die er nicht verstanden.
Deshalb sei er auch jetzt so froh und glücklich, seine gute» |
Aeltcrn endlich wieder gefunden zu haben.
Die Aeltcrn jedoch konnten sich noch immer nicht von j
ihrem Erstaunen erholen und besonders wollte es dem Vater 1
nicht ni den Kopf, wie man jetzt einen Knaben von sechs !
Jahren verlieren kann, um denselben in vier Stunden
als Jungen von mindestens sechSzchn Sommern
wiedcrzufinden. Die Umstehenden sprachen
gleichfalls von Wunderdingen, Hcrcnstückchen
und man beschloß endlich, sich
dem Knaben dorthin führen zu lassen,
er den verhängnißvollcn Schlummer
gehalten, der ihn so plötzlich vollständig
metamorphosirt hatte.
Nicht ohne Mühe gelang es Charles,
jenen Ort zu bezeichnen, doch endlich be-
hauptete er mtt völliger Bestimmtheit, dort
auf jenem kleinen Fäßchen gesessen zu ha-
ben, welches mit einem grauen Pulver an-
gcfiillt war. Man eilte hinzu, untersuchte
das Fäßchen näher und was war sein
Inhalt:
Echter peruanischer Guano!
(Aus demDepot der Herren George
Morville kreres et 6omp. in
Havre.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Gewerbliche Erzählungen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 22.1855, Nr. 515, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg