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10

Die alte

etwas zurück. Die Nachtigallen saugen immerfort. Hermine
ging in den Hintergrund des Zimmers. Da stand eine Kiste.
Der Schneider hatte sie geschickt. Es waren neue Kleider
darin. Hermine stand sinnend. Ob sie heute die Neuigkeiten
noch ansehen sollte? Sie war schön, wie sie so stand, leicht,
sylphenhaft. Das Nachtgewand umfloß sie wunderbar. Der
Busen Ivogte frei, blendend. Die Füße waren nackt in den
feinen Hausschuhen von Atlas. Der Atlas war weiß, zart,
schimmernd. Die Füße waren noch weißer, zarter, schim-
mernder.

Hermine öffnete den Deckel der Kiste. Es regte sich
in derselben. Sie wollte schreien, sie konnte nicht. Eine
schwarze Gestalt richtete sich auf, schwach, schwankend, nach
Luft schnappend. Es war Hermann, er sank in die Knie;
er schloß die Augen, er war geblendet; er faltete die Hände,
er betete an.

Hermine war anbetungswürdig.

Aber jetzt war keine Zeit zum Anbeten. Hermann
fühlte das. Er suchte seine Sprache; er fand sie.

„Ich bin kein Räuber — ich bin kein Mörder —
Erbarmen!"

Er sagte das jammernd, kläglich, leise.

„Wie können Sie es wagen, in dieser Weise —"

„Ich wagte es nicht. Ich wollte zu Ihnen — nein,
ich wollte nicht so zu Ihnen — anders — rufen Sie nicht

— ich bin verloren — ich wollte Ihnen dies wiedergeben."

Hermann zog das oft erwähnte Band aus der Vorder-
tasche seines Rockes.

Hermine erröthete. Sie hatte es erkannt.

„Es ist das Einzige, was ich je genommen," fuhr der
junge Mann fort, keuchend, weinend, „und es hat mich zu
Grunde gerichtet."

Er hielt inne.

„Ich ivollte es Ihnen selbst zurückgeben — kein Mensch
sollte es berühren — ich konnte es nicht in die Hände der
Schergen kommen lassen — ich werde verfolgt — angeklagt

— verurtheilt — vielleicht hingerichtet — aber ich bin un-
schuldig — der Schein spricht gegen mich — mag er sprechen

— die Menschen mögen den Stab über mich brechen — nur
Sie sollen mich nicht für schlecht, für einen Verbrecher halten."

Ein Schritt ertönte. Er ertönte vor der Thüre des
Schlafzimmers. Die Thüre öffnete sich. Die alte Muhme
stand ans der Schwelle. Sie sah Alles. Sie stieß einen
Schrei ans. Dieser war scharf, gellend, häßlich.

„Ich bin entehrt," rief Hermine.

„Du bist's," keuchte die Muhme.

Der alte Baron trat in die Thüröffnung. Er war
klein, fett, kugelförmig. Sein Leib steckte in einem Schlaf-
rvcke; der Kopf war mit einer Nachtmütze bedeckt. Der alte
Baron warf einen Blick auf den jungen Schneider, der noch
immer in der Kiste kniete. Der Blick war blutdürstig, mör-
derisch. Er suchte nach einer Waffe. Auf einem Nähtischchen
lag eine Scheere. Der alte Baron ergriff sie. Er stürzte
sich damit ans Hermann. Hermine warf sich zwischen Beide.

Muhme.

„Ich inuß ihn tödten — er hat die Ehre meiner
Tochter angetastet!"

„Ich habe nichts angetastet," heulte Hermann.

„Tödte ihn, aber tödte ihn nicht hier," flehte Hermine 1
milde, weiblich, „ich bin unschuldig, beflecke mein Zimmer
nicht mit seinem Blnte —• er ist ein Schneider!"

„Dann muß ich ihn doppelt tödten," schännrte der alte
Baron.

Die Muhme war näher getreten. Sie hatte Hermann
erkannt.

„Sie sollen ihn nicht tödten," sagte sie fest, bestimmt.

„Ich muß. Meine Ehre erfordert es."

„Ich sage nein. Folgen Sie mir, folgen Sie mir gleich
in's Nebenzimmer."

Die alte Muhnie sprach so sonderbar, so bestimmt.

„Und hier?" frug er.

„Hier hat es keine Gefahr, folgen Sie mir."

Er folgte ihr. Er mußte. Sie hatte ihn an den
Händen gefaßt.

Das Nebenzimmer war nicht beleuchtet. Nur der Mond
schien herein. Er schien blaß, bläulich, beinahe geisterhaft.
Der alte Baron fühlte sich noch immer von den Händen
der alten Muhme, wie von einem Paar Kneipzangen gefaßt.

„Sie sind selbst ein Mörder," sagte die alte Muhme
mit ihrer metallenen Stimme.

„Sie sind eine Närrin."

„Nein, Sie haben diesen Hermann schon einmal er-
mordet — Sie sollen cs nicht wieder thnn. Nein, Sie
sollen nicht.

„Sie ist entschieden übergeschnappt."

„Er ist Ihr Neffe."

„Elende —"

„Er ist es. Sie glauben, Sie haben ihn vergiftet —
ich habe ihn gerettet —"

„Sie lügen —"

„Hören Sie. Sie waren sein Vormund. Er sollte
einst die großen Güter Ihres Bruders erben. Sie lvaren
arm, verschuldet. Ich hatte das Kind gepflegt von Jugend
auf. Ich liebte es. Ihnen war es im Wege. Es mußte
bei Seite geschafft werden. Sie kamen auf das Gut. Sie
ivollten es mit Ihnen nehmen, um es langsam zu tödten."

„Nein!"

„Ich wußte es. Ich hatte schon oft von solchen Thaten
gelesen. Sie waren einer solchen fähig."

„Nein!"

„Ich sagte, das Kind sei kränklich. Es könne die Reise
nicht ertragen. Sie wollten wissen, was ihm fehle. Ich
sagte irgend etwas. Eine Kinderkrankheit. Sie wollten blei-
ben, bis es gesund würde. Sie blieben. Ich beobachtete Sie.
Ich hatte Ihnen ein Zimmer gegeben, in das ich heimlich
hineinsehen konnte. Ich that es. Ich sah, wie Sic eine
Brieftasche voll Fläschchen öffneten, wie Sie suchten, wie Sie
Ihre Wahl trafen."

„Mein Gott!" rief der Baron.
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