11
Die alte
„Ja, rufen Sie nur Gott an. Ich konnte keinen
Zweifel mehr über Ihre schwarze Absicht haben. Ich wollte
^hen, ob Sie dieselbe ausführen wollten. Das Kind bekam
eine Suppe. Es war eine Einmachsuppe. Ich sollte sie ihm
lelber geben. Ich ging nach dem Löffel. Ober deni kleinen
j schrank hing ein Spiegel. Darin konnte ich die verlassene
Suppe sehen. Sie näherten sich ihr. Sie öffneten ein Fläschchen,
Sie gossen das Gift in die Suppe. Die That war vollbracht."
„Barmherziger Himmel!"
„Ich schickte Sie nach Etwas, während dem goß ich
die vergiftete Suppe weg. Ich beschloß, die gräuliche That
nicht anzuzeigen. Ich wollte einen Freiherrn von Senfkorn
nicht enden sehen unter dem Beil des Henkers."
Der Baron erbleichte maßlos, er zitterte, er war end-
lich gebrochen.
„Ich gab dem Kinde einen Schlaftrunk," fuhr die alte
Muhme fort, härter, metallener, als je, es schlief fest, todtähn-
lich. Ich sah, wie Sie erbebten. Sie glaubten, Ihr Gift
habe zu schnell gewirkt. Das Kind galt für gestorben. Es
wurde in die Familiengruft gebracht. Ich ließ es durch
einen alten, treuen, verschwiegenen Diener ivieder aus seinem
'Sargchm nehmen. Ich ließ es erziehen im Stillen bei einem
Schneider. Ich selbst konnte es nicht thun. Ich mußte Sie
überwachen, daß Sie nicht allzuarg mit dem Eigenthum Ihres
Spfers wirthschafteten. Ich that es. Ich erzog Ihre Tochter,
^te sollte keine Bösewichtin werden, Ivenn auch ein Verbrecher
'hr das Leben gab. Der Junge Ivnchs heran. Ich fand
e8 gut, daß er für alle Fälle ein Handwerk erlerne. Er
d'ollte Schneider werden. Er Ivard es. Er ist es."
„Ein Schneiderl" schrie der Baron.
„Ja, und doch ist er der rechtmäßige Besitzer der frei-
Wrrlich Senfkornffchen Güter."
Bi u h m e.
„Es ist nicht niöglich I"
„Lassen Sie die freiherrliche Gruft öffnen, sie wird
einen kleinen Sarg enthalten. Dieser Sarg wird leer sein.
Rufen Sie den alten Pankraz, er wird Ihnen sagen, wie
wir den armen, kleinen Baron zu dem ehrlichen Schneider
gebracht."
„Ich bin unschuldig an der gräßlichen That," sagte der
Baron nach einer langen, schweren Pause, „ich hatte nie die
Absicht, meinen Neffen zu tödten. Ich fing damals an,
Homöopathie zu treiben ■— ich dachte seine Genesung zu
befördern. Ich war entsetzt, als ich ihn lallend fand. Ich
schrieb es meinem unschuldigen Mittel zu. Ich war trost-
los, als man ihn für todt erklärte. Ich wollte ihn seciren
lassen. Sie wissen es."
„Ja."
„Sie litten es nicht. Ich frug meinen Arzt unzählige
Male, ob mein Mittel unter irgend einem Umstande, selbst
bei dem schwächsten Kinde, den Tod herbeiführen könnte.
Er verneinte es entschieden. Ich bin in der That schuldlos.
Ich will meinem Neffen nichts von dem vorenthalten, was
ihm gebührt. Ich ivill fortziehen mit meiner Hermine, arm,
hilflos, er soll Alles haben, Alles."
Der Baron ächzte. Er ächzte ans dem Grunde seines
Herzens.
„Also sind Sie wirklich schuldlos?" rief die alte Muhme.
„Dann bin ich eine Betrügerin — ich habe ihn betrogen um
seinen Namen, um seinen Stand, um sein Vermögen. Und
er war das Kind meiner ersten Liebe."
„Wie? Er ist Ihr Kind? Mein Bruder war ein
Ehebrecher?"
„Nein, er war es nicht. Ich liebte ihn still, heimlich.
Er wußte nichts davon. Er starb, ohne davon zu wissen.
Ich liebte sein Kind, weil es von ihm war. Ich vergötterte
es. Ich habe es zu einem Schneider gemacht!"
„Das haben Sie. Ich kann ihm Alles geben, nur
seinen Namen nicht. Es wäre eine Entehrung für unseren
ganzen Stand, wenn diese Skandalgeschichte veröffentlicht
würde. Sie muß ein Geheimniß bleiben. Ich würde es
nicht überleben, wenn die Welt erführe, niein Neffe sei jahre-
lang ein Schneider gewesen."
„Was sollen wir thun?"
Der Baron sann nach. Er sann lange, tief. Endlich
sagte er: „Ich habe es."
Er hatte es.
„Der Graf Steinfels ist arm, verschuldet. Er will
einen Bürgerlichen adoptiren. Aber nicht umsonst. Er hat
Einfluß bei Hofe. Er kann es. Ich rieth ihm ab. Ich
hielt es für eine Schande. Jetzt ist es anders. Er soll ;
Hermann adoptiren. Ich lvill ihm das halbe Vermögen des- >
selben geben. Ich Ivill ihm «ub rosa Alles erzählen. Her-
mann wird Graf. Er ist gerettet."
„Gott sei Dank, er ist es! Er liebt Ihre Tochter.
Das Vermögen bleibt beisammen."
„Vielleicht auch nicht."
Die alte
„Ja, rufen Sie nur Gott an. Ich konnte keinen
Zweifel mehr über Ihre schwarze Absicht haben. Ich wollte
^hen, ob Sie dieselbe ausführen wollten. Das Kind bekam
eine Suppe. Es war eine Einmachsuppe. Ich sollte sie ihm
lelber geben. Ich ging nach dem Löffel. Ober deni kleinen
j schrank hing ein Spiegel. Darin konnte ich die verlassene
Suppe sehen. Sie näherten sich ihr. Sie öffneten ein Fläschchen,
Sie gossen das Gift in die Suppe. Die That war vollbracht."
„Barmherziger Himmel!"
„Ich schickte Sie nach Etwas, während dem goß ich
die vergiftete Suppe weg. Ich beschloß, die gräuliche That
nicht anzuzeigen. Ich wollte einen Freiherrn von Senfkorn
nicht enden sehen unter dem Beil des Henkers."
Der Baron erbleichte maßlos, er zitterte, er war end-
lich gebrochen.
„Ich gab dem Kinde einen Schlaftrunk," fuhr die alte
Muhme fort, härter, metallener, als je, es schlief fest, todtähn-
lich. Ich sah, wie Sie erbebten. Sie glaubten, Ihr Gift
habe zu schnell gewirkt. Das Kind galt für gestorben. Es
wurde in die Familiengruft gebracht. Ich ließ es durch
einen alten, treuen, verschwiegenen Diener ivieder aus seinem
'Sargchm nehmen. Ich ließ es erziehen im Stillen bei einem
Schneider. Ich selbst konnte es nicht thun. Ich mußte Sie
überwachen, daß Sie nicht allzuarg mit dem Eigenthum Ihres
Spfers wirthschafteten. Ich that es. Ich erzog Ihre Tochter,
^te sollte keine Bösewichtin werden, Ivenn auch ein Verbrecher
'hr das Leben gab. Der Junge Ivnchs heran. Ich fand
e8 gut, daß er für alle Fälle ein Handwerk erlerne. Er
d'ollte Schneider werden. Er Ivard es. Er ist es."
„Ein Schneiderl" schrie der Baron.
„Ja, und doch ist er der rechtmäßige Besitzer der frei-
Wrrlich Senfkornffchen Güter."
Bi u h m e.
„Es ist nicht niöglich I"
„Lassen Sie die freiherrliche Gruft öffnen, sie wird
einen kleinen Sarg enthalten. Dieser Sarg wird leer sein.
Rufen Sie den alten Pankraz, er wird Ihnen sagen, wie
wir den armen, kleinen Baron zu dem ehrlichen Schneider
gebracht."
„Ich bin unschuldig an der gräßlichen That," sagte der
Baron nach einer langen, schweren Pause, „ich hatte nie die
Absicht, meinen Neffen zu tödten. Ich fing damals an,
Homöopathie zu treiben ■— ich dachte seine Genesung zu
befördern. Ich war entsetzt, als ich ihn lallend fand. Ich
schrieb es meinem unschuldigen Mittel zu. Ich war trost-
los, als man ihn für todt erklärte. Ich wollte ihn seciren
lassen. Sie wissen es."
„Ja."
„Sie litten es nicht. Ich frug meinen Arzt unzählige
Male, ob mein Mittel unter irgend einem Umstande, selbst
bei dem schwächsten Kinde, den Tod herbeiführen könnte.
Er verneinte es entschieden. Ich bin in der That schuldlos.
Ich will meinem Neffen nichts von dem vorenthalten, was
ihm gebührt. Ich ivill fortziehen mit meiner Hermine, arm,
hilflos, er soll Alles haben, Alles."
Der Baron ächzte. Er ächzte ans dem Grunde seines
Herzens.
„Also sind Sie wirklich schuldlos?" rief die alte Muhme.
„Dann bin ich eine Betrügerin — ich habe ihn betrogen um
seinen Namen, um seinen Stand, um sein Vermögen. Und
er war das Kind meiner ersten Liebe."
„Wie? Er ist Ihr Kind? Mein Bruder war ein
Ehebrecher?"
„Nein, er war es nicht. Ich liebte ihn still, heimlich.
Er wußte nichts davon. Er starb, ohne davon zu wissen.
Ich liebte sein Kind, weil es von ihm war. Ich vergötterte
es. Ich habe es zu einem Schneider gemacht!"
„Das haben Sie. Ich kann ihm Alles geben, nur
seinen Namen nicht. Es wäre eine Entehrung für unseren
ganzen Stand, wenn diese Skandalgeschichte veröffentlicht
würde. Sie muß ein Geheimniß bleiben. Ich würde es
nicht überleben, wenn die Welt erführe, niein Neffe sei jahre-
lang ein Schneider gewesen."
„Was sollen wir thun?"
Der Baron sann nach. Er sann lange, tief. Endlich
sagte er: „Ich habe es."
Er hatte es.
„Der Graf Steinfels ist arm, verschuldet. Er will
einen Bürgerlichen adoptiren. Aber nicht umsonst. Er hat
Einfluß bei Hofe. Er kann es. Ich rieth ihm ab. Ich
hielt es für eine Schande. Jetzt ist es anders. Er soll ;
Hermann adoptiren. Ich lvill ihm das halbe Vermögen des- >
selben geben. Ich Ivill ihm «ub rosa Alles erzählen. Her-
mann wird Graf. Er ist gerettet."
„Gott sei Dank, er ist es! Er liebt Ihre Tochter.
Das Vermögen bleibt beisammen."
„Vielleicht auch nicht."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die alte Muhme"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 42.1865, Nr. 1018, S. 11
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg