59
Ein Briefmarken- Sammler.
^rten zurückgelassen, hatte er sorgfältig gesammelt und auf-
^hoben. Vor den Stubenmädels war er Morgens schon in
Cn/ von den Reisenden verlassenen Stuben erschienen und
WU Kisten und Kasten durchstöbert und seine papiernen
schätze gehoben. So war er denn nach und nach in den
einer fast unzähligen Menge jener kleinen, bunten,
'^druckten und beschmutzten Papierstückchcn gekommen, die die
^vnne eines Briefmarkensammlers bilden. Einen Katalog
Ziesche und Köder aus Leipzig hatte er sich für zehn
^ilbergroschen als Handbuch angeschafst, endlich ein elegantes,
’n rothes Schafleder gebundenes Album, dann mit Hilfe
äieschx's und Köder's eine Auswahl seiner angehäuften
schätze getroffen und solche in besagtem Album firirt, das
mit Kleister festgeklebt. Obschon er vielerlei Marken
^tte, so fehlten ihm doch noch manche Sorten und beson-
^rs etwelche, sogenannte Seltenheiten, wodurch seine Sehn-
sucht stets rege gehalten, seine Leidenschaft für das Sammeln
I^ets aufgefrischt wurde. Nun aber saß der reiche, arme
Sammler in dem stillen, verwahrlosten Schlaberndorf, das
!n der Kultur um hundert Jahre zurück zu sein schien, mit
!9nen Schätzen. Niemand kümmerte sich um sie, um ihren
Besitzer; keine theilnehmende, sammelnde Seele fand er, der
et feine Seltenheiten zeigen, von der er sie bewundern, sich
^neiden lassen konnte. Sein Herz war vollständig überfüllt,
^derfluthet von Marken aller Länder. Gott Merkur beherrschte
^ unbedingt und Amor hätte höchstens in der Gestalt eines
^hurn- und Taris'schen Postsekretärs einen Kampf mit ihm
i ^nehmen, sich Eingang verschaffen können.
Zweierlei plagte also den genialen Oberkellner, genau
!°je seine Herrin, die stattliche Frau Wittwe Schnepfe! ihrer-
!Clt® von Zweierlei geplagt wurde: Unerwiederte Gefühle für
^>re beiderseitigen, doch leider so stark auseinanderlausenden
: dassionen und die von Stammgästen entblößte Wirthsstube.
. Oftmals wälzte sich Franz Kreide auf seinem einsamen Jung-
, 8eleIIenlctger schlaflos umher und suchte nach Abhilfe dieser
Appellen Uebelstände, denn das Eine lag ihm so schwer
4ut dem Herzen, als das Andere drin. Da erschien ihm
, ln einer solchen stürmischen Nacht seine Göttin, seine Muse,
; !n Gestalt einer riesigen Briefmarke, angethan mit einer
, Achtbaren Krinoline, welche mit allen fünfzehnhundert be-
, Lunten und unzähligen andern unbekannten Arten von Brief-
; Marken in schönster, sinnigster Gruppirung verziert war. Sie
e buchte ihm einen Gedanken ein, welcher der Brust ihres
, Zäumenden JüngerS einen Freudenschrei entlockte.
„Ja, so geht's!" schrie er plötzlich, wach und munter
i ^worden, auf, sich in die Höhe richtend und das würdige
J ^"upt mit beiden Händen fassend, als ob er den glücklichen,
- ^ ^stbaren, genialen Gedanken festhaltcn, für ewig bannen wollte.
> '^So feft es geschehen, und beide Fliegen werden mit einem
! Schlage getroffen. Hab' Dank, Du meine Muse, die zehnte, die
i \ ^Jentlich die erste sein sollte! Du standest mir bei in meiner
- Ochsten Noth, darum verspreche ich Dir auch ewige Treue,
i Einige Tage nach dieser nächtlichen Scene brachte das
I^den Samstag erscheinende Wochenblättchen Schlaberndorfs
folgende höchst merkwürdige Anzeige, die Jung und Alt in
das größte Erstaunen, ja nach und nach in furchtbarste Auf-
regung versetzte. Unter allerlei Annoncen von billigem Ochsen-
fleisch, entflogenen und abhanden gekommenen Kanarienvögeln,
Hunden und Palatins, zu vermiethenden Logis, Hoffschen
Malzextrakt, Stollwerk'schen Brustkaramellen und ähnlichen
schönen Sachen? stand zu lesen:
„ Einem kunstliebenden Publikum Schlaberndorfs die
ergebenste Anzeige, daß am nächsten Mittwoch Abends einer
der berühmtesten Briefmarkensammler Europas im Schlabern-
dorfer Hofe dahier eintreffen wird. Er erlaubt sich, alle ge-
ehrten Markomanen, alle Sammler und Liebhaber von Brief-
marken, dieser neuesten Erfindung unseres Jahrhunderts,
ergebenst einzuladcn, seine große, einzige Sammlung in Augen-
schein zu nehmen. Auch ist er bereit zu tauschen und gewöhn-
liche, wie seltene Marken nach Kurs abzulassen, da seine
Sammlung, wie seine Mittel ihm dies erlauben."
Die Schlaberndorfer geriethen in der That nach und
nach, je nachdem sie rasch oder weniger rasch die ganze Trag-
weite dieser merkwürdigen Anzeige kapirt hatten, außer sich.
In allen Familien wurde von dem berühmten Briefmarken-
Sammler gesprochen, wie Der oder Jener gehört, in verschie-
denen Blättern gelesen, daß die nobelsten Herren und Damen
in England, selbst die Kaiserin Eugenie, die Königin Viktoria
sich Briefmarken-Albums angelegt, daß diese Albums die der
Photographien, der Visitenkarten sogar schon vollständig ver-
drängt hätten. In den Schulen predigten die Lehrer ihren
Schülern davon, denn die neue Liebhaberei schien ihnen be-
sonders im geographischen Unterricht einige Erleichterung und
etwas weniger Aerger zu versprechen.
Gereiste, gesetzte Männer waren nicht weniger neu-
gierig, als die Jugend, die versprochene, große Sammlung
zu schauen, zu bewundern, was da allenthalben in der Welt
so großes Interesse erregte, „fashionable" geworden war.
Kurz, Jung und Alt geriethen mehr und mehr in wirkliche
und gerechte Aufregung und man konnte den bevorstehenden
Mittwoch Abend kaum erwarten, um sich dann in Masse im
Schlaberndorfer Hofe einzufinden.
In diesem selbst hatte die unerwartete, seltsame Annonce
auch einiges Staunen hervorgerufen, besonders bei Frau
Schnepfe!. Wie hatte ohne ihr Wissen etwas Derartiges in ;
das Wochenblättchen kommen können? Sie citirte sogleich
mit recht ernster Miene den Herrn Franz Kreide vor ihr
Antlitz. Doch als dieser nüt vollendeter Oberkellner-Haltung,
den rechten Arm graziös schlenkernd, die blendend weiße Ser- !
vielte höchst malerisch auf dem linken drappirt, vor ihr er- i
schien, und berichtete, was er gethan und was er zu erlangen !
hoffe — da entkleidete sich das Antlitz der gebietenden Herrin
von seinem hohen Ernste und mit süßem, holdem Lächeln
schaute sie den Mann an, der solche Gedanken für ihr, für j
das Wohl ihres Schlaberndorfer Hofes fassen und auch zur j
Ausführung bringen konnte. Sie gelobte dem wackern Manne !
still, doch feurig, Vergeltung, Revanche! und hätte der Ober-
kellner gewußt, was in diesem Augenblicke in ihrer Seele, in ;
8*
Ein Briefmarken- Sammler.
^rten zurückgelassen, hatte er sorgfältig gesammelt und auf-
^hoben. Vor den Stubenmädels war er Morgens schon in
Cn/ von den Reisenden verlassenen Stuben erschienen und
WU Kisten und Kasten durchstöbert und seine papiernen
schätze gehoben. So war er denn nach und nach in den
einer fast unzähligen Menge jener kleinen, bunten,
'^druckten und beschmutzten Papierstückchcn gekommen, die die
^vnne eines Briefmarkensammlers bilden. Einen Katalog
Ziesche und Köder aus Leipzig hatte er sich für zehn
^ilbergroschen als Handbuch angeschafst, endlich ein elegantes,
’n rothes Schafleder gebundenes Album, dann mit Hilfe
äieschx's und Köder's eine Auswahl seiner angehäuften
schätze getroffen und solche in besagtem Album firirt, das
mit Kleister festgeklebt. Obschon er vielerlei Marken
^tte, so fehlten ihm doch noch manche Sorten und beson-
^rs etwelche, sogenannte Seltenheiten, wodurch seine Sehn-
sucht stets rege gehalten, seine Leidenschaft für das Sammeln
I^ets aufgefrischt wurde. Nun aber saß der reiche, arme
Sammler in dem stillen, verwahrlosten Schlaberndorf, das
!n der Kultur um hundert Jahre zurück zu sein schien, mit
!9nen Schätzen. Niemand kümmerte sich um sie, um ihren
Besitzer; keine theilnehmende, sammelnde Seele fand er, der
et feine Seltenheiten zeigen, von der er sie bewundern, sich
^neiden lassen konnte. Sein Herz war vollständig überfüllt,
^derfluthet von Marken aller Länder. Gott Merkur beherrschte
^ unbedingt und Amor hätte höchstens in der Gestalt eines
^hurn- und Taris'schen Postsekretärs einen Kampf mit ihm
i ^nehmen, sich Eingang verschaffen können.
Zweierlei plagte also den genialen Oberkellner, genau
!°je seine Herrin, die stattliche Frau Wittwe Schnepfe! ihrer-
!Clt® von Zweierlei geplagt wurde: Unerwiederte Gefühle für
^>re beiderseitigen, doch leider so stark auseinanderlausenden
: dassionen und die von Stammgästen entblößte Wirthsstube.
. Oftmals wälzte sich Franz Kreide auf seinem einsamen Jung-
, 8eleIIenlctger schlaflos umher und suchte nach Abhilfe dieser
Appellen Uebelstände, denn das Eine lag ihm so schwer
4ut dem Herzen, als das Andere drin. Da erschien ihm
, ln einer solchen stürmischen Nacht seine Göttin, seine Muse,
; !n Gestalt einer riesigen Briefmarke, angethan mit einer
, Achtbaren Krinoline, welche mit allen fünfzehnhundert be-
, Lunten und unzähligen andern unbekannten Arten von Brief-
; Marken in schönster, sinnigster Gruppirung verziert war. Sie
e buchte ihm einen Gedanken ein, welcher der Brust ihres
, Zäumenden JüngerS einen Freudenschrei entlockte.
„Ja, so geht's!" schrie er plötzlich, wach und munter
i ^worden, auf, sich in die Höhe richtend und das würdige
J ^"upt mit beiden Händen fassend, als ob er den glücklichen,
- ^ ^stbaren, genialen Gedanken festhaltcn, für ewig bannen wollte.
> '^So feft es geschehen, und beide Fliegen werden mit einem
! Schlage getroffen. Hab' Dank, Du meine Muse, die zehnte, die
i \ ^Jentlich die erste sein sollte! Du standest mir bei in meiner
- Ochsten Noth, darum verspreche ich Dir auch ewige Treue,
i Einige Tage nach dieser nächtlichen Scene brachte das
I^den Samstag erscheinende Wochenblättchen Schlaberndorfs
folgende höchst merkwürdige Anzeige, die Jung und Alt in
das größte Erstaunen, ja nach und nach in furchtbarste Auf-
regung versetzte. Unter allerlei Annoncen von billigem Ochsen-
fleisch, entflogenen und abhanden gekommenen Kanarienvögeln,
Hunden und Palatins, zu vermiethenden Logis, Hoffschen
Malzextrakt, Stollwerk'schen Brustkaramellen und ähnlichen
schönen Sachen? stand zu lesen:
„ Einem kunstliebenden Publikum Schlaberndorfs die
ergebenste Anzeige, daß am nächsten Mittwoch Abends einer
der berühmtesten Briefmarkensammler Europas im Schlabern-
dorfer Hofe dahier eintreffen wird. Er erlaubt sich, alle ge-
ehrten Markomanen, alle Sammler und Liebhaber von Brief-
marken, dieser neuesten Erfindung unseres Jahrhunderts,
ergebenst einzuladcn, seine große, einzige Sammlung in Augen-
schein zu nehmen. Auch ist er bereit zu tauschen und gewöhn-
liche, wie seltene Marken nach Kurs abzulassen, da seine
Sammlung, wie seine Mittel ihm dies erlauben."
Die Schlaberndorfer geriethen in der That nach und
nach, je nachdem sie rasch oder weniger rasch die ganze Trag-
weite dieser merkwürdigen Anzeige kapirt hatten, außer sich.
In allen Familien wurde von dem berühmten Briefmarken-
Sammler gesprochen, wie Der oder Jener gehört, in verschie-
denen Blättern gelesen, daß die nobelsten Herren und Damen
in England, selbst die Kaiserin Eugenie, die Königin Viktoria
sich Briefmarken-Albums angelegt, daß diese Albums die der
Photographien, der Visitenkarten sogar schon vollständig ver-
drängt hätten. In den Schulen predigten die Lehrer ihren
Schülern davon, denn die neue Liebhaberei schien ihnen be-
sonders im geographischen Unterricht einige Erleichterung und
etwas weniger Aerger zu versprechen.
Gereiste, gesetzte Männer waren nicht weniger neu-
gierig, als die Jugend, die versprochene, große Sammlung
zu schauen, zu bewundern, was da allenthalben in der Welt
so großes Interesse erregte, „fashionable" geworden war.
Kurz, Jung und Alt geriethen mehr und mehr in wirkliche
und gerechte Aufregung und man konnte den bevorstehenden
Mittwoch Abend kaum erwarten, um sich dann in Masse im
Schlaberndorfer Hofe einzufinden.
In diesem selbst hatte die unerwartete, seltsame Annonce
auch einiges Staunen hervorgerufen, besonders bei Frau
Schnepfe!. Wie hatte ohne ihr Wissen etwas Derartiges in ;
das Wochenblättchen kommen können? Sie citirte sogleich
mit recht ernster Miene den Herrn Franz Kreide vor ihr
Antlitz. Doch als dieser nüt vollendeter Oberkellner-Haltung,
den rechten Arm graziös schlenkernd, die blendend weiße Ser- !
vielte höchst malerisch auf dem linken drappirt, vor ihr er- i
schien, und berichtete, was er gethan und was er zu erlangen !
hoffe — da entkleidete sich das Antlitz der gebietenden Herrin
von seinem hohen Ernste und mit süßem, holdem Lächeln
schaute sie den Mann an, der solche Gedanken für ihr, für j
das Wohl ihres Schlaberndorfer Hofes fassen und auch zur j
Ausführung bringen konnte. Sie gelobte dem wackern Manne !
still, doch feurig, Vergeltung, Revanche! und hätte der Ober-
kellner gewußt, was in diesem Augenblicke in ihrer Seele, in ;
8*