Das Ideal.
134 Poesie auf dem Lande.
rührend einfacher Weise singt sie ein Loblied auf die schöne
Natur. Unschuld, Frohsinn und Freude an der schönen
Natur, — Euch findet man nur mehr auf dem Lande, —
ob eine Stadtdame so vom Lenz begeistert wäre, wie dies
Bauernmädchen?"
Wie der „Lenz"*) ausgesehen, den die Baucrndirne
gemeint hat.
Tröstliche Antwort.
Mein lieber H.
In Berücksichtigung der in Ihrem bescheidenen Bitt-
gesuche v. 2. h. I. angeführten Gründe, habe ich Sic auf
der Liste meiner Gläubiger um 100 Stellen, mithin von
Nr. 241 auf 141 avanciren lassen und dürfte Ihre Bezahlung
voraussichtlich dann erfolgen, wenn Ihre 140 Vordermänner
befriedigt worden sind. Ein weiteres Vorrücken wird von
Ihrem ferneren passiven Verhallen abhängig sein. Mit
aller Hochachtung
Ihr ergebener von S.
! An den Schneider-Meister Herrn H. hier.
In der Neligionsstundr.
Lehrer: „Man soll also seine Feinde lieben und ihnen
verzeihen, wenn sic einem etwas zu Leide gcthau haben!
Nun sage mir, Karl, würdest Du einem Knaben verzeihen,
welcher Dich geschlagen hat?"
Karl: „Ja, wenn er stärker ist, als ich."
*) Lenz — Lorenz.
Ich war 25 Jahre alt (man sagt, cs sei die Zeit der
Liebe), Lehrer an einem Knabcninstitute mit einer hübschen
Einnahme, wenig Bedürfnisien und keinen Sorgen, sah daher
fröhlich in die Welt. Und doch empfand ich zuweilen eine
merkwürdige Unruhe . . . der Arzt meinte, die auffallende
Hitze sei daran schuld, meine Freunde das gute Leben —
ich wußte, daß beide irrten. Ich schnürte mein Reisebündel,
ging und fuhr, wie eö eben paßte, und kam in Rosenwangcn
an, einem niedlichen Orte, den man leider auf der Karte
nicht finden wird. Rosenwangcn? Unwillkührlich dachte ich
an rosige Wangen, an verschämte, duftende Rvsenknöspchen
und dergleichen. Ich war jung — ist das nicht.genug
gesagt? Ja, ich gestehe offen, cö trieb mich die Sehnsucht,
ein Wesen zu finden, das meinem Ideale von Schönheit und
Lieblichkeit entspräche. Aber wie schwer sind Idealisten zu
befriedigen! Wie lange hatte ich schon gesucht — und doch
nicht gefunden!
Ich wandertc erregt die Straßen Roscnwangens auf
und ab, blickte nach den Fenstern, in die vorbeifahrcndcn
Wagen — ich sah wohl Damen — aber nicht mein Ideal.
Ich biege um eine HauSecke — ein Lockenköpfchcn tritt mir
entgegen, schwarz wie Ebenholz, die Wangen sanft gcröthct,
die anmuthigste Figur, die kleinsten Füße! Wir stehen vor
einander — crröthcnd trete ich zur Seite — sie auch —
ich fliege auf die andere Seite — sie auch — ich stürze auf
die andere Seite — sie auch — wir blicken einander in die
Augen — „Mein Ideal!" rufe ich im höchsten Entzücken
— und sie: „Mein Herr, sie sind ein Narr!" — „Ein
Narr — das muß ein Mißverständniß fein! Man sagte
immer, ich sei träumerisch, lebe halb in einer andern Welt,
doch" — ich stürze ohne Besinnen der Dame nach — sie
134 Poesie auf dem Lande.
rührend einfacher Weise singt sie ein Loblied auf die schöne
Natur. Unschuld, Frohsinn und Freude an der schönen
Natur, — Euch findet man nur mehr auf dem Lande, —
ob eine Stadtdame so vom Lenz begeistert wäre, wie dies
Bauernmädchen?"
Wie der „Lenz"*) ausgesehen, den die Baucrndirne
gemeint hat.
Tröstliche Antwort.
Mein lieber H.
In Berücksichtigung der in Ihrem bescheidenen Bitt-
gesuche v. 2. h. I. angeführten Gründe, habe ich Sic auf
der Liste meiner Gläubiger um 100 Stellen, mithin von
Nr. 241 auf 141 avanciren lassen und dürfte Ihre Bezahlung
voraussichtlich dann erfolgen, wenn Ihre 140 Vordermänner
befriedigt worden sind. Ein weiteres Vorrücken wird von
Ihrem ferneren passiven Verhallen abhängig sein. Mit
aller Hochachtung
Ihr ergebener von S.
! An den Schneider-Meister Herrn H. hier.
In der Neligionsstundr.
Lehrer: „Man soll also seine Feinde lieben und ihnen
verzeihen, wenn sic einem etwas zu Leide gcthau haben!
Nun sage mir, Karl, würdest Du einem Knaben verzeihen,
welcher Dich geschlagen hat?"
Karl: „Ja, wenn er stärker ist, als ich."
*) Lenz — Lorenz.
Ich war 25 Jahre alt (man sagt, cs sei die Zeit der
Liebe), Lehrer an einem Knabcninstitute mit einer hübschen
Einnahme, wenig Bedürfnisien und keinen Sorgen, sah daher
fröhlich in die Welt. Und doch empfand ich zuweilen eine
merkwürdige Unruhe . . . der Arzt meinte, die auffallende
Hitze sei daran schuld, meine Freunde das gute Leben —
ich wußte, daß beide irrten. Ich schnürte mein Reisebündel,
ging und fuhr, wie eö eben paßte, und kam in Rosenwangcn
an, einem niedlichen Orte, den man leider auf der Karte
nicht finden wird. Rosenwangcn? Unwillkührlich dachte ich
an rosige Wangen, an verschämte, duftende Rvsenknöspchen
und dergleichen. Ich war jung — ist das nicht.genug
gesagt? Ja, ich gestehe offen, cö trieb mich die Sehnsucht,
ein Wesen zu finden, das meinem Ideale von Schönheit und
Lieblichkeit entspräche. Aber wie schwer sind Idealisten zu
befriedigen! Wie lange hatte ich schon gesucht — und doch
nicht gefunden!
Ich wandertc erregt die Straßen Roscnwangens auf
und ab, blickte nach den Fenstern, in die vorbeifahrcndcn
Wagen — ich sah wohl Damen — aber nicht mein Ideal.
Ich biege um eine HauSecke — ein Lockenköpfchcn tritt mir
entgegen, schwarz wie Ebenholz, die Wangen sanft gcröthct,
die anmuthigste Figur, die kleinsten Füße! Wir stehen vor
einander — crröthcnd trete ich zur Seite — sie auch —
ich fliege auf die andere Seite — sie auch — ich stürze auf
die andere Seite — sie auch — wir blicken einander in die
Augen — „Mein Ideal!" rufe ich im höchsten Entzücken
— und sie: „Mein Herr, sie sind ein Narr!" — „Ein
Narr — das muß ein Mißverständniß fein! Man sagte
immer, ich sei träumerisch, lebe halb in einer andern Welt,
doch" — ich stürze ohne Besinnen der Dame nach — sie
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Poesie auf dem Lande"
"Das Ideal"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)