Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
202

Die Zahnlücke.

An einem Tage, gegen Abend war es, da kam nach
vollbrachten Dienstgeschäftcn der Assessor von seinem Bureau.
Er ging seiner Wohnung zu und war nicht mehr weit
von dort, als er in einiger Entfernung den alten Post-
kondukteur Schnitzlein des Weges daher kommen sah, welcher
gleichfalls, wie eö allen Anschein hatte, nach seinem Hause
hingehen wollte. Der Alte zog, als er den Herrn Assessor
von Weitem sah, ganz ehrerbietig, so tief es nur ging, seine
blaue Dienstmütze herunter; dabei schien er indessen seine
Schritte etwas zu hemmen, so wie man es wohl macht,
wenn man in Zweifel darüber geräth, ob man den einge-
schlageucn Weg für den Augenblick sortsetzen soll oder nicht.

Rode indessen rief dem alten Bewohner der Postchaise,
die sich dreimal wöchentlich auf dem Wege zwischen dem
Städtchen und der Residenz befand, von Weitem ein freund-
liches: „Grüß' Gott!" zu. „Wollt Ihr vielleicht zu mir?"
fragte er, und der alte Kondukteur konnte nun wohl nicht
anders, als in ehrerbietiger Weise seine Schritte zu ihm
hin lenken. Derselbe besorgte hie und da kleine Aufträge
für den Assessor. „Habt Ihr etwas für mich?" fragte
dieser weiter.

„Nein, das nicht! Für Sie Hab' ich nichts, gnädiger
Herr Assessor!" gab jener zur Antwort.

„So!" sprach Rode, „ich glaubte es nur, weil ich
meinte, Ihr wäret auf dem Wege zu meinem Hause hin
gewesen."

„Das wohl!" erwicdcrte der redselige Kondukteur,
„das allerdings, Herr Assessor, allein ich habe nur etwas
an die gnädige Frau, an die Frau Assessorin auszurichten."

„An meine Frau?"

„Ja! — ich Hab' etwas zu überbringen; ich soll es
aber an keinen andern Menschen abgeben, als nur an die
Frau Assessorin selbst; eigenhändig soll ich cs ihr geben."

„So — eigenhändig an meine Frau?" fragte jetzt der
Assessor noch einmal mit gesteigerter Neugier.

„Ja freilich, nur an die gnädige Frau selbst!" be-
stätigte der geschwätzige Alte von Neuem. „Der Herr Schmidt
hat mir gesagt, daß die gnädige Frau ihm eigens geschrieben
hat, er soll die Antwort durch mich besorgen lassen, damit—"

„Wer hat das gesagt?" unterbrach ihn heftig der Assessor.

Ganz erschreckt fuhr Schnitzlein, diese alte Plaudertasche
zusammen, erst jetzt bemerkte er, daß er zu viel geschwätzt,
daß er etwas Dummes angestellt haben mochte.

„Ja, seh'n Sie, Herr Assessor," stotterte er nach Worten
suchend, welche die Sache wieder gut machen sollten, „ja
seh'n Sie, gnädiger Herr Assessor, cs wird nichts von Be-
deutung sein; aber — der Herr Schmidt hat gesagt —"

„Schmidt sagt Ihr, Schmidt?" So rief der Assessor,
der jetzt ganz seine Fassung verlor; dabei erfaßte er heftig
den alten Kondukteur oberhalb der Hand ganz fest am Arme;
seine Hand, die ihn krampfhaft hielt, zitterte, sein Auge
funkelte; starr blickte er den Gefragten an. „Schmidt
sagtet Ihr?" wiederholte er dann noch einmal und rnit ge-
dehnten Worten.

Der alte Schnitzlein wäre vor Schreck fast in den
Boden gesunken; er wußte im ersten Augenblicke nicht, was
er sagen, nicht was er beginnen sollte, und in dieser Ver-
legenheit nahm er wiederholt seine blaue Dienstmütze tief
herunter, so tief es nur gehen wollte, und stammelte dann:
„Ja, euer Gnaden, gnädiger Herr Assessor, ganz richtig,
wie ich gesagt habe, wie der Herr Astessor gehört hat —
der Herr Schmidt war es; und der hat mir das Päckchen
gegeben, das ich aus der Residenz mitgebracht habe, und
hat mir gesagt, ich möchte der gnädigen Frau sagen —*

„Heraus damit! — Was sollt Ihr ihr sagen, der
gnädigen Frau, was?" So unterbrach ihn wiederholt der
Assessor und ein höhnisches Lächeln überflog dabei dessen
leichenblasses Gesicht.

„Ich," sprach der alte Kondukteur, der nun wohl beichten
mußte, „ich soll eine schöne Empfehlung auSrichten vom
Herrn Schmidt und er läßt sich für ein anderes Mal re-
kommandirt sein, und ich soll ihr sagen, der gnädigen Frau,
ihre alten Zähne, die seien nichts mehr nütz' und darum
hat er die gleich da behalten."

„Was? — Meine Frau ihre alten Zähne da behalten —
der Referendar Schmidt da behalten?" sprach der Assessor
und stand dort wie von einem nebelhaften Traum umgeben.

„Ach, nicht doch!" sagte der alte Schnitzlcin. „Den
Zahnarzt Schmidt meine ich; in der Residenzstadt der; er
wohnt in der Kaiserstraße da unten an der Ecke, wo man
zum Markt hinkommt; der hat mir das Päckchen mitgegeben
und auch die Rechnung dazu; der hat das gesagt."

Der Assessor konnte jetzt nicht mehr anders, er mußte
laut auf lachen. An einen Zahnarzt Schmidt zu denken,
das war ihm bei der ganzen Affaire nicht im Entferntesten
in den Sinn gekommen; ihm hatte der verwünschte Referen-
darius immer nur vor der Seele geschwebt. „Daß es aber
auch so verdammt viele Schmidt geben muß!" rief er
immer noch lachend aus, und nun wurde auch dem alten
Schnitzlein leichter; der hatte sich vorhin schon in einen
entsetzlichen Criminalprozeß verwickelt gesehen; nun athmete
er doch, Gott sei Dank, wieder frei auf und mit einiger
Befriedigung gab er dem Assessor recht und sagte: „Ja, es
ist wahr, erschrecklich ist's, wie viele Schmidt und Maier es
gibt! — Wenn die sich zusammenthäten, Herr Assessor,
und noch die Müller dazu, dann könnten wir ganz leicht
mit denen allein unser Schleswig-Holstein noch einmal wie-
der erobern, wenn's nöthig werden sollte!" — „Da habt
Ihr Recht!" entgegnete Rode dem geschwätzigen Alten.
„Doch das wolle Gott verhüten!" fügte er lächelnd hinzu.
Er ließ sich dann von dem Kondukteur das mitgebrachte
Päckchen geben, das dieser ihm jetzt nicht mehr vorenthielt,
und ebenso auch die Rechnung dazu. Diese lautete über
ein Paar neuer Vorderzähne. Das war also ein Reserve-
paar, welches seine Frau sich au Stelle des abgenutzten hatte
ganz im Geheimen machen lassen, um damit die Zahnlücke
zu verbergen, die ihr Gatte bis jetzt nicht an ihr bemerkt
hatte.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen