11
Die Blatte
nur einen Augenblick für mich zu halten! Sie wird gewiß
ruhig sein — nicht wahr Herz?" und sic küßte die Kleine auf
die Lippen.
„Ich Madame?" sagte Forbach, von der Bitte doch etwas
überrascht, indem er in seiner Gutmüthigkeit aber schon von
seinem Stuhl emporsprang, „ich weiß nur nicht recht mit Kin-
dern umzugehen".
„Oh nur einen Augenblick", bat das junge allerliebste
Frauchen, „ich bin ja im Moment wieder da. Ich — fühle
mich nicht wohl" — und als ob sie gar keine Widerrede gel-
ten ließ, legte sie das Kind in Forbachs Arm, küßte cs noch
einmal, huschte dann den Saal entlang und verschwand gleich
darauf durch die Thür.
Wer über den neuen, so unverhofft gekommenen Auftrag
und die übernommene Pflicht allerdings etwas verblüfft znrück-
blieb, war Doktor Forbach. Er hatte ja aber auch gar keine
Zeit zum Ueberlegen gehabt; das junge Frauchen sah dabei so
lieb und gut aus, das Kind lag so sauber und nett in seinem
weißen Bettchen, und lächelte ihn dabei so freundlich an. Wenn
Frau Erich zurückkam und fand ihn so — wie herzlich hätte
sie ihn ansgelacht!
Es war auch in der That eine etwas komische Situation
sür einen alten Junggesellen, der nicht einmal wußte, ob das
Kind recht lag, oder vielleicht anders gehalten werden mußte.
Er warf den Blick nach den anderen Frauen hinüber, deren
blicke jetzt alle auf ihn gerichtet waren, und sah allerdings,
daß diese die Kinder in verschiedener Weise trugen. Einmal
hatte er indeß bei einem Freund Pathe gestanden und er-
innerte sich jetzt, daß ihm das Kind damals ebenso übergeben
worden,, und die paar Minuten konnte er es ja auch so halten,
r n i m p f u n g.
Wenn es nur ruhig blieb — heiliger Gott, wenn es jetzt zu
schreien anfing — was hätte er denn, in aller Welt, mit
ihm machen sollen!!
Cap. 3.
Eine Ueberraschung.
Die Frauen umher waren allerdings auf den Herrn mit
dem Kind aufmerksam geworden, ohne jedoch darin etwas Außer-
ordentliches zu finden, daß er cs hielt — desto mehr intercssirte
sie aber die Mutter, und sie flüsterten auch schon heimlich mit
einander.
Doktor Forbach wartete indessen und wartete, und die
Situation sing schon an ihm peinlich zu werden. Die unselige
Frau kehrte nicht zurück, sie mußte doch wenigstens schon zehn
Minuten abwesend sein, und er stand hier mit dem Kind, das
schon anfing Zeichen von Ungeduld zu geben, im Anfang ein j
Schippchen nach dem anderen machte, und dann einen etwas
weinerlichen Ton angab. Es schrie allerdings noch nicht, aber
es war nahe daran und was wurde dann?
Die ihm nächsten Frauen waren indessen aufgestanden und
der Thüre der Doktorstnbe zugegangen, weil ihre Nummer jetzt
gleich kommen mußte, und zu seiner großen Beruhigung ent-
deckte er endlich Elise Erich, die eben mit Kind und Kinder- !
mädchen aus der Doktorstube trat, und wie sic ihn bemerkte,
auf ihn zneilte. Sic hatte auch wohl gesehen, daß er etwas
trug, aber nicht weiter darauf geachtet. Jetzt erst, als sie
dicht an ihn hinan war, rief die muntere Frau überrascht und
lachend aus:
„Aber bester Doktor, was haben Sie denn da? ein kleines
Kind? oh, das steht Ihnen prächtig. S o sollten Sie sich pho-
tographiren lassen. Hahahaha, wo haben Sie denn das in
der Geschwindigkeit herbekommen?"
„Ja bestes Kind", sagte Forbach, mit einem etwas sehr
verlegenen Lachen — „das ist eine ganz sonderbare Geschichte.
Ein junges Frauchen hat mir das Kind in den Arm gelegt,
sie wollte sogleich wiederkehren, und nun ist sie schon fast eine
Viertelstunde fort und läßt sich nicht wieder blicken. Aber sie
muß im Augenblick zurückkommen. Wenn Du nur eine Minute
warten wolltest, Kind!"
„Von Herzen gern — aber ist das ein liebes Ding —
ein Knabe oder Mädchen?"
„Ja mein Schatz, das weiß ich nicht."
„Was es für schöne, große blaue Augen hat", fuhr die
junge Frau rasch fort, indem sie das Kind aber doch schärfer
und aufmerksamer betrachtete. „Doch was ist das? fe^en
Sic einmal die kleinen rothen Punkte auf der weißen Haut
das sieht ja ganz sonderbar aus."
„Es werden ein paar Blütchen sein", erwiderte der Doktor,
der sich indeß vergeblich nach der Mutter seines Schutzbefohlenen
umschaute — „ich begreife wahrhaftig nicht, wo sic bleibt."
„Nein lieber Doktor", sagte aber Elise Erich, indem sie
fast scheu von dem kleinen Wesen zurücktrat — „das sind
keine Blütchen — sehen Sie nur, das liegt ja fast wie ein
schwarzer Schein um den einen Punkt — um des Himmels
Die Blatte
nur einen Augenblick für mich zu halten! Sie wird gewiß
ruhig sein — nicht wahr Herz?" und sic küßte die Kleine auf
die Lippen.
„Ich Madame?" sagte Forbach, von der Bitte doch etwas
überrascht, indem er in seiner Gutmüthigkeit aber schon von
seinem Stuhl emporsprang, „ich weiß nur nicht recht mit Kin-
dern umzugehen".
„Oh nur einen Augenblick", bat das junge allerliebste
Frauchen, „ich bin ja im Moment wieder da. Ich — fühle
mich nicht wohl" — und als ob sie gar keine Widerrede gel-
ten ließ, legte sie das Kind in Forbachs Arm, küßte cs noch
einmal, huschte dann den Saal entlang und verschwand gleich
darauf durch die Thür.
Wer über den neuen, so unverhofft gekommenen Auftrag
und die übernommene Pflicht allerdings etwas verblüfft znrück-
blieb, war Doktor Forbach. Er hatte ja aber auch gar keine
Zeit zum Ueberlegen gehabt; das junge Frauchen sah dabei so
lieb und gut aus, das Kind lag so sauber und nett in seinem
weißen Bettchen, und lächelte ihn dabei so freundlich an. Wenn
Frau Erich zurückkam und fand ihn so — wie herzlich hätte
sie ihn ansgelacht!
Es war auch in der That eine etwas komische Situation
sür einen alten Junggesellen, der nicht einmal wußte, ob das
Kind recht lag, oder vielleicht anders gehalten werden mußte.
Er warf den Blick nach den anderen Frauen hinüber, deren
blicke jetzt alle auf ihn gerichtet waren, und sah allerdings,
daß diese die Kinder in verschiedener Weise trugen. Einmal
hatte er indeß bei einem Freund Pathe gestanden und er-
innerte sich jetzt, daß ihm das Kind damals ebenso übergeben
worden,, und die paar Minuten konnte er es ja auch so halten,
r n i m p f u n g.
Wenn es nur ruhig blieb — heiliger Gott, wenn es jetzt zu
schreien anfing — was hätte er denn, in aller Welt, mit
ihm machen sollen!!
Cap. 3.
Eine Ueberraschung.
Die Frauen umher waren allerdings auf den Herrn mit
dem Kind aufmerksam geworden, ohne jedoch darin etwas Außer-
ordentliches zu finden, daß er cs hielt — desto mehr intercssirte
sie aber die Mutter, und sie flüsterten auch schon heimlich mit
einander.
Doktor Forbach wartete indessen und wartete, und die
Situation sing schon an ihm peinlich zu werden. Die unselige
Frau kehrte nicht zurück, sie mußte doch wenigstens schon zehn
Minuten abwesend sein, und er stand hier mit dem Kind, das
schon anfing Zeichen von Ungeduld zu geben, im Anfang ein j
Schippchen nach dem anderen machte, und dann einen etwas
weinerlichen Ton angab. Es schrie allerdings noch nicht, aber
es war nahe daran und was wurde dann?
Die ihm nächsten Frauen waren indessen aufgestanden und
der Thüre der Doktorstnbe zugegangen, weil ihre Nummer jetzt
gleich kommen mußte, und zu seiner großen Beruhigung ent-
deckte er endlich Elise Erich, die eben mit Kind und Kinder- !
mädchen aus der Doktorstube trat, und wie sic ihn bemerkte,
auf ihn zneilte. Sic hatte auch wohl gesehen, daß er etwas
trug, aber nicht weiter darauf geachtet. Jetzt erst, als sie
dicht an ihn hinan war, rief die muntere Frau überrascht und
lachend aus:
„Aber bester Doktor, was haben Sie denn da? ein kleines
Kind? oh, das steht Ihnen prächtig. S o sollten Sie sich pho-
tographiren lassen. Hahahaha, wo haben Sie denn das in
der Geschwindigkeit herbekommen?"
„Ja bestes Kind", sagte Forbach, mit einem etwas sehr
verlegenen Lachen — „das ist eine ganz sonderbare Geschichte.
Ein junges Frauchen hat mir das Kind in den Arm gelegt,
sie wollte sogleich wiederkehren, und nun ist sie schon fast eine
Viertelstunde fort und läßt sich nicht wieder blicken. Aber sie
muß im Augenblick zurückkommen. Wenn Du nur eine Minute
warten wolltest, Kind!"
„Von Herzen gern — aber ist das ein liebes Ding —
ein Knabe oder Mädchen?"
„Ja mein Schatz, das weiß ich nicht."
„Was es für schöne, große blaue Augen hat", fuhr die
junge Frau rasch fort, indem sie das Kind aber doch schärfer
und aufmerksamer betrachtete. „Doch was ist das? fe^en
Sic einmal die kleinen rothen Punkte auf der weißen Haut
das sieht ja ganz sonderbar aus."
„Es werden ein paar Blütchen sein", erwiderte der Doktor,
der sich indeß vergeblich nach der Mutter seines Schutzbefohlenen
umschaute — „ich begreife wahrhaftig nicht, wo sic bleibt."
„Nein lieber Doktor", sagte aber Elise Erich, indem sie
fast scheu von dem kleinen Wesen zurücktrat — „das sind
keine Blütchen — sehen Sie nur, das liegt ja fast wie ein
schwarzer Schein um den einen Punkt — um des Himmels
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Blatternimpfung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 57.1872, Nr. 1408, S. 11
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg