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Herr u n d

sämmtliche Vettern und Basen mit Namen auf, und nachdem
sic an den zwei Stammbäumen alle Acste und Zweige auf's
Genaueste gezählt, schloß sic triumphirend: „Du siehst, Leonhard,
daß ich iu der Sorge um unser Kind die Nächte schlaflos,
wenn auch mit geschlossenen Augen, verbringe!"

Trübich hütete sich wohl, eine widersprechende Bemerkung
über ihre Schlaflosigkeit zu machen, da er keine lange Gardinen-
predigt veranlassen und sich das Frühstück nicht verleiden wollte.
Er heuchelte vielmehr eine große Bewunderung vor ihrem Ge-
dächtnis;, welches im Dienste der mütterlichen Liebe vor keiner
Anstrengung zurückschrecke, und nachdem Beide vom Lager
gestiegen, beschlossen sie, ein Condolenzschreiben an Wolkenreich
abznsendeu. Julie wurde mit der Abfassung desselben beauftragt
und erwarb sich durch Erledigung dieses Auftrages die Bewunder-
ung ihrer Eltern. Herr Eustachius, der als Mann von seiner
Bildung niemals einen Brief unbeantwortet ließ, erwiderte
umgehend durch einige sehr verbindliche Zeilen, in denen besonders
die Anfangsbuchstaben als kalligraphisches Muster dienen konnten.
Die Familie Trübich war hoch erfreut, und das Haupt der-
selben suchte nun, so oft wie möglich Wolkcnrcich zu begegnen,
ihm als Vetter die Hand zu drücken, sich auf's Wärmste nach
dessen Wohlbefinden zu erkundigen und ein längeres Gespräch
mit ihm anznknüpfcn. Wvlkenreich nahm diese Beweise von
Theilnahmc freundlich ans, was die genannte Familie in die
hoffnungsvollste Stimmung versetzte. Ließ sich Wolkenreich nicht
sehen, so lauerte man dessen Diener auf, der alle an ihn ge-
richteten Fragen lakonisch beantwortete. So überaus lang er
selbst war, so überaus kurz war er im Gespräch. Der Lakonismus
war ihm theils angeboren, thcils durch seinen Gebieter anerzogen.
Er öffnete niemals den Mund, wenn er nicht mehr oder weniger
dringend dazu aufgefordert ward, und auch dann beantwortete
er die an ihn gerichteten Fragen wie der Klosterbruder im
Pantagruel durch einsilbige Wörter. Indessen erfuhren die
Trübich doch von ihm/was sic wissen wollten. Sie ermangelten
auch niemals, wenn er sich zeigte, ihn mit warmen Grüßen
und Empfehlungen für seinen Herrn zu beauftragen. An seinem
Namenstage erhielt derselbe von Julien einen prächtigen, von
einem Gratnlationsschreiben begleiteten Blumenstrauß, welches
Angebinde durch ein kalligraphisches Bittet nebst einer schön
gearbeiteten Armspange — eine sich in den Schwanz beißende
Schlange mit Augen von Rubinen — crwicdert ward. Ama
war der Ueberbriuger dieses kostbaren Geschenkes und gleich-
gültiger Zeuge der Ueberraschung, welche dasselbe in der Familie
Trübich verursachte. Während Eltern und. Tochter unter den
lebhaftesten Ausdrücken der Bewunderung das goldene Sinnbild
der Ewigkeit musterten, stand er vor ihnen mit seinen unendlichen,
dürren, ausgespreiztcn Beineu, ohne den Kopf auf dem langen
Halse zu bewegen, oder eine Miene zu verziehen. Er sah in
dieser Stellung aus wie eine umgestürzte Stimmgabel. Endlich
wendete man sich an ihn mit dem Aufträge, seinem Herrn die
Versicherung der innigsten Dankbarkeit zu überbringen; als ihm
aber Trübich einen Botenlohn in die Hand drücken wollte,
machte er Kehrt und war davon.

Da nun die Beziehungen Wolkenreich eingeleitet und,

Diener. 6?

wie wir gesehen, von diesem aufgemuntert wurden, wuchs die
Hoffnung der Familie Trübich immer mehr. Was Julien be-
trifft, so saß sie fast unausgesetzt am Stickrahmen, an einem
Ofenschirm arbeitend, der am nächsten Neujahrstage dem alten
Herrn übersendet werden sollte. Bei dieser Arbeit träumte sie
von einer schönem Zukunft, welche auch ihr Gefühl der Rache
gegen den treulosen Bräutigam befriedigen würde. Sie sah
sich bereits als reiche Erbin und schmückte mit der regsten
Einbildungskraft unablässig die zahlreichen Stockwerke ihrer
Luftschlösser; ja, sie sah sich schon als Gebieterin auf dem von
Eustachius geerbten Landsitz des Fräuleins Euphrasia von
Schwanensee.

So grün indessen die Hoffnung war, mit welcher die
Trübich in die Zukunft blickten, so waren sie doch nicht ohne
Besorgnis;. Wolkenreich bekundete zwar für die ihm erwiesenen
Aufmerksamkeiten seine Dankbarkeit mündlich und schriftlich,
allein er zeigte keinen Drang, mit der Familie in einen innigen
und beständigen, in einen persönlichen Verkehr zu treten. Er
lud dieselbe niemals in sein Haus und hatte auch ihre mehr-
mals wiederholte Einladung, den Thee bei ihnen einzunehmen,
mit der Bemerkung abgelehnt, daß sein hohes Alter und seine
gewohnte Lebensweise ihm nicht erlaubten. Besuche zu machen,
oder zu empfangen. Die Familie bewahrte dies natürlich als
Geheimnis;, und die Welt erfuhr von ihr nur die Kundgebungen
der Freundschaft von Seiten Wolkenreich's. Man zeigte seine
Geschenke allen Besuchenden, und Vater, Mutter und Tochter
waren seines Lobes voll. So kam es denn, daß Jung und Alt
bald überzeugt waren, Wolkenreich ziehe unter allen Denen, die
seit seiner angetretencn Erbschaft sich ihm als Verwandte näherten
oder aufdrängten, die Trübich bei weitem vor. Zu dieser Ucber-
zengung gelangte auch Lothar Hamberg sogleich nach seiner
Rückkehr von der langen Reise. Er bereute es nun, die Bande,
die ihn an Julien geknüpft, auf die erwähnte, schonungslose
Weise gelöst zu haben, uud sein einziges Trachten ging jetzt
darauf hin, sich wieder seiner Braut zu nähern. Dies gelang
ihm um so leichter, als die Welt von dem Bruche nichts er-
fahren, und weder die Braut, noch deren Eltern ein lebhafteres
Ehrgefühl besaßen als er. Nachdem zwischen Bräutigam und
Braut einige Briefe gewechselt worden — in welchen er sein Be-
nehmen durch allerlei jesuitische Gründe entschuldigte, und sic,
bei aller Versicherung, daß ihr der Absagebrief das Herz ge-
brochen, doch ihre Geneigtheit zu vergeben, deutlich durchblickcn
ließ — fand die Versöhnung statt, und das Brautpaar zeigte sich
Arm in Arm ans der Straße.

Wie die Eltern ihrem künftigen Schwiegersohn gegenüber fast
unablässig von Wolkenreich sprachen und dabei bemerkten, dieser
habe mehrere Male zu verstehen gegeben, er werde sich ihnen als
opferfreudiger Verwandter erweisen, so war auch Julie uicht
müde, mit ihrem Bräutigam von den schönen Aussichten zu
sprechen, welche ihrer Familie der alte Herr zu eröffnen sich
bewogen fand und zwar ohne unmittelbar oder mittelbar auf-
gefordert zu sein. Der sonst so sccptische Bräutigam biß immer
tiefer in die Angel und seine Vermählung ward auf die ersten
Tage des kommenden Wonnemonats festgesetzt. Einige Wochen

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