Eine seltsame
Einem der Verwandten eine besondere Zuneigung äußern, so
sei er diesem, für die Dauer seines Hundelebens, zu übergeben.
Verendet der Hund, bevor er das fünfzehnte Lebensjahr er-
reicht hat — so fällt das Kapital einer humanitären Anstalt
zu. Erreicht er dieses Alter, so kommen für jedes weitere
Jahr, dessen er sich seines Lebens erfreut, 5000 Gulden den
Verwandten zu gute."
Hast Du schon einem Hundewettrennen beigewohnt, lieber
Leser?
Wäre nicht die Staffage eine befremdende gewesen, so
hätte jeder Uubetheiligte, dem ein Blick in die Notariatskanzlei
gegönnt gewesen wäre, die Ueberzengung weggetragen, daß da-
selbst ein solcher Sport getrieben wurde.
Castor, welcher nach Verlesung des Testamentes ins Zimmer-
eingelassen wurde, sah erstaunt auf die ihm gegenüber einen
Halbkreis bildenden Verwandten seines Herrn, welche, ihrer
Gesichtsmuskeln vollkommen Herr, nunmehr mit süßlichster
Micnc und dem schmeichelhaftesten Zurufen um seine Gunst buhlten.
Es war ein förmliches Wettrennen, wenn auch im anderen
Sinne. Der Renner stand da — anderseits die zurufenden
Herren und Damen — und selbst der vcrhängnißvolle Köder
fehlte nicht — er hing in so und so viel Tausend Gulden in
der Luft.
So viele Schimpfworte zuvor über den armen Castor Herab-
hagelten, so viele Liebcs-Versichernngen lockten ihn jetzt von
allen Seiten. Das ganze Lexikon hundeliebhaber'scher Zärtlich-
keitsansdrücke wurde erschöpft, alle erdenklichen Reizmittel für
die Geruchsorgane des lieben Universalerben wurden in An-
wendung gebracht. Indessen — Moleküle oder Zufall führten
Castor dem wirklich hilfsbedürftigen Vetter Stieglitz zu, welcher
seines Zeichens und Geruches ein Käsehändler war.
Mit Castor zog in das Haus des Käsehändlers Wohl-
stand , aber auch die Mißgunst und der schlvärzestc Neid der
ganzen Freundschaft ein. Noch nie hatte man ihm das Leben
so sauer gemacht! Sein Haus wurde förmlich belagert und kein
Mittel unversucht gelassen, um Castor abwendig zu machen.
Doch dieser blieb standhaft. Nun griff der durchgcfallene Thcil
zur Cabale. Da aber Keines dem Anderen den fetten Bissen
gönnte, gelang kein Anschlag und dem Vetter Stieglitz wurde
von Jahr zu Jahr der Zinsengenuß zugesprocheu.
Es ist nicht bekannt, ob er sich später mit den anderen
Verwandten in einen Evmpromiß eingelassen hatte — oder ob
diese das Vergebliche ihres Beginnens einsahen, kurz und gut,
sic ließen ihn endlich in Ruhe.
Castor machte den ängstlich besorgten Enterbten die Freude,
das fünfzehnte Jahr zu überleben, — ja es ereignete sich das
bisher im Hundeleben Unerhörte, daß er volle — 27 Jahre
alt wurde und somit die ganze Summe von 60,000 Gulden
den rechtmäßigen Erben zufiel.
Jedes Jahr am Sylvesterabend wurde der Hund im Bei-
sein sämmtlicher noch lebenden Anverwandten, welche bei der
Testamentseröffnung zugegen waren, vor den Notar gebracht,
welcher ihn agnoscirte und gewohnheitsgemäß jedes Mal, mit
einem wohlmeinenden Klaps auf den Kopf Castors, die Amtshand-
Begebeuheit. 139
lung schloß. Später wurde der Hund fett und träge, weßhalb
er in einem Korbwagen, sorgfältig eingehüllt, zur vorgeschriebeuen
Beschau geführt wurde. Von da ab wurde er auch verdrieß-
lich und erwiderte die ihm vom Notarius gespendeten Liebkos-
ungen nur mit Knurren, indem er dabei den Kopf etwas hob
und dann, wie erschöpft durch diese Anstrengung, wieder fallen ließ.
Als Castor das Unrecht, welches sein Herr begangen, wieder
gut gemacht hatte, verschwand er vom Schauplatze seiner
segensreichen Thätigkcit.
Im Garten Stieglitz bczeichnctc ein Stein den Platz,
wo man ihn verscharrt hatte, zur Erinnerung au eine seltsame
Begebenheit, welche einen befriedigenden Abschluß fand.
Ob Diejenigen Recht hatten, welche vermuthetcn, der schlaue
Käsehändler, der au sich nicht im besonders guten Gerüche stand,
habe die auffallend lauge Lebensdauer Castor's mit Hilfe von dessen
ausgestopfter Haut durch einen in derselben angebrachten Mecha-
nismus zu Stande gebracht, mag dahingestellt bleiben — mög-
lich wäre cs übrigens immerhin, daß ein so außerordentlicher Hund,
wie Castor war, auch außerordentlich lange hätte leben können.
Karteder.
Scharfsinni g.
Kellnerin: „Sind der Herr nicht schon öfter bei uns
gewesen?" — Gast: „Nein, ich bin das erste Mal hier, aber
durch Herrn Fuchs, der immer hier absteigt, empfohlen!" —
Kellnerin: „Ah, darum kommen Sie mir so bekannt vor!"
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Einem der Verwandten eine besondere Zuneigung äußern, so
sei er diesem, für die Dauer seines Hundelebens, zu übergeben.
Verendet der Hund, bevor er das fünfzehnte Lebensjahr er-
reicht hat — so fällt das Kapital einer humanitären Anstalt
zu. Erreicht er dieses Alter, so kommen für jedes weitere
Jahr, dessen er sich seines Lebens erfreut, 5000 Gulden den
Verwandten zu gute."
Hast Du schon einem Hundewettrennen beigewohnt, lieber
Leser?
Wäre nicht die Staffage eine befremdende gewesen, so
hätte jeder Uubetheiligte, dem ein Blick in die Notariatskanzlei
gegönnt gewesen wäre, die Ueberzengung weggetragen, daß da-
selbst ein solcher Sport getrieben wurde.
Castor, welcher nach Verlesung des Testamentes ins Zimmer-
eingelassen wurde, sah erstaunt auf die ihm gegenüber einen
Halbkreis bildenden Verwandten seines Herrn, welche, ihrer
Gesichtsmuskeln vollkommen Herr, nunmehr mit süßlichster
Micnc und dem schmeichelhaftesten Zurufen um seine Gunst buhlten.
Es war ein förmliches Wettrennen, wenn auch im anderen
Sinne. Der Renner stand da — anderseits die zurufenden
Herren und Damen — und selbst der vcrhängnißvolle Köder
fehlte nicht — er hing in so und so viel Tausend Gulden in
der Luft.
So viele Schimpfworte zuvor über den armen Castor Herab-
hagelten, so viele Liebcs-Versichernngen lockten ihn jetzt von
allen Seiten. Das ganze Lexikon hundeliebhaber'scher Zärtlich-
keitsansdrücke wurde erschöpft, alle erdenklichen Reizmittel für
die Geruchsorgane des lieben Universalerben wurden in An-
wendung gebracht. Indessen — Moleküle oder Zufall führten
Castor dem wirklich hilfsbedürftigen Vetter Stieglitz zu, welcher
seines Zeichens und Geruches ein Käsehändler war.
Mit Castor zog in das Haus des Käsehändlers Wohl-
stand , aber auch die Mißgunst und der schlvärzestc Neid der
ganzen Freundschaft ein. Noch nie hatte man ihm das Leben
so sauer gemacht! Sein Haus wurde förmlich belagert und kein
Mittel unversucht gelassen, um Castor abwendig zu machen.
Doch dieser blieb standhaft. Nun griff der durchgcfallene Thcil
zur Cabale. Da aber Keines dem Anderen den fetten Bissen
gönnte, gelang kein Anschlag und dem Vetter Stieglitz wurde
von Jahr zu Jahr der Zinsengenuß zugesprocheu.
Es ist nicht bekannt, ob er sich später mit den anderen
Verwandten in einen Evmpromiß eingelassen hatte — oder ob
diese das Vergebliche ihres Beginnens einsahen, kurz und gut,
sic ließen ihn endlich in Ruhe.
Castor machte den ängstlich besorgten Enterbten die Freude,
das fünfzehnte Jahr zu überleben, — ja es ereignete sich das
bisher im Hundeleben Unerhörte, daß er volle — 27 Jahre
alt wurde und somit die ganze Summe von 60,000 Gulden
den rechtmäßigen Erben zufiel.
Jedes Jahr am Sylvesterabend wurde der Hund im Bei-
sein sämmtlicher noch lebenden Anverwandten, welche bei der
Testamentseröffnung zugegen waren, vor den Notar gebracht,
welcher ihn agnoscirte und gewohnheitsgemäß jedes Mal, mit
einem wohlmeinenden Klaps auf den Kopf Castors, die Amtshand-
Begebeuheit. 139
lung schloß. Später wurde der Hund fett und träge, weßhalb
er in einem Korbwagen, sorgfältig eingehüllt, zur vorgeschriebeuen
Beschau geführt wurde. Von da ab wurde er auch verdrieß-
lich und erwiderte die ihm vom Notarius gespendeten Liebkos-
ungen nur mit Knurren, indem er dabei den Kopf etwas hob
und dann, wie erschöpft durch diese Anstrengung, wieder fallen ließ.
Als Castor das Unrecht, welches sein Herr begangen, wieder
gut gemacht hatte, verschwand er vom Schauplatze seiner
segensreichen Thätigkcit.
Im Garten Stieglitz bczeichnctc ein Stein den Platz,
wo man ihn verscharrt hatte, zur Erinnerung au eine seltsame
Begebenheit, welche einen befriedigenden Abschluß fand.
Ob Diejenigen Recht hatten, welche vermuthetcn, der schlaue
Käsehändler, der au sich nicht im besonders guten Gerüche stand,
habe die auffallend lauge Lebensdauer Castor's mit Hilfe von dessen
ausgestopfter Haut durch einen in derselben angebrachten Mecha-
nismus zu Stande gebracht, mag dahingestellt bleiben — mög-
lich wäre cs übrigens immerhin, daß ein so außerordentlicher Hund,
wie Castor war, auch außerordentlich lange hätte leben können.
Karteder.
Scharfsinni g.
Kellnerin: „Sind der Herr nicht schon öfter bei uns
gewesen?" — Gast: „Nein, ich bin das erste Mal hier, aber
durch Herrn Fuchs, der immer hier absteigt, empfohlen!" —
Kellnerin: „Ah, darum kommen Sie mir so bekannt vor!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine seltsame Begebenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 69.1878, Nr. 1736, S. 139
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg