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Entsagung uud Wiedersehen.

n einem der zahlreichen Bureaus einer fgl. Central-
behörde sahen zwei Sekretäre dem wichtigen Momente
des Geschüftsschlusses mit Würde und Fassung ent-
gegen. Sie hatten ihre Arbeitsröcke bereits mit den
Straßenröcken vertauscht, und Nichts konnte mehr die Feierlichkeit
des sechsten Glockenschlages beeinträchtigen. „Also nochmals meinen
Glückwunsch, verehrter Herr Collega", begann nunmehr der ältere
der beiden Herren mit einem Seitenblick auf die Wanduhr, welche
noch fünf Minuten auf Sechs ersehen ließ, „unterhalten Sie sich gut
und komnien S' gesund wieder .. . Machen S' Ihnen weiter nichts
d'raus", setzte er lachend bei — „einmal muß es doch sein, und
hoffentlich haben Sie's gut errathen!"—„Hoffentlich!" wiederholte
der also Angesprochene und sah einen Moment sinnend vor sich hin.
Derselbe war nämlich im Begriffe, in den Stand der Ehe zu treten,
an welchen verhängnißvollen Schritt sich ein mehrwöchentlicher Ur-
laub anreihte. Das bot hinreichenden Grund, der nächsten Zeit
frohgemuth entgegenzusehen. Herr Sekretär Klein fand auch sofort
seine Zuversicht wieder, welche das „Hoffentlich" seines Collegen einen
Augenblick beschattet hatte und bemerkte: „Bange machen gilt nicht,
alter Schweb' — es wird und muß recht werden; leben Sie also
wohl und lassen Sie sich die doppelte Arbeit, die Ihnen durch mein
Fernbleiben erwächst, nicht verdrießen; bedenken Sie nur: alle Tage
heirathet man ja nicht!" — „Gott sei Dank!" erwiederte lachend
der Herr Collega. „Ich bin Ihnen nicht neidig, im Gegentheil —"
— „Hören S' auf, ich weiß schon, was Sie sagen wollen; ver-
schonen Sie mich heute mit Ihrem Pessimismus — ich glaube doch
nicht daran. Aber Ein's hätte ich bald vergessen, Herr Collega:
ich will nicht scheiden, ohne Ihnen ein sichtbares Zeichen meiner

Verehrung überreicht
zu haben. Hier diese
Dose, echt Schildpatt,
unter Brüdern ein
Vermögen werth, soll
Ihnen gehören; Sie
sind würdig, sie in
Zukunft zu führen,
denn ich werde von
nun an nicht mehr
schnupfen!" — „Wa-
wa-was?"rief Müller
im Tone des höchsten
Erstaunens, „Sie nicht mehr schnupfen? Da haben wir's! Das sind
die Folgen — oder nicht? Läugnen Sie es, wenn Sie können, daß es
Ihre künftige Gattin nicht duldet!" — „Bon nicht dulden ist keine
Rede, aber —" — „Weiß schon, geben S' Ihnen keine Mühe — ich
nehme das Geschenk mit Vergnügen entgegen; hoffentlich geben Sie
damit nicht Ihre Ruhe, Ihre Selbstständigkeit aus der Hand; denn
wissen Sie... Sapperment, jetzt schlagt's und ich steh' noch da —
also nochmals meine besten Wünsche, glückliche Reise, adieu!" Damit
eilte der brave Müller schleunigst aus dem Büreau, denn er war
gewohnt, den sechsten Glockenschlag auf der Straße zu vernehmen.

Klein stand noch einige Augenblicke in Gedanken versunken vor
seinem Pulte. Es war ihm eigentlich angenehm, daß die sechste
Stunde alle weiteren Erörterungen zwischen ihm und Müller recht-
zeitig abgeschnitten hatte. „Sie" hatte ihm das Schnupfen zwar
nicht verboten, aber sie hatte ihre Abneigung gegen das Schnupfen
- so energisch kund gegeben, daß Klein ohne Zaudern den heiligen
Eid leistete, nie und nimmer eine Prise nehmen zu wollen. Darum
hatte er seine Schildpattdose geopfert. Es war undankbar von ihm,

denn gar oft war sie ihm wirklich eine wahre Freundin gewesen!
Wer nie ein Berhältniß mit einer Dose gehabt hat, begreift dies
nicht — am allerwenigsten aber vermögen es junge Damen zu er-
fassen, die sich einen Mann anschaffen und das höchste Glück der
Ehe nur in tadelloser Wäsche und weißen Taschentüchern erblicken.

Der wackere Sekretär Klein hätte sich eine solche Bedingung
nie und nimmer vorschreiben lassen, wenn seine Braut nicht so
schön, so lieb und so vermögend gewesen wäre. Also wurde die
arme, unschuldige Dose verabschiedet. —

Am andern Tage führte Klein seine Braut zum Altäre. Er
war glücklich, drückte seine Braut an's Herz, aß für Drei, trank
Sect wie Wasser, küßte seine Schwiegermutter und fuhr dann zur
Bahn, um die Reise nach dem Süden anzutreten. Bei solchen Ge-
nüssen denkt man doch nicht an's Schnupfen! Ein paar Wochen
vergingen wie ein sonniger Tag. Ach, wenn es nur immer so
bliebe! Endlich fuhren sie wieder der Heimath zu. Es war ein
heißer Maientag und kaum ein leiser Luftzug strich durch die ge-
öffneten Fenster der Eisenbahncoupös. Troger, feiner Staub
drang von überall herein; der legte sich arHM-.Klcider, auf die
Zungen, kroch in die Nasen der Reisenden — man wußte sich gar
nicht zu helfen. So kamen sie nach Padua. Die junge Frau er-
frischte sich mit einem Glas Wasser, er begnügte sich mit einer
Orange. Ein ehrwürdiger Abbö stieg ein und vermehrte zum
Schrecken Aller die Zahl der Coupeinsassen. Der Hochwürdige war
aber kein Unmensch; er entschuldigte sich in gewählten Worten, die
kein Mensch verstand, und dann zog er vom Leder; er holte eine
riesige Dose aus der Tasche und bot dem überraschten Klein eine
Prise an. Das wäre ein Labsal gewesen, wie man sich's in dieser
Situation nicht passender wünschen konnte! Klein erhob die Hand,
um von dem gütigen Anerbieten Gebrauch zu machen, aber seine
Gattin fuhr blitzschnell dazwischen und rief dem Ab bä im reiiistcn
Italienisch, dessen sie fähig war, zu: „Grazie tunte, Signori, il
non sehnupfio!“ Der hochwürdige Herr lächelte, verneigte sich
und steckte die Dose wieder zu sich, nachdem er seine werthe Nase
gehörig erfrischt hatte. Ein Schatten des Unmuths flog über das
Gesicht des enttäuschten Klein; ärgerlich starrte er zum Fenster hinaus
und zum ersten Male fühlte er, daß er nicht mehr frei war! Die
Wolke am ehelichen Himmel zog zwar vorüber, aber der kleine Stachel,
den das Ercigniß im Busen Kleins zurückgelassen, machte sich dann
und wann bemerkbar. In Bozen trug sich ein ähnlicher Vorfall zu.

Ein jovialer Mitreisender bot Herrn Klein eine Prise an; che
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Entsagung und Wiedersehen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Graetz, Theodor
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Fliegende Blätter, 95.1891, Nr. 2401, S. 38

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