Entsagung und Wiedersehen.
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die Gattin sich dazwischen werfen konnte, hatte er schon eine tüchtige
Portion in den Krallen, und nun ging's los, daß sie, ganz starr
vor Entsetzen, gar nicht fähig war, zu protestiren. Dann lachte er
diabolisch und setzte ihrem leisen „Pfui!" eine sträfliche Gleichgiltig-
keit entgegen. Nun schmollte sie, und das muß man den Frauen
lasten, das können sie, und wenn sie jung und hübsch dabei sind,
verstehen sie es ganz sicher, den Mann mürbe zu machen. In Kuf-
stein fand eine zweite Eidesleistung mit darauffolgender Versöhnung
statt. Dann zogen sie in ihr Heim in München ein; er stellte sich
zum Dienste, sie übernahm das Departement der inneren Angelegen-
heiten und regierte mit milder Hand, so daß er eigentlich nichts an
dem Regimente auszusetzen hatte.
Nach den herrlichen Tagen der Reisezeit kam es ihm in den
stillen Räumen seiner Schreibstube zwischen den Akten recht öde vor;
und da tauchte der Gedanke an die alte Liebe auf und ließ ihn
nicht ruhen; der Versucher nahte in einsamen Büreaustunden immer
wieder und zeigte ihm höhnisch grinsend seine Dose und nahm mit
vernehmlichem Geschnarche vor ihm eine Prise um die andere.
Solchen Anfechtungen kann auf die Dauer auch der stärkste Mann
nicht widerstehen. „Ha!" rief er endlich aus, „bin ich ein Mann
oder nicht?" Und er zeigte sich als Mann, ging am andern Tage
vor der Büreaustunde in einen Kramladen in der Nähe seiner
Wohnung und kaufte um fünf Pfennig' Saarbrücker, den er ver-
schämt zu sich steckte, um ungesehen davon zu naschen. Bald war
er täglicher Gast in dem Laden, woselbst ein hübsches, kokettes Fräu-
lein die Kunden bediente. Die schöne Lina verstand es, ihren neuen
Kunden zusriedenzustellen; er hatte gar nicht nöthig, seinen Wunsch
auszusprechen; er legte einfach sein Fünferl auf den Ladentisch und
sie händigte ihm dann schelmisch lächelnd die kleine Düte mit der
. Contrebande ein.
Doch das Unglück schreitet schnell. Eines Tages fand sich mit
ihm eine ältliche Dame, Frau Kassier Zahlbrett, im Laden ein,
welche eine intime Freundin seiner Frau Schwiegermama war. Dank
der bestehenden Praxis hatte er nicht nöthig, umständlich zu ver-
langen, was er wollte; die schöne Lina drückte ihm das Papierchen
in die Hand, fügte einen glühenden, koketten Blick bei und dann
verschwand er. „Kennen Sie den Herrn?" forschte die Frau Kassterin,
der ein ganzes Sonnensystem im Hirnkasten aufging. — „Warum
nicht?" erwiederte das Fräulein geheimnißvoll und lächelte. —
„Also auch ein Verehrer? .. Schau, schau! Sie können den Herren
zusetzen. . ja, wenn man so hübsch ist —" — „Ob er gerade ein
Verehrer ist, das weiß ich nicht", bemerkte die schöne Lina schalk-
haft; „er kommt halt alle Tage und das ist Alles!" — „So? Mich
geht's nichts an", sagte Frau Zahlbrett scheinbar gleichgiltig, „man
red't halt so daher;.. wünsch' guten Morgen!" — „Wien!" — Wie
höllisches Feuer brannte es unter den Sohlen der guten Frau; sie
konnte nicht schnell genug zu ihrer Freundin, der Schwiegermutter
des armen Klein, eilen, um ihr die ungeheuerliche Entdeckung beizu-
bringen, daß der Herr Schwiegersohn ein Verhältniß mit einer
Ladnerin angebandelt habe und seine Frau auf die schmählichste
Weise hintergehe.
Nachdem sie auf diese Weise Oel in das Herz der Schwieger-
mutter gegoffen, war diese ganz Feuer und Flamme. Sie dachte
einen Augenblick nach, ob sie den Elenden sofort mit ihrer Zunge
zu Boden schmettern und ihre Tochter nebst Heirathgut und Aus-
steuer zurückverlangen, oder ob sie zuerst ihr armes Kind auf das
Schreckliche vorbereitcn sollte. Sie wählte das Letztere. Tropfen
um Tropfen brachte sie ihrer Tochter das Gift bei, und die Arme
brach fast zusammen unter der Last des ungeahnten Unglücks. Die
junge Frau glaubte jedoch, an der Wahrheit der Sache noch zweifeln
zu sollen. Ihre Mama lachte grausamen Hohn und versprach, die
erdrückendsten Beweise zu liefern — Sie möge aber nichts merken
lassen bis morgen.
Das wäre ein Kunststück gewesen! Als er heimkam und in.
ihre verweinten Äugen sah, fragte er theilnahmsvoll, was ihr fehle.
Sie schützte Zahnweh vor. Er nannte alle möglichen Mittel, eilte
fort, holte Zahngeist und Tropfen und zwang sie mit sanfter Ge-
walt, sich Wange und Zahnfleisch einzureiben. Sie ließ Alles über
sich ergehen; bester wurde aber das Uebel nicht. „Morgen muß er
heraus I" bestimmte er endlich, ■ und damit schien die Sache abge-
schlossen.
Zeitiger als je erschien am nächsten Morgen die Frau Schwieger-
mama, welche in ausgesucht höflicher Weise mit dem Herrn Sohn
verkehrte und ihm mittheilte, daß sie ihre Marie abhole, um gemein-
sam einen Markteinkauf zu machen. Das Zahnweh schien nach-
gelassen zu haben; die Fraueu gingen fort. Klein folgte bald
nach, um seinen gewohnten Gang anzutreten.
Dem Kramladen gegenüber in einer Hausflur lauerte die ver-
ehrte Schwiegermama mit Tochter. Man konnte von hier aus Alles
übersehen — ja sogar die schöne Lina im Innern des Gewölbes be-
obachten.— „Jetzt kommt er!" — Der jungen Frau schnürte es das
Herz zusammen. Wenn ihre Mama falsch berichtet worden wäre,
was gäbe sie darum!
Ahnungslos schritt er dahin — so sieht kein Verbrecher aus!
Doch halt! An der Ladenthür angekommen, blickt er vorsichtig um,
ob ihm Niemand folge.
„Sixt es?" zischte die
Mama mit Pathos.
„Da schau'! — jetzt
gibt er ihr die Hand —
ha, die Hand! — sie
steckt ihm ein Papier
zu — schändlich!.. Er
geht; jetzt ihm nach!
Das Billetdoux muß
heraus und wenn wir es
ihm in seinem Büreau
entreißen müssen!"
Wie das verkörperte
Berhängniß eilte ihm
die Mama mit der
armen Frau nach. O,
daß es so kommen
mußte! Er ging rüstig
weiter, beschritt die
Anlagen - die Frauen
immer nach. „Jetzt
bleibt er stehen und
holt etwas — ein
Papier — aus der
Tasche; jetzt liest er
ihn!" flüsterte die Mutter, „jetzt ist der Moment da!" Sie zog die
Tochter, förmlich mit sich, und wie eine sprungbereite Tigerin stand
sie im nächsten Augenblick hinter ihm. Marie hielt die Hand auf's
pochende Herz — Alles, Alles aus!
Er aber öffnete das Papier in seiner Hand, griff mit zwei
Fingern tief hinein, und nun ging's los — ch! — kch! — kch! —
— „Ah! ah! Das ist 'was Großartiges!" Ein unterdrücktes Auf-
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die Gattin sich dazwischen werfen konnte, hatte er schon eine tüchtige
Portion in den Krallen, und nun ging's los, daß sie, ganz starr
vor Entsetzen, gar nicht fähig war, zu protestiren. Dann lachte er
diabolisch und setzte ihrem leisen „Pfui!" eine sträfliche Gleichgiltig-
keit entgegen. Nun schmollte sie, und das muß man den Frauen
lasten, das können sie, und wenn sie jung und hübsch dabei sind,
verstehen sie es ganz sicher, den Mann mürbe zu machen. In Kuf-
stein fand eine zweite Eidesleistung mit darauffolgender Versöhnung
statt. Dann zogen sie in ihr Heim in München ein; er stellte sich
zum Dienste, sie übernahm das Departement der inneren Angelegen-
heiten und regierte mit milder Hand, so daß er eigentlich nichts an
dem Regimente auszusetzen hatte.
Nach den herrlichen Tagen der Reisezeit kam es ihm in den
stillen Räumen seiner Schreibstube zwischen den Akten recht öde vor;
und da tauchte der Gedanke an die alte Liebe auf und ließ ihn
nicht ruhen; der Versucher nahte in einsamen Büreaustunden immer
wieder und zeigte ihm höhnisch grinsend seine Dose und nahm mit
vernehmlichem Geschnarche vor ihm eine Prise um die andere.
Solchen Anfechtungen kann auf die Dauer auch der stärkste Mann
nicht widerstehen. „Ha!" rief er endlich aus, „bin ich ein Mann
oder nicht?" Und er zeigte sich als Mann, ging am andern Tage
vor der Büreaustunde in einen Kramladen in der Nähe seiner
Wohnung und kaufte um fünf Pfennig' Saarbrücker, den er ver-
schämt zu sich steckte, um ungesehen davon zu naschen. Bald war
er täglicher Gast in dem Laden, woselbst ein hübsches, kokettes Fräu-
lein die Kunden bediente. Die schöne Lina verstand es, ihren neuen
Kunden zusriedenzustellen; er hatte gar nicht nöthig, seinen Wunsch
auszusprechen; er legte einfach sein Fünferl auf den Ladentisch und
sie händigte ihm dann schelmisch lächelnd die kleine Düte mit der
. Contrebande ein.
Doch das Unglück schreitet schnell. Eines Tages fand sich mit
ihm eine ältliche Dame, Frau Kassier Zahlbrett, im Laden ein,
welche eine intime Freundin seiner Frau Schwiegermama war. Dank
der bestehenden Praxis hatte er nicht nöthig, umständlich zu ver-
langen, was er wollte; die schöne Lina drückte ihm das Papierchen
in die Hand, fügte einen glühenden, koketten Blick bei und dann
verschwand er. „Kennen Sie den Herrn?" forschte die Frau Kassterin,
der ein ganzes Sonnensystem im Hirnkasten aufging. — „Warum
nicht?" erwiederte das Fräulein geheimnißvoll und lächelte. —
„Also auch ein Verehrer? .. Schau, schau! Sie können den Herren
zusetzen. . ja, wenn man so hübsch ist —" — „Ob er gerade ein
Verehrer ist, das weiß ich nicht", bemerkte die schöne Lina schalk-
haft; „er kommt halt alle Tage und das ist Alles!" — „So? Mich
geht's nichts an", sagte Frau Zahlbrett scheinbar gleichgiltig, „man
red't halt so daher;.. wünsch' guten Morgen!" — „Wien!" — Wie
höllisches Feuer brannte es unter den Sohlen der guten Frau; sie
konnte nicht schnell genug zu ihrer Freundin, der Schwiegermutter
des armen Klein, eilen, um ihr die ungeheuerliche Entdeckung beizu-
bringen, daß der Herr Schwiegersohn ein Verhältniß mit einer
Ladnerin angebandelt habe und seine Frau auf die schmählichste
Weise hintergehe.
Nachdem sie auf diese Weise Oel in das Herz der Schwieger-
mutter gegoffen, war diese ganz Feuer und Flamme. Sie dachte
einen Augenblick nach, ob sie den Elenden sofort mit ihrer Zunge
zu Boden schmettern und ihre Tochter nebst Heirathgut und Aus-
steuer zurückverlangen, oder ob sie zuerst ihr armes Kind auf das
Schreckliche vorbereitcn sollte. Sie wählte das Letztere. Tropfen
um Tropfen brachte sie ihrer Tochter das Gift bei, und die Arme
brach fast zusammen unter der Last des ungeahnten Unglücks. Die
junge Frau glaubte jedoch, an der Wahrheit der Sache noch zweifeln
zu sollen. Ihre Mama lachte grausamen Hohn und versprach, die
erdrückendsten Beweise zu liefern — Sie möge aber nichts merken
lassen bis morgen.
Das wäre ein Kunststück gewesen! Als er heimkam und in.
ihre verweinten Äugen sah, fragte er theilnahmsvoll, was ihr fehle.
Sie schützte Zahnweh vor. Er nannte alle möglichen Mittel, eilte
fort, holte Zahngeist und Tropfen und zwang sie mit sanfter Ge-
walt, sich Wange und Zahnfleisch einzureiben. Sie ließ Alles über
sich ergehen; bester wurde aber das Uebel nicht. „Morgen muß er
heraus I" bestimmte er endlich, ■ und damit schien die Sache abge-
schlossen.
Zeitiger als je erschien am nächsten Morgen die Frau Schwieger-
mama, welche in ausgesucht höflicher Weise mit dem Herrn Sohn
verkehrte und ihm mittheilte, daß sie ihre Marie abhole, um gemein-
sam einen Markteinkauf zu machen. Das Zahnweh schien nach-
gelassen zu haben; die Fraueu gingen fort. Klein folgte bald
nach, um seinen gewohnten Gang anzutreten.
Dem Kramladen gegenüber in einer Hausflur lauerte die ver-
ehrte Schwiegermama mit Tochter. Man konnte von hier aus Alles
übersehen — ja sogar die schöne Lina im Innern des Gewölbes be-
obachten.— „Jetzt kommt er!" — Der jungen Frau schnürte es das
Herz zusammen. Wenn ihre Mama falsch berichtet worden wäre,
was gäbe sie darum!
Ahnungslos schritt er dahin — so sieht kein Verbrecher aus!
Doch halt! An der Ladenthür angekommen, blickt er vorsichtig um,
ob ihm Niemand folge.
„Sixt es?" zischte die
Mama mit Pathos.
„Da schau'! — jetzt
gibt er ihr die Hand —
ha, die Hand! — sie
steckt ihm ein Papier
zu — schändlich!.. Er
geht; jetzt ihm nach!
Das Billetdoux muß
heraus und wenn wir es
ihm in seinem Büreau
entreißen müssen!"
Wie das verkörperte
Berhängniß eilte ihm
die Mama mit der
armen Frau nach. O,
daß es so kommen
mußte! Er ging rüstig
weiter, beschritt die
Anlagen - die Frauen
immer nach. „Jetzt
bleibt er stehen und
holt etwas — ein
Papier — aus der
Tasche; jetzt liest er
ihn!" flüsterte die Mutter, „jetzt ist der Moment da!" Sie zog die
Tochter, förmlich mit sich, und wie eine sprungbereite Tigerin stand
sie im nächsten Augenblick hinter ihm. Marie hielt die Hand auf's
pochende Herz — Alles, Alles aus!
Er aber öffnete das Papier in seiner Hand, griff mit zwei
Fingern tief hinein, und nun ging's los — ch! — kch! — kch! —
— „Ah! ah! Das ist 'was Großartiges!" Ein unterdrücktes Auf-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Entsagung und Wiedersehen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 95.1891, Nr. 2401, S. 39
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg