beraubt und in ihren ikonographischen Bezügen nicht mehr mit Sicherheit zu deuten.
Jedoch ist der in herkömmlicher Weise mit dem Einzug nach Jerusalem - auf der
Nordkappe - beginnende und mit der Kreuzabnahme - auf der Westkappe - schlie-
ßende Passionszyklus auch so ein großartiges Dokument mittelalterlicher Frömmig-
keit: durch die dramatische Schilderung des Opfertodes Christi soll der Betrachter
mit seiner Sündhaftigkeit konfrontiert sowie zur aktiven Teilhabe am Leiden des Got-
tessohnes aufgerufen werden und ist darin dem religiösen Denken der Mystiker ver-
pflichtet155).
Der formale Aufbau der Einzugsszene nach Jerusalem folgt einem im Mittelalter über-
aus häufigen Schema: Der bärtige Christus sitzt nach Herrenart auf der Eselin und
führt ein großes Stabkreuz mit sich. Hinter ihm schreitet, stellvertretend für die Jün-
gerschar, Petrus oder Johannes. Die zum Teil beschädigte Figurengruppe bewegt sich
auf das aus Raummangel nur angedeutete Stadttor zu, aus dem zwei Männer hervor-
treten, von denen der vordere einen Judenhut trägt. Den Mittelpunkt der einfachen
Komposition bildet ein Ölbaum, den Zachäus (oder ein Knabe?) bestiegen hat, um mit
Axthieben Zweige zu brechen.
Alle diese Motive sind in der zeitgenössischen Malerei zwar überaus häufig anzutref-
fen; sie boten den Künstlern jedoch so mannigfaltige Möglichkeiten zu einer liebevol-
len Ausschmückung mit genrehaften Ergänzungen, daß es wegen des großen Varian-
tenreichtums schwer fällt, ikonographische Gemeinsamkeiten mit der Fedderwarder
Einzugsszene herauszustellen156). Vergleichsbeispiele lassen sich vornehmlich an um-
fangreichen Darstellungsprogrammen ausmachen, wo Raummangel eine ähnliche
szenische Reduktion auf wenige Personen erforderte. So im 22 Szenen umfassenden
Christuszyklus von St. Cäcilia in Köln, den Clemen an die Wende zum 14. Jahrhun-
dert setzt157), oder - ausführlicher - auf dem Chorgewölbe der Kirche zu Toitenwin-
kel bei Rostock (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts)158) sowie auf Erzeugnissen der
sächsischen Bildstickerei159); Entsprechungen finden sich zahlreich auch in der
Buchmalerei160) - hier allerdings meist weitaus figurenreicher: in den untereinander
eng verwandten Einzugsbildern der Haseloffschen „thüringisch-sächsischen Maler-
schule des 13. Jahrhunderts“161), in den Miniaturen der Wöltingeroder Handschrif-
ten162) oder in Armenbibeln163). Ähnlich aufgebaute Einzugsszenen sind weiterhin an
farbigen Fensterverglasungen anzutreffen - allerdings ist bei allen diesen Werken nur
eine ganz allgemeine kompositorische Wesensverwandtschaft festzustellen, was we-
gen der gestalterischen Freizügigkeit, mit der diese Szene offenbar behandelt zu wer-
den pflegte, nicht überraschen dürfte.
Es folgt eine Szene, die sich wegen ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes bis-
lang nicht mit Sicherheit deuten ließ. Wir erkennen eine Gestalt mit Judenhut, dane-
ben den schräg aufwärts blickenden Christus im Dreiviertelprofil, dann ein nur sche-
menhaft erkennbares Darstellungsfeld. Eigentlich sollte man an dieser Stelle des Pas-
sionszyklus eine der Zwischenszenen zum Abendmahl erwarten („Die Juden versu-
chen Christus zu steinigen“, „Bestechung des Judas“, „Abschiedsrede an die Jün-
ger“, „Fußwaschung“, „Tempelreinigung“); die Kopfhaltung des Heilands läßt je-
doch vermuten, daß es sich um die Berufung des auf dem Baume sitzenden Zachäus
handeln könnte - die einzige erhaltene Szene aus dem öffentlichen Wirken des Hei-
lands im Fedderwarder Ausmalungsprogramm.
Die anschließende Abendmahlsdarstellung läßt sich einem weit verbreiteten Bildtypus
zuordnen, der die Einsetzung des eucharistischen Mahles mit der Kennzeichnung des
Judas als Verräter verbindet. In formaler Hinsicht sind Einflüsse der norddeutschen
Malerei des 13. Jahrhunderts nicht auszuschließen164), wie der dreizonige Bildaufbau
erkennen läßt, der aus einer dicht gedrängten Apostelgruppe mit Christus als Mittel-
punkt besteht, von der Judas durch einen tuchbehangenen Rechtecktisch isoliert wird.
Drei Kelche und quadratische Tücher mit Hostien weisen auf die Einsetzung des Al-
tarsakraments hin. Auch szenische Einzelheiten, wie die würdevoll aufgerichtete fron-
tale Gestalt Christi, der sich an die Brust des Herrn schmiegende knabenhafte Johan-
nes und der im Knielauf kauernde Judas - mit der einen Hand führt dieser die Hostie
40, 41
120
116, 117
119-126
42, 43
44, 45
39
Jedoch ist der in herkömmlicher Weise mit dem Einzug nach Jerusalem - auf der
Nordkappe - beginnende und mit der Kreuzabnahme - auf der Westkappe - schlie-
ßende Passionszyklus auch so ein großartiges Dokument mittelalterlicher Frömmig-
keit: durch die dramatische Schilderung des Opfertodes Christi soll der Betrachter
mit seiner Sündhaftigkeit konfrontiert sowie zur aktiven Teilhabe am Leiden des Got-
tessohnes aufgerufen werden und ist darin dem religiösen Denken der Mystiker ver-
pflichtet155).
Der formale Aufbau der Einzugsszene nach Jerusalem folgt einem im Mittelalter über-
aus häufigen Schema: Der bärtige Christus sitzt nach Herrenart auf der Eselin und
führt ein großes Stabkreuz mit sich. Hinter ihm schreitet, stellvertretend für die Jün-
gerschar, Petrus oder Johannes. Die zum Teil beschädigte Figurengruppe bewegt sich
auf das aus Raummangel nur angedeutete Stadttor zu, aus dem zwei Männer hervor-
treten, von denen der vordere einen Judenhut trägt. Den Mittelpunkt der einfachen
Komposition bildet ein Ölbaum, den Zachäus (oder ein Knabe?) bestiegen hat, um mit
Axthieben Zweige zu brechen.
Alle diese Motive sind in der zeitgenössischen Malerei zwar überaus häufig anzutref-
fen; sie boten den Künstlern jedoch so mannigfaltige Möglichkeiten zu einer liebevol-
len Ausschmückung mit genrehaften Ergänzungen, daß es wegen des großen Varian-
tenreichtums schwer fällt, ikonographische Gemeinsamkeiten mit der Fedderwarder
Einzugsszene herauszustellen156). Vergleichsbeispiele lassen sich vornehmlich an um-
fangreichen Darstellungsprogrammen ausmachen, wo Raummangel eine ähnliche
szenische Reduktion auf wenige Personen erforderte. So im 22 Szenen umfassenden
Christuszyklus von St. Cäcilia in Köln, den Clemen an die Wende zum 14. Jahrhun-
dert setzt157), oder - ausführlicher - auf dem Chorgewölbe der Kirche zu Toitenwin-
kel bei Rostock (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts)158) sowie auf Erzeugnissen der
sächsischen Bildstickerei159); Entsprechungen finden sich zahlreich auch in der
Buchmalerei160) - hier allerdings meist weitaus figurenreicher: in den untereinander
eng verwandten Einzugsbildern der Haseloffschen „thüringisch-sächsischen Maler-
schule des 13. Jahrhunderts“161), in den Miniaturen der Wöltingeroder Handschrif-
ten162) oder in Armenbibeln163). Ähnlich aufgebaute Einzugsszenen sind weiterhin an
farbigen Fensterverglasungen anzutreffen - allerdings ist bei allen diesen Werken nur
eine ganz allgemeine kompositorische Wesensverwandtschaft festzustellen, was we-
gen der gestalterischen Freizügigkeit, mit der diese Szene offenbar behandelt zu wer-
den pflegte, nicht überraschen dürfte.
Es folgt eine Szene, die sich wegen ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes bis-
lang nicht mit Sicherheit deuten ließ. Wir erkennen eine Gestalt mit Judenhut, dane-
ben den schräg aufwärts blickenden Christus im Dreiviertelprofil, dann ein nur sche-
menhaft erkennbares Darstellungsfeld. Eigentlich sollte man an dieser Stelle des Pas-
sionszyklus eine der Zwischenszenen zum Abendmahl erwarten („Die Juden versu-
chen Christus zu steinigen“, „Bestechung des Judas“, „Abschiedsrede an die Jün-
ger“, „Fußwaschung“, „Tempelreinigung“); die Kopfhaltung des Heilands läßt je-
doch vermuten, daß es sich um die Berufung des auf dem Baume sitzenden Zachäus
handeln könnte - die einzige erhaltene Szene aus dem öffentlichen Wirken des Hei-
lands im Fedderwarder Ausmalungsprogramm.
Die anschließende Abendmahlsdarstellung läßt sich einem weit verbreiteten Bildtypus
zuordnen, der die Einsetzung des eucharistischen Mahles mit der Kennzeichnung des
Judas als Verräter verbindet. In formaler Hinsicht sind Einflüsse der norddeutschen
Malerei des 13. Jahrhunderts nicht auszuschließen164), wie der dreizonige Bildaufbau
erkennen läßt, der aus einer dicht gedrängten Apostelgruppe mit Christus als Mittel-
punkt besteht, von der Judas durch einen tuchbehangenen Rechtecktisch isoliert wird.
Drei Kelche und quadratische Tücher mit Hostien weisen auf die Einsetzung des Al-
tarsakraments hin. Auch szenische Einzelheiten, wie die würdevoll aufgerichtete fron-
tale Gestalt Christi, der sich an die Brust des Herrn schmiegende knabenhafte Johan-
nes und der im Knielauf kauernde Judas - mit der einen Hand führt dieser die Hostie
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