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Das künstlerische Umfeld:
Die ostfriesische Sakral-
architektur des Mittelalters

Die kirchengeschichtliche und politische Entwicklung
im Überblick
Seit 650 n.Chr. dem heidnischen Friesenreich des Königs Radbod eingegliedert,
wurde Ostfriesland nach langer und verlustreicher Missionierung schließlich dem
Frankenreich Karls d. Gr. einverleibt und in Grafschaften eingeteilt. Kirchlich wurde
das Gebiet im Rahmen einer großangelegten Christianisierungswelle, die offenbar in
den folgenden beiden Jahrhunderten die heidnische Vorstellungswelt der Eingesesse-
nen nicht grundlegend zu beeinflussen vermochte, den Diözesen Münster und Bremen
inkorporiert und in Gaukirchenverbände unterteilt, aus denen zahlreiche Gau- oder
Sendkirchen mit einem Netz von Tochtergründungen hervorgingen.
Nach der Auflösung des Karolingerreichs löste sich Ostfriesland aus dem Reichsver-
band; die „Friesische Freiheit“ bildete sich heraus, ein genossenschaftlicher Zusam-
menschluß kleiner Bezirke zu „Landesgemeinden“ mit gewählten Ratgebern an der
Spitze, die jährlich um Pfingsten am „Upstalsboom“ bei Aurich zusammenkamen,
um Recht zu sprechen oder über umfangreiche Gemeinschaftsaufgaben wie Deichbau,
Siedlung und Landgewinnung zu beraten. Innere Fehden und das Fehlen einer straffen
Selbstverwaltung waren wohl die Hauptgründe, die schließlich zur Auflösung der
bäuerlichen Selbstverwaltungsorgane führten und seit dem 14. Jahrhundert örtliche
Häuptlinge — Großgrundbesitzer - an die Macht gelangen ließen, die in zahlreichen
Fehden ihre Einflußsphäre auszudehnen versuchten. Aus diesen oft mit erbitterter
Härte geführten und mit großen Opfern für die Bevölkerung verbundenen Macht-
kämpfen ging das Greetsieler Häuptlingsgeschlecht der Cirksena siegreich hervor und
konnte reichsrechtliche Anerkennung erlangen: Ulrich I. Cirksena wurde im Jahre
1464 Reichsgraf der Grafschaft Ostfriesland1).

Bau- und Raumformen ostfriesischer Kirchen
Die Anfänge der ostfriesischen Sakralarchitektur sind etwa bis zum 9. Jahrhundert in
Dunkel gehüllt. Kirchenbauten, die von jener Zeit Zeugnis ablegen könnten, sind
nicht mehr vorhanden. Pfostenreste und Wandfüllungen aus lehmbeworfenem Holz-
flechtwerk - das ist alles, was die Archäologie bislang von ihnen zutage gefördert
hat. Aufschlüsse über Bauart und Grundriß der frühen Holzkirchen, die nach einer
Textstelle bei Adam von Bremen noch im Jahre 1015 aus den Stämmen der Götterhai-
ne, welche die „Marschbewohner in törichter Verehrung besuchen“, errichtet wur-
den, lassen sich an Hand der fragmentarischen Ausgrabungsbefunde zwar nicht ge-
winnen; doch ist nicht auszuschließen, daß es schlichte Rechteckeinräume waren,
den ergrabenen Stabhäusern Ostfrieslands vergleichbar.
Die ältesten noch aufrecht stehenden Kirchenbauten reichen in die zweite Hälfte des
12. Jahrhunderts zurück und zeigen bereits Formmerkmale, die bis in die Epoche der

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