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Spätgotik beibehalten wurden2). Die übliche Bauform ist die drei bis fünf Joche um-
fassende, langgestreckte und traufseitig aufgeschlossene Saalkirche mit eingezogener,
halbrunder Ostapsis. Charakteristisch für die meist auf künstlich aufgeschütteten
Warfen stehenden Dorfkirchen war ferner das Fehlen von Westtürmen, die offenbar
73, 74 nur ausgesprochenen Monumentalbauten Vorbehalten waren. Statt dessen sind - ver-
69 mutlich vor allem wegen des unsicheren Baugrundes - freistehende Glockentürme
verbreitet. In der Anfangszeit des friesischen Steinkirchenbaus vermutlich als hölzerne
Glockengerüste ausgebildet, wurden sie seit dem 13. Jahrhundert als niedrige und un-
scheinbare Backsteinbauten errichtet3).
Als Baustoff wurden spätestens ab 1150 Granitfindlinge verwandt, die allerdings nur
65 auf der Geest vorhanden waren und deshalb mit Schlitten oder zu Schiff herangeschafft
werden mußten. Das Vorkommen von Granitquaderkirchen ist auf das Gebiet der
ehemaligen Diözese Bremen begrenzt4).
Seltener kam wegen des umständlichen und kostspieligen Transports der aus der Ge-
gend von Andernach auf dem Wasserwege über Deventer und Utrecht in die Häfen der
Nordseeküste versandte Tuffstein zur Verwendung; er findet sich meist an Kirchen,
die zur Erbauungszeit auf dem Schiffswege leicht zu erreichen waren5).
Beide Steinbautechniken wurden nebeneinander (manchmal sogar an der gleichen Kir-
che) angewandt, bis sie durch den vom Westen aus den Niederlanden vordringenden
und durch zahlreiche Klostergründungen sich schnell ausbreitenden Backsteinbau in
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verdrängt wurden6). Allerdings ist der Ein-
fluß der Klöster auf den lokalen Steinkirchenbau heute schwer abzuschätzen7).
In einer bereits um 1200 einsetzenden Übergangsphase war der neue Baustoff gemein-
sam mit Tuff oder Granit verwandt worden, etwa zur Ausmauerung der inneren
Mauerschale oder am Außenbau lediglich für den oberen Wandbereich.
Einhergehend mit der Einführung der Backsteintechnik ist das Bestreben, die bis da-
hin glatten Mauermassen, die sich zu klaren stereometrischen Formen zusammen-
schlossen und einen Baukörper von karger Monumentalität entstehen ließen - der
während der unruhigen Häuptlingszeit, geschützt durch die wall- und grabenbe-
wehrte Kirchenwarf, als einziger Steinbau der Orte gelegentlich Verteidigungszwek-
64 ken diente8) —, durch schattenwerfende Wandvorlagen sowie aufwendig gestaltete
67-73 Zierfriese und Fensterlaibungen sinnvoll zu gliedern und aufzulockern.
Dieser Bautyp ist im übrigen europäischen Dorfkirchenbau ebenfalls bekannt9). Mit
den geschilderten Formmerkmalen tritt er allerdings nirgends so massiert auf. Ver-
65 mutlich entstand er zu Beginn des 12. Jahrhunderts als Granitquaderbau im Jeverland
und breitete sich in der Folgezeit nach Ostfriesland und Groningen aus10), die sich
damit von den angrenzenden Kunstlandschaften als betont eigenständiger Formkreis
abheben11). Er ist in Ostfriesland in Varianten der Ausgangsform anzutreffen. In der
Reihenfolge ihrer Genese ergibt sich seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts etwa fol-
gende, sich zeitlich und kulturräumlich bisweilen überschneidende Gliederung12):
65 - flachgedeckte Saalkirche mit halbrunder, kuppelförmig überwölbter Apsis (Apsis-
saal - Ausgangstyp)
- flachgedeckte Saalkirche ohne Apsis (Rechteckeinraum)
- gewölbte Saalkirche mit Apsis
66, 69 - gewölbte Saalkirche ohne Apsis
71 - einschiffige, gewölbte Kreuzkirche mit und ohne Apsis.
Typisch ist die bis zur Spätgotik allgemein verbreitete große Streckung des Schiffes
und das Fehlen einer vollausgebildeten Choranlage, die an damals in Mitteleuropa er-
richteten Dorfkirchen selten fehlt; der Chor wurde im Kircheninnern lediglich durch
eine geringfügige Anhebung des Fußbodenniveaus, bisweilen durch gemauerte Chor-
schranken oder eine reichere Ausbildung des Ostgewölbes angedeutet. Der in der Re-
gel an den Längsseiten von Norden und Süden durch diagonal sich gegenüberliegende
Portale zu betretende Saalraum öffnete sich dem Besucher als in sich ruhender Breit-
raum, dem ein eindeutiger Richtungsbezug, die Ausrichtung auf den im Osten gelege-
nen Chor, meist fehlte.

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