Stadtgrabung 21
Anthropologischer Vorbericht über die
Skelettfunde vom Kohlmarkt in Braunschweig
Angelika Burkhardt
Die frühesten Bestattungen des ehemaligen Friedhofs
auf dem heutigen Kohlmarkt gehen bis in die 2. Hälfte
des 9. Jahrhunderts zurück (H. Rötting, 1981). Mit
Abriß des letzten Kirchenbaus von St. Ulrici im Jahre
1544 wurden auch die Bestattungen an diesem Ort ein-
gestellt. Die 1979/80 ausgegrabenen Skelette stammen
demnach aus dem langen Zeitraum von 7 Jahrhunder-
ten. Es wurden 176 Grabkomplexe1 freigelegt und zu-
sätzlich eine große Anzahl von „Streuknochen“ aus ge-
störten Bestattungen geborgen.
Alle Skelettelemente wurden zunächst einer Reinigung
und Härtung unterzogen und, soweit erforderlich, re-
stauriert. Nur sehr wenige Skelette sind relativ voll-
ständig und gut erhaltengeblieben. Der Gesamterhal-
tungszustand ist als mäßig gut zu bezeichnen.
Inzwischen konnten aufgrund archäologischer Be-
funde 70 Gräber genauer datiert werden, was für eine
vergleichende anthropologische Beurteilung unab-
dingbar ist.
Im folgenden soll ein erster Bericht über die anthropo-
logische Untersuchung der Skelette bzw. Skelettreste
vom Kohlmarkt in Braunschweig vorgelegt werden.
Der kurzen Beschreibung der Individuenverteilung in
den 176 Gräbern (I) folgen demographische und mor-
phologische Angaben zur Gesamtgruppe der gefunde-
nen Skelette (II). Daran anschließend sollen die Gräber
bevorzugt betrachtet werden, die bislang datiert wer-
den konnten (III). Allgemeine morphologische Be-
funde (IV) beschließen den Vorbericht.
I
In den 176 Gräbern wurden 57 Männer und 47 Frauen,
also 104 Erwachsene, sowie 2 Jugendliche beigesetzt.
Skelettreste aus 22 Gräbern waren nicht mehr sicher
auswertbar. Die restlichen 48 Gräber enthielten kind-
liche Skelette. Nur in 26 der 48 Kindergräber war je-
weils ein einzelnes Kind bestattet, in den übrigen Grä-
bern konnten Reste von 2 bis 4 Kindern pro Grab iden-
tifiziert werden, ebenso enthielten 12 der Erwachse-
nengräber zusätzlich kindliche Skelettelemente, so daß
insgesamt 114 Kinder unter 14 Jahren nachgewiesen
werden konnten2.
II
1. Neben den 176 im Grabungsbereich erfaßten Grä-
bern konnte außerdem eine große Anzahl von „Streu-
knochen“ aus gestörten Bestattungen geborgen wer-
den, so daß insgesamt 700 Individuen zu registrieren
waren. Einschließlich des noch nicht ausgezählten
(Streu-)Materials wird, bezogen auf die ausgegrabene
Fläche (ca. ein Achtel des Kohlmarkts), mit einer Ge-
samtindividuenzahl von 1000 zu rechnen sein.
2. Von den bisher ausgezählten 700 Individuen sind
55 % Erwachsene und 45 % Kinder und Jugendliche.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß die wahre Mortalitäts-
rate der Kinder noch wesentlich höher lag, denn oft
zerfallen die meisten der dünnen und zarten kindlichen
Skelettelemente rasch oder gehen bei den Bergungsar-
beiten verloren. Es ist nur der sorgfältigen Grabungs-
methode zu verdanken, daß überhaupt so viele Kinder-
skelette zur Auswertung gelangen konnten.
Die Abb. 1 zeigt die prozentuale Verteilung der Kin-
dersterblichkeit (n = 298) in den verschiedenen Alters-
klassen3.
Die Gruppe der Kleinkinder bis zum vollendeten 2.
Lebensjahr (inf. 1/1) stellt die meisten Sterbefälle. Ihr
folgen die 3- bis 7jährigen (inf. 1/2), deren Anteil mit
ungefähr 20% jedoch schon bedeutend geringer ist.
Die Sterblichkeitskurve nimmt in den folgenden 7
Kindheitsjahren weiter ab und erreicht in der juvenilen
Phase ihren Tiefpunkt. Von der Anzahl der prä- oder
perinatal Verstorbenen (16 %) sollte wegen des raschen
Zerfalls ihrer extrem empfindlichen Skeletteile nicht auf
die Anzahl der Frühgeburten rückgeschlossen werden.
Die relativ geringe Sterblichkeit der Säuglinge von 0 bis
1 Jahr kann mit dem natürlichen Immunschutz durch
die Mutter begründet werden. Ursache für die hohe
193
Anthropologischer Vorbericht über die
Skelettfunde vom Kohlmarkt in Braunschweig
Angelika Burkhardt
Die frühesten Bestattungen des ehemaligen Friedhofs
auf dem heutigen Kohlmarkt gehen bis in die 2. Hälfte
des 9. Jahrhunderts zurück (H. Rötting, 1981). Mit
Abriß des letzten Kirchenbaus von St. Ulrici im Jahre
1544 wurden auch die Bestattungen an diesem Ort ein-
gestellt. Die 1979/80 ausgegrabenen Skelette stammen
demnach aus dem langen Zeitraum von 7 Jahrhunder-
ten. Es wurden 176 Grabkomplexe1 freigelegt und zu-
sätzlich eine große Anzahl von „Streuknochen“ aus ge-
störten Bestattungen geborgen.
Alle Skelettelemente wurden zunächst einer Reinigung
und Härtung unterzogen und, soweit erforderlich, re-
stauriert. Nur sehr wenige Skelette sind relativ voll-
ständig und gut erhaltengeblieben. Der Gesamterhal-
tungszustand ist als mäßig gut zu bezeichnen.
Inzwischen konnten aufgrund archäologischer Be-
funde 70 Gräber genauer datiert werden, was für eine
vergleichende anthropologische Beurteilung unab-
dingbar ist.
Im folgenden soll ein erster Bericht über die anthropo-
logische Untersuchung der Skelette bzw. Skelettreste
vom Kohlmarkt in Braunschweig vorgelegt werden.
Der kurzen Beschreibung der Individuenverteilung in
den 176 Gräbern (I) folgen demographische und mor-
phologische Angaben zur Gesamtgruppe der gefunde-
nen Skelette (II). Daran anschließend sollen die Gräber
bevorzugt betrachtet werden, die bislang datiert wer-
den konnten (III). Allgemeine morphologische Be-
funde (IV) beschließen den Vorbericht.
I
In den 176 Gräbern wurden 57 Männer und 47 Frauen,
also 104 Erwachsene, sowie 2 Jugendliche beigesetzt.
Skelettreste aus 22 Gräbern waren nicht mehr sicher
auswertbar. Die restlichen 48 Gräber enthielten kind-
liche Skelette. Nur in 26 der 48 Kindergräber war je-
weils ein einzelnes Kind bestattet, in den übrigen Grä-
bern konnten Reste von 2 bis 4 Kindern pro Grab iden-
tifiziert werden, ebenso enthielten 12 der Erwachse-
nengräber zusätzlich kindliche Skelettelemente, so daß
insgesamt 114 Kinder unter 14 Jahren nachgewiesen
werden konnten2.
II
1. Neben den 176 im Grabungsbereich erfaßten Grä-
bern konnte außerdem eine große Anzahl von „Streu-
knochen“ aus gestörten Bestattungen geborgen wer-
den, so daß insgesamt 700 Individuen zu registrieren
waren. Einschließlich des noch nicht ausgezählten
(Streu-)Materials wird, bezogen auf die ausgegrabene
Fläche (ca. ein Achtel des Kohlmarkts), mit einer Ge-
samtindividuenzahl von 1000 zu rechnen sein.
2. Von den bisher ausgezählten 700 Individuen sind
55 % Erwachsene und 45 % Kinder und Jugendliche.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß die wahre Mortalitäts-
rate der Kinder noch wesentlich höher lag, denn oft
zerfallen die meisten der dünnen und zarten kindlichen
Skelettelemente rasch oder gehen bei den Bergungsar-
beiten verloren. Es ist nur der sorgfältigen Grabungs-
methode zu verdanken, daß überhaupt so viele Kinder-
skelette zur Auswertung gelangen konnten.
Die Abb. 1 zeigt die prozentuale Verteilung der Kin-
dersterblichkeit (n = 298) in den verschiedenen Alters-
klassen3.
Die Gruppe der Kleinkinder bis zum vollendeten 2.
Lebensjahr (inf. 1/1) stellt die meisten Sterbefälle. Ihr
folgen die 3- bis 7jährigen (inf. 1/2), deren Anteil mit
ungefähr 20% jedoch schon bedeutend geringer ist.
Die Sterblichkeitskurve nimmt in den folgenden 7
Kindheitsjahren weiter ab und erreicht in der juvenilen
Phase ihren Tiefpunkt. Von der Anzahl der prä- oder
perinatal Verstorbenen (16 %) sollte wegen des raschen
Zerfalls ihrer extrem empfindlichen Skeletteile nicht auf
die Anzahl der Frühgeburten rückgeschlossen werden.
Die relativ geringe Sterblichkeit der Säuglinge von 0 bis
1 Jahr kann mit dem natürlichen Immunschutz durch
die Mutter begründet werden. Ursache für die hohe
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