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Stadtarchäologie in Braunschweig — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 3: Hameln: Verlag CW Niemeyer, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.57459#0221
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Abb. 1: Ansicht der Stadt Braunschweig von Westen, 1547 (um 1545); kolorierter Holzschnitt; monogrammiert PS (Peter
Spitzer zugeschrieben). Original i. d. Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel (nach Mertens-Moderhack 1981)


nährungs- und Umweltverhältnisse in der Vergangen-
heit. Erfreulicherweise fanden seit einigen Jahren bei
zahlreichen Rettungsgrabungen im Bereich der fünf al-
ten Städte Braunschweigs auch die in den Fundschich-
ten des Mittelalters oftmals enthaltenen Pflanzenreste
Beachtung. Sie wurden dankenswerterweise geborgen
und für die paläo-ethnobotanische Untersuchung be-
reitgestellt2.
Neben durchlüfteten Bodenschichten, wie sie z.B. in
der Petersilienstraße (7) vorlagen, konnten vielfach
auch Ablagerungen angeschnitten werden, die unter
Sauerstoff-Abschluß gestanden hatten. In derartigen
Sedimenten aus Brunnen, Kloaken und Feuchtgräben
sind außer verkohlten auch größere Mengen unver-
kohlter Pflanzenteile erhalten geblieben. Es handelt
sich vor allem um Diasporen (Früchte und Samen) und
Holz. Da sich bei der Auswertung der Pflanzenfunde
fundstellenspezifische Aussagebereiche ergeben (Wil-
lerding 1971, 1972), ist es besonders wertvoll, daß aus
dem mittelalterlichen Braunschweig mehrere unter-
schiedliche Fundstellen-Typen erschlossen werden
konnten (Tab. 1). Es sind dies eine Grube mit Brand-
schutt (Kulturschicht), zwei Brunnen, mehrere Kloa-
ken, ein mit Feuchtsedimenten ausgefüllter alter Bach-
lauf und ein Grab. An verschiedenen Stellen wurden
Pflanzenreste zudem auch in der Kulturschicht festge-
stellt.
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Die Lage der Fundstellen ist aus Abb. 2 zu ersehen.
Das Fundgut stammt aus dem Zeitraum vom 9.-16.
Jahrhundert.
Mit Hilfe eines Schlämm-Flotationsverfahrens wurden
die Pflanzenreste aus den Proben geborgen. Gegebe-
nenfalls mußte das Material zuvor mit einer 5%igen
Kalilauge behandelt werden3. Die Bestimmung der
Diasporen erfolgte unter dem Binokular (bis 40fache
Vergrößerung), die der Hölzer unter dem Mikroskop
(bis 450fache Vergrößerung).
Wie aus der Art der Fundstellen hervorgeht, handelt es
sich bei den Pflanzenresten vielfach um Abfälle. In der
Grube an der Petersilienstraße lagen größere Mengen
verkohlter Getreide-Körner und Leguminosen-Samen.
Vermutlich sind es Überreste von Vorräten, die bei ei-
ner Brandkatastrophe verkohlt waren. Die Kloaken-
Schichten enthielten außer Resten, die den menschli-
chen Verdauungstrakt passiert hatten, auch zahlreiche
Abfälle aus Haus und Garten. Bei den in den Brunnen-
füllungen befindlichen Pflanzenresten muß es sich
ebenfalls um Abfälle handeln; dies machen u.a. die
Funde verkohlter Getreidekörner deutlich. Vermutlich
war auch in den alten, das Siedlungsgelände durchzie-
henden Bachlauf im Packhof-Bereich (10) mancher Ab-
fall gelangt. Außerdem wurden dort jedoch auch Dia-
sporen von Arten feuchter Standorte festgestellt, so daß

sich Aufschlüsse über die Vegetation im Nahbereich
des Flusses ergeben.
In Tab. 2 sind die bislang aus dem Mittelalter Braun-
schweigs nachgewiesenen Kultur- und Sammelpflan-
zen notiert. Außer den Fundorten und ihrer Datierung
sind die in methodischer Hinsicht wichtigen Daten
über Fundstellen-Typ und Erhaltungszustand der Be-
lege angefügt.
Die Zusammenstellung macht deutlich, daß Präsenz
von Belegen bestimmter Arten in engem Zusammen-
hang steht mit der Genese der verschiedenen Ablage-
rungen und den in ihnen vorhandenen Erhaltungsbe-
dingungen. So wurden verkohlte Getreidekörner außer
in der Abfallgrube der Petersilienstraße auch in den Se-
dimenten der beiden Brunnen in gewisser Menge fest-
gestellt. Sie sind aber nur selten in Kloakenschichten
enthalten. Kloaken-Funde können daher kaum zu
Kenntnissen über Anbau und Verwendung der Getrei-
de-Arten verhelfen. Das gilt entsprechend auch für die
Leguminosen. Unverkohlte Belege von Ölpflanzen wie
Mohn werden hingegen gelegentlich in Kloaken-
Schichten gefunden. Samen und Kapselbruchstücke
vom Lein kommen erfahrungsgemäß häufiger in Brun-
nen-Füllungen vor.
Kloaken sind jedoch von besonderem Wert für den
Nachweis von Obst-Arten. Deren Reste gelangten

entweder als Abfälle dorthin, so z.B. die Steinkerne
vom Pfirsich und die Schalen von Wal- und Haselnüs-
sen. Kleinere Belege wie die Nüßchen von Feige und
Wald-Erdbeere, die Samen der Weinbeeren und die
Steinkerne von Himbeere und Brombeere stammen
wohl eher aus dem Kot.
Vermutlich sind so auch die zahlreichen Beschädigun-
gen an den Samen von Apfel und Birne zu erklären.
Dort, wo nur verkohlte Belege erhalten bleiben konn-
ten, fehlen die in der Regel unverkohlten Reste der
Obstarten nahezu vollständig. Anders sieht es erfah-
rungsgemäß bei Brunnenfunden aus. Wenn dennoch
aus den beiden Braunschweiger Brunnen kaum Belege
von Kulturobst vorliegen, so ist das wohl darauf zu-
rückzuführen, daß während des frühen Mittelalters der
Anbau von Kulturobst-Arten anscheinend nur wenig
verbreitet gewesen war (Willerding 1979 b). - Die Bei-
spiele machen deutlich, daß bei jedem Fundkomplex
das Problem von Präsenz und Repräsentanz der Belege
erneut zu klären ist.
Der Anbau der Getreidearten Roggen, Weizen, Gerste
und Hafer (Abb. 3)4 war im Umland von Braun-
schweig während des Mittelalters verbreitet. Wie in an-
deren Gebieten des südlichen Niedersachsen scheint
dabei der Roggen auch um Braunschweig eine beson-
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