DIE VERFASSUNG DER STADT
Erzbischofs vor altem und neuem Rat vor und ließ
sie vom Stadtschreiber zu Protokoll nehmen, um
nicht selber in die Schußlinie zu geraten: . damit
inskünfftige auff alle feil mit darlegungh dessen
meine wenige Person . . . salviren könne“; im Un-
terschied zum Erzbischof sprach er nicht nur die
evangelische Bürgerschaft, sondern auch den Rat
an.323) Die Leitung der Kommission fiel auf den
Bischof von Münster und den Landgrafen von Hes-
sen-Darmstadt, die gemeinsam zu einem Termin
auf das Duderstädter Rathaus einluden, zu dem
aber nicht sie selbst, sondern Bevollmächtigte er-
scheinen sollten.324^ Vom 28. Mai bis 24. Juni 1652
nahm die Kommission die Beschwerden der Prote-
stanten entgegen (neben der freien Religionsaus-
übung forderten sie unter anderem die freie Rats-
wahl) und reiste dann ab.325) Da in der Angelegen-
heit nichts geschah, schickte der evangelische Teil
der Bürgerschaft einen Delegierten nach Regens-
burg, versehen mit einem Memoriale vom 7. Juni
1653 über Religionseingriffe und den unverschul-
deten Ausschluß evangelischer Bürger aus dem
Rat.326) Der Gesandte wurde hingehalten und dann
auf den nächsten Reichstag vertröstet, weshalb er
im Mai 1654 ergebnislos die Heimreise antrat.3’7)
Hatten die Protestanten mit ihren Bemühungen
keinen Erfolg, so unterblieben immerhin von Sei-
ten des Erzstiftes Mainz die rigorosen Rekatholi-
sierungsmaßnahmen der Kriegszeit, wie ja auch
schon die schwedische Besatzung gegen Ende des
Krieges die Andersgläubigen im Rat toleriert hatte.
Offenbar setzte sich die Erkenntnis durch, daß die
Lutheraner keine schlechteren Untertanen waren
und ihnen auch wirtschaftlich große Bedeutung zu-
kam, die eine gewisse Repräsentation im Rat nahe-
legte. Zu den höchsten Ämtern der Stadt, Schult-
heiß und Bürgermeister, konnten sie allerdings Zu-
gang nicht erwarten.328) Lutheraner wurden in den
Rat aufgenommen, wenn auch ihre Vertretung ins-
gesamt dort leicht zurückging und mehrfach ver-
storbene Protestanten durch Katholiken ersetzt
wurden329), so daß in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts der Anteil der Katholiken im Rat über 70
Prozent betrug. Das korrespondiert in etwa mit der
konfessionellen Zusammensetzung der Stadtbevöl-
kerung, die um 1730 zu zwei Dritteln aus Katholi-
ken besteht, während noch 40 Jahre zuvor die
Lutheraner sich in der Mehrheit befanden. Damals
allerdings hatten die Katholiken den überwiegen-
den Teil der Ratsherren gestellt (1670/71: 15 von
23).330) Den Lutheranern wie Katholiken wurde
von mainzischen Behörden die Ausnahmegeneh-
migung erteilt, im Rat zu sitzen in den Fällen, daß
em Familienangehöriger schon diesem Gremium
angehörte. Allerdings stellte man an die Protestan-
ten höhere Anforderungen: „als bey elegierung
eines lutherischen rathsmembris zu verhuetung
vieler sich ergeben könnender religionsbeschwer-
den auff die letztere qualitäten bekantermaßen vor-
züglich rücksicht genommen werden muß“.331)
Vereinzelt sind noch Klagen der Protestanten zu
vernehmen, so 1712 die Beschwerde, daß man sie an
einigen Feiertagen hindere, zum Gottesdienst nach
auswärts auszulaufen, und die Bitte um die Gewäh-
rung der freien Religionsausübung und die Erlaub-
nis, eine Kirche zu erbauen. Die Klagen wurden
auch dem Corpus Evangelicorum des Reichstags
vorgetragen, das sich in dieser Sache an den Kaiser
wandte (1719); die Sache verlief jedoch, wie schon
so oft, im Sande.332) 1774 wiederholten die evangeli-
schen Bürger ihre Bitte um eine Kirche333), 1777 ta-
ten sie es ein weiteres Mal.334)
Die fortdauernde Benachteiligung der Protestan-
ten führte zu einer Verbitterung, die sich 1802 ent-
lud, als das katholische Kurfürstentum Mainz auf-
gelöst und das Eichsfeld dem Königreich Preußen
zugewiesen wurde, das sich vollständige Religions-
freiheit und Förderung des Protestantismus auf
seine Fahnen geschrieben hatte. Schon am 7. Sep-
tember brachte die protestantische Gemeinde ihre
Beschwerden vor und forderte, eine der katholi-
schen Kirchen ihr zu übertragen.335) Ihr wurde ge-
antwortet, daß sie kein Anrecht darauf hätte, weil
aus den Unterlagen hervorginge, daß sie im Normal-
jahr 1624 keine Kirche besessen hatte, jetzt aber
Sorge für die Ausübung des Gottesdienstes getra-
gen werde. Ihr Verlangen aber, den Magistrat nur
mit Protestanten zu besetzen, sei „gänzlich intole-
rant, und es würde bey der künftigen Einrichtung
desselben nur auf Rechtschaffenheit und Tüchtig-
keit zum Amte, keinesweges aber auf die Religions-
partey, zu welcher sich das zu erwählende Subject
halte, gesehen werden; und so wenig es geduldet
werden würde, dass blos katholische Mitglieder an-
gestellt würden, eben so wenig könne es zugegeben
werden, dass blos auf Protestanten die Wahl
falle“.336) Nachdem die zuständige preußische Be-
hörde den Wunsch der Protestanten, die Katholi-
ken aus der städtischen Selbstverwaltung herauszu-
drängen, abgeschlagen hatte, entschied 1806 die
Berliner Zentrale, den Wunsch nach einer Kirche
beschleunigt zu erfüllen.337) Auf eine Beschwerde
des katholischen Pfarrers hin bedauerte der Kam-
merpräsident in Heiligenstadt das übereilte Vorge-
hen der Protestanten und die „unangenehme Span-
nung zwischen den katholischen und protestanti-
schen Religionsverwandten“ und sicherte den Ka-
tholiken eine Untersuchung zu, die entscheiden
solle, ob die Katholiken eine Kirche entbehren
könnten oder ob den Protestanten eine neue gebaut
werden müsse.338) Durch Ausmessung der Cyria-
kus-Kirche und Zählung der Gottesdienstbesucher
wurde rasch festgestellt, daß diese größte Kirche
der Stadt den Katholiken völlig ausreiche. Unruhe
und Erbitterung im katholischen Volksteil veran-
laßten den Magistrat, durch öffentlichen Anschlag
31
Erzbischofs vor altem und neuem Rat vor und ließ
sie vom Stadtschreiber zu Protokoll nehmen, um
nicht selber in die Schußlinie zu geraten: . damit
inskünfftige auff alle feil mit darlegungh dessen
meine wenige Person . . . salviren könne“; im Un-
terschied zum Erzbischof sprach er nicht nur die
evangelische Bürgerschaft, sondern auch den Rat
an.323) Die Leitung der Kommission fiel auf den
Bischof von Münster und den Landgrafen von Hes-
sen-Darmstadt, die gemeinsam zu einem Termin
auf das Duderstädter Rathaus einluden, zu dem
aber nicht sie selbst, sondern Bevollmächtigte er-
scheinen sollten.324^ Vom 28. Mai bis 24. Juni 1652
nahm die Kommission die Beschwerden der Prote-
stanten entgegen (neben der freien Religionsaus-
übung forderten sie unter anderem die freie Rats-
wahl) und reiste dann ab.325) Da in der Angelegen-
heit nichts geschah, schickte der evangelische Teil
der Bürgerschaft einen Delegierten nach Regens-
burg, versehen mit einem Memoriale vom 7. Juni
1653 über Religionseingriffe und den unverschul-
deten Ausschluß evangelischer Bürger aus dem
Rat.326) Der Gesandte wurde hingehalten und dann
auf den nächsten Reichstag vertröstet, weshalb er
im Mai 1654 ergebnislos die Heimreise antrat.3’7)
Hatten die Protestanten mit ihren Bemühungen
keinen Erfolg, so unterblieben immerhin von Sei-
ten des Erzstiftes Mainz die rigorosen Rekatholi-
sierungsmaßnahmen der Kriegszeit, wie ja auch
schon die schwedische Besatzung gegen Ende des
Krieges die Andersgläubigen im Rat toleriert hatte.
Offenbar setzte sich die Erkenntnis durch, daß die
Lutheraner keine schlechteren Untertanen waren
und ihnen auch wirtschaftlich große Bedeutung zu-
kam, die eine gewisse Repräsentation im Rat nahe-
legte. Zu den höchsten Ämtern der Stadt, Schult-
heiß und Bürgermeister, konnten sie allerdings Zu-
gang nicht erwarten.328) Lutheraner wurden in den
Rat aufgenommen, wenn auch ihre Vertretung ins-
gesamt dort leicht zurückging und mehrfach ver-
storbene Protestanten durch Katholiken ersetzt
wurden329), so daß in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts der Anteil der Katholiken im Rat über 70
Prozent betrug. Das korrespondiert in etwa mit der
konfessionellen Zusammensetzung der Stadtbevöl-
kerung, die um 1730 zu zwei Dritteln aus Katholi-
ken besteht, während noch 40 Jahre zuvor die
Lutheraner sich in der Mehrheit befanden. Damals
allerdings hatten die Katholiken den überwiegen-
den Teil der Ratsherren gestellt (1670/71: 15 von
23).330) Den Lutheranern wie Katholiken wurde
von mainzischen Behörden die Ausnahmegeneh-
migung erteilt, im Rat zu sitzen in den Fällen, daß
em Familienangehöriger schon diesem Gremium
angehörte. Allerdings stellte man an die Protestan-
ten höhere Anforderungen: „als bey elegierung
eines lutherischen rathsmembris zu verhuetung
vieler sich ergeben könnender religionsbeschwer-
den auff die letztere qualitäten bekantermaßen vor-
züglich rücksicht genommen werden muß“.331)
Vereinzelt sind noch Klagen der Protestanten zu
vernehmen, so 1712 die Beschwerde, daß man sie an
einigen Feiertagen hindere, zum Gottesdienst nach
auswärts auszulaufen, und die Bitte um die Gewäh-
rung der freien Religionsausübung und die Erlaub-
nis, eine Kirche zu erbauen. Die Klagen wurden
auch dem Corpus Evangelicorum des Reichstags
vorgetragen, das sich in dieser Sache an den Kaiser
wandte (1719); die Sache verlief jedoch, wie schon
so oft, im Sande.332) 1774 wiederholten die evangeli-
schen Bürger ihre Bitte um eine Kirche333), 1777 ta-
ten sie es ein weiteres Mal.334)
Die fortdauernde Benachteiligung der Protestan-
ten führte zu einer Verbitterung, die sich 1802 ent-
lud, als das katholische Kurfürstentum Mainz auf-
gelöst und das Eichsfeld dem Königreich Preußen
zugewiesen wurde, das sich vollständige Religions-
freiheit und Förderung des Protestantismus auf
seine Fahnen geschrieben hatte. Schon am 7. Sep-
tember brachte die protestantische Gemeinde ihre
Beschwerden vor und forderte, eine der katholi-
schen Kirchen ihr zu übertragen.335) Ihr wurde ge-
antwortet, daß sie kein Anrecht darauf hätte, weil
aus den Unterlagen hervorginge, daß sie im Normal-
jahr 1624 keine Kirche besessen hatte, jetzt aber
Sorge für die Ausübung des Gottesdienstes getra-
gen werde. Ihr Verlangen aber, den Magistrat nur
mit Protestanten zu besetzen, sei „gänzlich intole-
rant, und es würde bey der künftigen Einrichtung
desselben nur auf Rechtschaffenheit und Tüchtig-
keit zum Amte, keinesweges aber auf die Religions-
partey, zu welcher sich das zu erwählende Subject
halte, gesehen werden; und so wenig es geduldet
werden würde, dass blos katholische Mitglieder an-
gestellt würden, eben so wenig könne es zugegeben
werden, dass blos auf Protestanten die Wahl
falle“.336) Nachdem die zuständige preußische Be-
hörde den Wunsch der Protestanten, die Katholi-
ken aus der städtischen Selbstverwaltung herauszu-
drängen, abgeschlagen hatte, entschied 1806 die
Berliner Zentrale, den Wunsch nach einer Kirche
beschleunigt zu erfüllen.337) Auf eine Beschwerde
des katholischen Pfarrers hin bedauerte der Kam-
merpräsident in Heiligenstadt das übereilte Vorge-
hen der Protestanten und die „unangenehme Span-
nung zwischen den katholischen und protestanti-
schen Religionsverwandten“ und sicherte den Ka-
tholiken eine Untersuchung zu, die entscheiden
solle, ob die Katholiken eine Kirche entbehren
könnten oder ob den Protestanten eine neue gebaut
werden müsse.338) Durch Ausmessung der Cyria-
kus-Kirche und Zählung der Gottesdienstbesucher
wurde rasch festgestellt, daß diese größte Kirche
der Stadt den Katholiken völlig ausreiche. Unruhe
und Erbitterung im katholischen Volksteil veran-
laßten den Magistrat, durch öffentlichen Anschlag
31