Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext




der8Landu>M

Erscheint wöchenllich <- Man bestellt bei der
8. Landwehr-Division. 2lrmee-Abt. Gaede
Herausgegeben von der 8. Landw.-Dioiston

rrr. 33

Sonntag, den 2. )uli


Wrke aer S«nel»»che Ser
„MelOeselker!".

I.

Lieber Kamerad und Landsmann I

Wir sind jetzr schon so viele Monate in
derselben Division und können uns doch leider
nur selten sehen, um wie in Friedenszeiten
an der Dreisam zweisam zu schwätzen über
Kleines und Großes. Jch nehme desdalb
einen Fetzen Papier und spitze meinen Bleistift,
während es schon wieder reqnet—ein Sauwetter,
aber es hat keinen Zweck, sich über das Un-
abänderliche zu ärgern, und die Sonne wird
doch ivieder scheinen und des Nachts die
Tttzrne. Weil wir grad' bei den Sternen
sind, sag', hast Du auch von dem neucn
Sternguckerschwindel gehört, von dem Mann
da in Wien, der sich anheischig gemacht hat,
aus der Stellung der Sterne etwas Gewisses
über den Krieg und sein Ende zu berechnen?
Jn den sternen stünd es zu lesen, datz der
Friede akkurat am 17. August geschlossen werde!
Wer's glaubt, zahlt dem „Meldereiter" 1 Mk.
in die Unterstützungskasse. Ziel und Ende
stcht nicht in den Gestirnen — das ist Blöd-
sinn und Aberglauben — sondern höher droben
und tiefer drin.

Du und ich, wir sind keine verrückten
Sterndeuter. Wir sind nüchterne Wirklich-
keitsmenschen. Wir prophezeien nicht vor-
witzig, wir grübeln nicht zwecklos; und un-
überlegt zu schwätzen, in's Blaue hinein zu
urteilen, das hat uns nie gepatzt. Wir fragen
nicht: in welchem Monat wird der Krieg zu
Ende sein? Aber um so eifriger und ernst-
licher besinnen wir uns darüber: was kann
den Krieg verlängern und was ihn verkürzen?
Jst's vielleicht so. datz „die Grotzen" ihn ver-
längern möchten? Der Krieg ist ja ein Prüf-
stein, bringt einigermahen ans Licht und zur
Reife, was in den Menschcn und in Völ-
kern steckt an guten und an bösen Kräften,
offenbart beides in ungeahnter Weise: dah
es Hclden gibt und datz es Schurken gibt.
Teuflische Schurken wären es und kein Galgen
wäre hoch genug, nn dem sie von rechtswegen
baumeln mützten, die, weil sie für sich etwas
dabei herausschlagen können, den Krieg auch
nur einen Tag länger hinausziehen wollten.
Ob in den feindlichen Staaten eine derartige
Satansbrut nistet, daS kann ich nach bestem
Wifsen und Gewiflen weder bejahen noch ver-
neinen. Sicher aber, bombensicher ist, daß
bei uns keiner von drn „Grotzen", er sei nun
Staatsmann oder Heerführer, auch nur mit
rinem Hauch solchen TeufelSgedanken zugäng-
lich wäre.

Wenn die beschloflene ö.Kriegsanleihe kommt,
könnte da und dort eine Stimme raunrn:
»ach waS, daS dient doch nur der Verlängerung
deS KriegeS; da tu ich nicht mehr gerne mit".
Alter Freund, rvie denkst du darüber? Jch
meine, daß wir den Feinden, den Haflern und
Neidern unsereS Volkes keinen größeren Dienst
und Gefallen tun könnten und unserm Volk,
unsern Kindern keinen grötzeren Schaden,
alS wenn wir da versagen wollten. DaS wär r

denen drüben Wafler auf ihre^ Mühlen
und statt den Krieg zu verkürzen,
würden wir in der unverantwortlichsten
und kurzsichtigsten Weise nur dazu beitragen,
ihn zu verlängern. Es bleibt dabei und
darüber sind wir uns so ziemlich alle einig:
„solange die feindlichen Regierungen, unter-
stützt oon ihren Völkern, an dem Stand-
punkte unbedingter Ablehnung jeder Friedens-
verhandlung festhalten, ist der Krieg ein
deutscher Verteidigungskrieg". Da irgendwo,
irgendwie und irgendwann zu erlahmen, wäre
nicht bloß ehr- und gewissenlos, sondern was
ja doch immer zusammengeht, auch ganz und
gar kopflos. Wem es — ich will nicht ein-
inal sagen, um unseres Vaterlandes Grötze,
um unseres Kinderlandcs Zukunft, sondrrn
ganz einfach zunächst um gar nichts anderes
zu tun wäre als um Verkürzung des Krieges,
für den kann es auch bloß in Gedanken
keinen anderen Weg geben als Len Weg des
zielbewutzten, rücksichtslosen, opferbereiten
Durchfechtcns. Darüber, Du alter Kriegs-
kamerad, bedarf es ja zwischen uns und un-
seren Kamcraden nicht vieler Worte.

Jn den Sternen steht kein Datum ge-
schrieben, aber in unserer Brust steht ge-
schrieben: Durch l Und mir ist, als rirfen
die erschütternden Opfer des Fliegerüberfalls
über der Hauptstadt unserer badischen Heimat,
als vereinten sich diese Stimmen von Frauen
und Kindern mit den Stimmen drr Männer
und Helden vor Verdunr Durch!

Mit treuem Kamerndcngrutz

Dein „Meldereiter"


K«! «ineier Viviüoii

M M!

tln!er ivettlicder vschbar.

Zeitgemaße Betrachtuugen.

I. Das Bevölkerungsproblem.

Wer vor nicht langer Zeit die Tages-
zeitungen aufmerksam gelesen hat, der konnte
von einem Vorschlag lesen, den um die
Fortexistenz drr „Grande Nation" besorgte
Patrioten ihrem Vaterland gemacht haben.
Es handelt sich um nichts mehr und nichts
wrniger als um die staatliche Bewilligung von
„Zuchtprämien" oder wenn wir uns mensch-
licher ausdrücken wollen um ErziehungS-
betträge, die den Zweck haben follen, den
Kinderreichtum in Frankreich zu fördern.
Wer die französischen Verhältnisse nur einiger-
matzen kennt, der weiß, daß die Bevölkerungs-
frage schon voc dem Krieg eine Kalamität
bildete. DasWort.Zweikindersystem', das für
Frankreich typisch war, ist wohl jedem ge-
läusig. Jetzt, wo durch den Krirg die Blüte
der Nation in Stärke von fast einer Million
vom Boden weggcfegt, die Nachkommenschaft
ungezählter Familien „abgeschloflen" wurde,
mutz auch für deu grötzten Optimisten fest-
ftehen, daß das Schicksal der Nation besiegelt
ist. Wenn man die Bände betrachtet, die in
den letzten Jahren vor dem Krieg über das
Bevölkerungsproblem geschrieben wurden.

wenn man die nervöse Hast beobachtete, mit
der man in Gelehrtenkreisen über diesenPunkt
diskutierte, wenn man weiter bedenkt, datz
bereits einige Jahre oor Ausbruch des Welt-
kriegs 22 Senatoren, also erfahrene, aus-
gereifte Männer, einen Gesetzentwurf ein-
gebracht hatten, der an die bekannten Gesetze
des Kaisers Augustus im alten Rom zur
Hebung der Kinderzahl erinnert, dann wird
man nicht im Zweifel darüber sein, daß der
Franzose bereits vor dem Krieg erkannt hatte,

! es handele sich um eine Krankheit, die an
seinem Lebensmark zehrt.

Der Stolz des Franzosen war von jeher
seine Armee. Gerade bei ihr aber zeigte sich
die katastrophale Wirkung der Erscheinung.
Während 1872 z. B. die Zahl der zuc Aus-
hebung bereiten Mannschaften nurunwesentlich
variierte, hat sich die Zahl in Deutschland
fast verdoppelt, während sie in Frankreich auf
demselben Niveau stehen blieb.

Ein nur flüchtiges Studium der Statistik
läßt den geradezu erschreckenden Rückgang der
Geburtsziffern erkennen. Und dieser Rückgang
beruhtekeineswegsaufphysiologischenGründen,
sondern auf psychologischen. Es hätten tat-
sächlich mehr Kinder da sein können. Der
schon oben erwähnte Name „Zweikindersystem"
spricht hier für sich srlbst. Bereits im
17. Jahrhundert zeigte sich die Erscheinung bei
Adel und höherer Bürgerschaft. Jm 18.Jahr-
hundert begann sie auch die anderen Schichten
der Bevölkerung zu ergreifen und seit dem
19. Jahrhundert ist ein beständiger Rückgang
der Geburten (ausgenommen 1840 bis 1870)
nachweisbar.

Die Gründe für diese Erscheinung find nicht
allzuschwer zu finden: Auffallend über-
hand nehmen das Junggesellentum
auf der einen, kinderarme Familien
auf der anderen seite Es ist eine
bekannle soziologische Tatsache, daß, wenn die
Fortexistcnz einer Nation gesichert sein soll,
eine Familic durchschnittlich aus 3 Kindern
bestehcn mutz: Je eines um Vater und Mutter
z» ersrtzen, ein drittes als Reserve für den
Wegfall. Wie stand es nun damit vor dem
Krieg in Frankreich? Fast aller Familien,
64 oon 100 hatten 2 Kinder und weniger.
Es würde zu weit führen, hier die Ursachen
für diese Tatsache näher festzustellen. Nur
so viel sei gesagt, daß sie sich hauplsächlich
auf ökonomischem Gebiet bewegen. Enorme
Verteuerung der Lebenshaltung auf der einen,
Nichtbereitioilligkeit auf der anderen Seite,
ich selbst eine Entbehrung aufzuerlegen, lietzen
ür Vicle die Kinder als eine Last erscheinen.
Wo deshalb der Familiensinn noch sehr aus-
geprägt war, wie in der Bretagne, herrschte
reicher Kindersegen; die Eltern sahen hier in
einer zahlreichen Nachkommenschaft die
Sicherung ihrer alten Tage. Auch die Berg-
arbeiterfamilien in Nord-Frankreich zeichneten
ich durch reichen Kindersegen aus. Die Ar-
reiter wissen, daß, solange Bergwerke existieren,
tets Arbriter nötig sind.

Die Gründe für das überhand nehniende
Junggesellentum ergeben sich größten-
teils schon aus dem Gesagten. Nur zwei
 
Annotationen