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Polska Akademia Umieje̜tności <Krakau> / Komisja Historii Sztuki [Hrsg.]; Polska Akademia Nauk <Warschau> / Oddział <Krakau> / Komisja Teorii i Historii Sztuki [Hrsg.]
Folia Historiae Artium — NS: 11.2007(2008)

DOI Artikel:
Boesten-Stengel, Albert: Himmelfahrt und Höllensturz?: Bilderfindung und Typengeschichte in Michelangelos Jüngstem Gericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.20622#0044
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Bilderfindung als Verwandlung

Michelangelos Aufmerksamkeit fur beide The-
men, das christliche und das mythologische, ist
yerbunden durch das, was sich ais eine Beschaftigung
mit formalen Problemen zu erkennen gibt. Bilder-
findung yollzieht sich ais Formverwandlung. Wir
haben das Fliegen der Figuren des Gerichtsbildes ais
ikonographisches Problem kennengelernt. Zuletzt
miissen wir beobachten, wie der Kiinstler selbst
seinen Figuren das Fliegen ohne Fliigel beibrachte.
Michelangelo praktizierte ein Verfahren, das schon
Otto Hettner35 anhand der Zeichnungen rekon-

Wie Michelangelo indessen aus einer aufstei-
genden wiederum eine auf dem Riicken liegende
Figur machte, ist an dem folgenden Beispiel zu
studieren. Zu den Zeichnungen fur Tommaso
de’Cavalieri gehort wahrscheinlich auch das Tityos-
Blatt in Windsor Castle. Die Vorderseite36 (Abb.
5) zeigt den liegenden Riesen Tityos, der dazu ver-
dammt ist, im Tartarus ewige Qualen zu erleiden.
Der Geier friBt an seiner stetig nachwachsenden
Leber. Die Riickseite37 (Abb. 6) weist, um 90 Grad
gedreht, die Skizze zweier Figuren auf, wobei die
linkę, yollstandigere allgemein ais ein Christus, der
dem Grab entsteigt, gedeutet wird. Die Umrisse des

struierte. Mit Hilfe von Schlingen, Schemeln und
Staben nahm das Ateliermodell eine Stand-, Sitz-
oder Liegeposition ein. Aus einem frei gewahlten
Blickwinkel gezeichnet wurde daraus, wenn man
das Skizzenblatt schlieBlich um 70 oder 90 Grad
drehte, die Yorlage einer fliegenden Figur.

35 O. H e 11 n e r, Zeichnerische Gepflogenheiten bei Michelan-
gelo, Monatshefte fur Kunstwissenschaft, 2: 1909, S. 71—87
u. 134-148.

36 Windsor Castle, Royal Library, Inv. 12771recto, schwa-
rze Kreide, 19 X 33 cm; vgl. de Tolnay (wie Anm. 30), Bd. 2,
S. 110, Nr. 345recto.

Oberkorpers dieser Figur decken sich so genau mit
denen des yorderseitig gezeichneten Tityos, daB
seit langem eine direkte Pause angenommen wird.
Strittig ist aber die Reihenfolge. Frederick Hartt
yermutete, daB die Auferstehungszeichnung bereits
um 1517—18 entstanden und hieraus die Figur

37 Windsor Castle, Royal Library, Inv. 12771verso, schwa-
rze Kreide, 33 X 19 cm; vgl. de Tolnay (wie Anm. 30), Bd. 2,
S. 110, Nr. 345verso.

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