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Die heilige Stätte des Apostelgrabes unter der Mittelkuppel, das Bema, war durch eine Stufe, später dann
durch zwei Stufen über den Kirchenboden emporgehoben und durch Schranken vom übrigen Raum getrennt.
In der Mitte stand der Altar unter einem auf vier Säulen ruhenden Baldachin. Im Osten schloß den Platz des
Bema das im Halbrund hochaufragende Synthronon ab; im Westen reihte sich zunächst ein länglicher, gleichfalls
umfriedeter Klerikerraum, sodann ein stattlicher Ambo an.
Das Johannesgrab, an sich sehr viel älter, aber in den Grundplan der Kirche des 6. Jahrhunderts ein-
bezogen, besteht aus einer Gruppe von niedrigen Grabkammern, die sich um eine mittlere unmittelbar unter
dem Altar scharen. Durch eine Schachtöffnung und einen schliefbaren Gang mit ein paar Stufen war die Ver-
bindung zum Bemaboden hergestellt.
Soweit das Wesentliche von der justinianischen Kirchenanlage. War sie nun von Anfang an de iure und
de facto das Werk ihres kaiserlichen Bauherrn oder hat dieser erst im Laufe der Erbauung aktiv eingegriffen,
wobei später die Tradition den ganzen Neubau für ihn in Anspruch nahm? Diese Frage drängt sich auf, wenn
wir versuchen, den doch sehr auffälligen Umstand, daß nur das Langhaus der Kirche Kapitelle mit den kaiser-
lichen Initialen enthält und auch die Ziegeltechnik dort eine andere ist, als in den Kreuzarmen, entsprechend
auszuwerten, wobei die zwei anderen erwähnten Abweichungen noch hinzukommen.
In der Tat liegt es nahe, daraus den Schluß zu ziehen, wie ihn J. Keil vorschlägt, daß nämlich die Ephesier
den Bau bereits als reinen Zentralbau begonnen hatten und dann erst Justinian eingriff, die Hinzufügung des
Langhauses veranlaßte und wohl auch die Kosten trug, welche die Erweiterung des ursprünglichen Projektes
verursachte. Diese Folgerung hat bestimmt sehr viel für sich, da sie alle vorhandenen Verschiedenheiten
berücksichtigt und in einen logischen Zusammenhang miteinander bringt. Freilich schrumpft damit der wirk-
liche geistige und geldliche Anteil Justinians an dem Neubau streng genommen auf die Hinzufügung eines
weiteren Kuppeljoches zusammen, da alles andere ja schon vorher geplant war. Läßt sich eine solche Erklärung
mit der doch ziemlich eindeutigen Überlieferung des Prokop1) noch vereinbaren? Will man in ihr nicht nur
eine oberflächliche Verallgemeinerung oder schönfärbende Übertreibung sehen, die kaum in Betracht kommt,
so müßten wir vielleicht doch noch nach einer anderen Interpretation suchen.
Kann es nicht auch so gewesen sein, daß Justinian von Anfang an planend und finanzierend hinter dem
ganzen Neubau einschließlich der vermerkten Systemänderungen stand, daß aber am Schluß eine erhebliche
Kostenüberschreitung — aus der Praxis kann bestätigt werden, daß eine solche bei derartigen Monumental-
bauten leider nur allzu häufig eintritt, und im Altertum war es sicher nicht anders! — der örtlichen Bauleitung
keinen geringen Kummer bereitete ? Als dann der kaiserliche Bauherr gnädig und großzügig auch dafür auf kam,
hat man dankbar die noch nicht ausgearbeiteten, weil im Bossen versetzten Kapitelle im Erdgeschoß vom
Langhaus seinem und seiner Gemahlin persönlichem Andenken gewidmet. Eine solche Möglichkeit möchte
immerhin hier ebenfalls erwähnt und zur Erörterung gestellt werden. Die für unsere Johanneskirche so charakteri-
stische organische Verbindung aber von Zentralraum und Langhaus, wie sie sich durch Hinzufügung der sechsten
großen Kuppel ergab, im Verein mit der reiferen und reicheren Stützenstellung, mag vielleicht inspiriert worden
sein durch die Planung des Kaisers und seiner Architekten an der Hagia Sophia, die bekanntlich verwandte
Probleme, freilich auf anderer Grundlage und sehr verschiedenem Wege zu lösen versuchte.
Den Mittelpunkt der vor justinianischen Kirche bildete ein Zentralbau etwa in der Größe
der späteren Vierung. Der Raum war von einem schlanken Kreuzgewölbe auf vier hohen Säulen überspannt.
Seitlich schlossen sich breite Gurtbögen an, von mächtigen Eckpfeilern aufsteigend; das Ganze umzog eine starke
Umfassungsmau e r.
Durch Anbauten bekam auch diese frühe Kirchenanlage später einen kreuzförmigen Grundriß mit dem
alten Mausoleum als Vierung. Er war schließlich nicht mehr viel kleiner, als der Neubau des 6. Jahrhunderts.

*) Prokopius Caesariensis, Περί χτισμάτων V ι, 6: ,,Τούτον
δή τον νεών Ιουστινιανός βασιλεύς βράχον τε όντα καί καταπεπονηκότα
τφ μήκει τοϋ χρόνου καθ-ελών ες τό έδαφος, ές τοσόνδε μεΒ-ηρμόσατο
μεγέθ-ους καί κάλλους, ώστε δή, ξυνελόντα είπεΐν, έμφερέστατος καί

παντάπασιν ένάμιλλος τφ ίερφ έστιν, οπερ έν πόλει τη βασιλίδι τοΐς
Άποστόλοις άνέθ-ηκε πάσιν.“ Vgl. auch die bei Sotiriu 1. c. Bd. 7,
1921-22, S. 125 angeführten weiteren Zeugnisse.

Forschungen in Ephesos IV/3

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