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Viertes Kapitel
DER HISTORISCHE QEHALT
DER »HOCHZEIT ZU KANA«
Franz Overbeck fand für das unterirdische Fortleben paganen
Brauchtums in der mittelalterlichen Kirche eine faszinierende Bezeich-
nung, wenn er von einer christlichen »Einbalsamierung« der Antike
spricht. Sein Wortbild ist, gleich einer unheimlichen Maske, von
SAauern des SAeintoten und des SAeinlebendigen erfüllt, ja die ihm
innewohnende Assoziation von RäuAerungen, Salben und balsami-
sAem Ol, von Sarg und Gruftgewölben springt leicht zur Vorstellung
des Nekromanten über, der die Mumien beschwört und zu dämoni-
sAen Auferstehungen entbindet.
BosAs »Kana-HoAzeit« ist solch eine MumienbesAwörung. 'Wohl-
konserviert steht, Stück um Stück in alter Reihenfolge, die Gerät-
schaft: eines sAon seit Jahrhunderten erloschenen, doA in der As Ae
weiterglimmenden Mysteriums auf dem Altar bereit. Die Brust der
Muttergöttin ist noA nicht versiegt, die Spongia des Meeresgrundes
noch niAt ausgetro&net. AuA ist dafür gesorgt, daß in den Ställen
ein schwarzer Eber und ein Schwan für AthonisAe Opfer ständig zur
Verfügung stehen. Sogar die Hunde müssen sich durch ihr gesAecktes
Fell der mitternächtigen Meute der Mondjägerin empfehlen.
LiturgisA streng geordnet, hat der Altardienst eine unleugbar feier-
liAe Würde. AuA steht die Weihehandlung in so voller Offenheit
zur SAau, als ob es siA um einen regulären und erlaubten Kult, statt
um verbotenste Abgöttereien handeln würde. Was sich den Spüraugen
der Inquisition entzog und was selbst ihre Folter schwerliA einem
Angeklagten abgerungen hätte, wird hier von einem Eingeweihten
freiwillig und freimütig an das Tageslicht gestellt. Eine geheime und
so sAwer verpönte SaAe, daß Galgen, SAwert und SAeiterhaufen
darauf stand, in aller UnbedenkliAkeit entsAleiert: diese Paradoxie
gibt dem Gemälde seine singuläre Spannung, deren Intensität auf die
moderne KunstgesAiAte so betäubend wirkte, daß sie von alldem
gar nichts wahrgenommen hat.
Diese Verblendung geht darauf zurück, daß Bosch — »sAon längst
gewohnt der wunderbarsten Dinge« — das Ungeheuerliche mit der
NüAternheit von SelbstverständliAkeiten auszuspreAen pflegt. So
wird hier ein Mysterienverrat von beispiellosem Ausmaß mit
protokollarischer SachliAkeit verübt, als ob es das alltägliche GesAirr
 
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