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Die Zahl der Soldaten scheint nur gering zu sein. Meistens tras man
sie ohne Waffen, oder das Schwert auf den Rücken gebunden, in ganz
kleinen Trupps oder einzeln umherziehend. Ihr Hauptstolz sind riesige
rote Fahnen. Man Pflegt daher auch in China zu fagen: zwanzig
Soldaten, zwanzig Regenschirme, neunzehn Flaggen und eine Flinte.
Auch bei ihnen — wie bei allen andern Chinesen — sah man oft einen
Tierfreund, der statt eines Hundes, wie bei uns, einen Käfig mit einem
Singvogel mitführte, ihn an irgend einem grünen Zweig befestigte
und sich des meist ganz melodischen Gesanges erfreute.
Ein einigermaßen kriegerisches Aussehen Hatteil im Grunde nur
die Reiter in der Umgegend von Peking, die den Kaiser bei Tages-
anbruch nach der Sommerresidenz der Kaiserin-Mutter begleitet hatten
und nun alle auf selbstgewählten Wegen wieder zurücktrabten. Sie
trugen außer dem Schwert noch eine lange Flinte auf dem Rücken.
Die Hähern Offiziere und Beamten fuhren in den dort gebräuchlichen,
voll einem Pferde gezogenen zweirädrigen schweren Karren nach Hause.
Mehrere gute Bekannte des mich begleitenden Herrn stellten sich nach
dortiger Sitte, als hätten sie ihn nicht erkannt, weil die Höflichkeit
beiden Teilen sonst die Pflicht auferlegt Hütte, aus dem schrecklichen
Marterkasten herauszuklettern und sich unter tiefen Verbeugungen nach
dem Befinden aller einzelnen männlichen Familienmitglieder ihres
Bekannten zu erkundigen.
Ich muß gestehen, daß die ungewöhnlich große Zahl ärmlicher
schmutziger Menschen für einen empfindsamen Reisenden, der sich in
der Heimat mit der Hebung des Arbeiterstandes beschäftigt, etwas
Beängstigendes hat. Wie mag man den Menschen als Zugtier vor
deil Wagen spannen und sein Keuchen anhören, wenn er auf lange
Strecken mit galoppierenden Pferden um die Wette rennt? Wie könnte
ein einzelner Privatmann diesen Massen gegenüber den Mut haben,
auch nur einen Versuch zur Besserung ihrer Lage zu unternehmen?
Könntest du in solchem Lande, leben? fragte ich mich. Nun anfangs
bezweifelte ich das, aber man gewöhnt sich all vieles. Während ich
das erste Mal statt der Rickscha einen Pvnywagen wählte, mußte ich
mir bald sagen, daß ich dem Kuli doch nur eine Wohlthat erzeigte,
wenn ich ihn das Geld verdienen ließ, und als ich dann sah, wie die
Rickschaleute mich mit ganz besonderer Vorliebe in ihr Wägelchen zu
nehmen wünschten, weil ich gewöhnlich etwas mehr zahlte und leichter
war als meine Gefährten, so fuhr ich mit jungen kräftigen Leuten später
ganz gern.
Franzius, Kiautschou 4
 
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