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Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang

Rechts wegen zu beschäftigen habe. Darin mag denn Französische Archäologen2 haben zuerst richtig
meine Legitimation liegen, wenn ich es wage, hier erkannt, dass wir es in dieser merkwürdigen Dar-
ais Deuter ins Münster voran zu schreiten. Stellung mit einer Szene aus der Alexandersage zu

Ich führe den freundlichen Leser vor ein Werk, tun haben.
das in dem großen Ganzen unseres Münsters nur Die ungeheuren, weltumstürzenden Taten Äle-
eine sehr bescheidene Rolle spielt. An versteckter xanders des Großen haben nicht bloß das Altertum
Stelle angebracht, in einem Lichte, das an trüben beschäftigt. Wie ein glänzendes Meteor war er un-
Tagen die Figuren kaum erkennen lässt, auch durch verhofft aufgestiegen aus dem kleinen, schon halb
seine Form nicht weiter anziehend, bleibt es gewiss barbarischen Reiche des Vaters, hatte in leuchtender
vielen Besuchern des Gotteshauses ganz verborgen. Bahn den ganzen Himmelsbogen, wie er über der
Von den wenigen aber, die ihm ein genaueres alten Welt sich spannte, durchzogen, um als echter
Zusehen gönnen mögen, wenden wohl die meisten Götterliebling in strahlender Jugend unterzugehen
sich bald kopfschüttelnd weiter, da den seltsamen im endlosen Reiche der Perser. Kein Wunder denn,
Figuren nicht leicht ein Sinn abzugewinnen ist. dass nicht bloß seine Zeit und die nächsten Geschlech-
Wir finden die merkwürdige Darstellung als ter, dass Jahrtausende dieser einzigen Erscheinung
Schmuck eines Portals (Fig. 2), das jetzt zum Durch- bewundernd nachsahen.

gang aus dem südlichen Querschiff nach dem Chor- Denn was dieser Mann getan, das war so außer-
umgang führt, ehemals aber den Eingang zu einer ordentlich, das ging so weit über alles Gewöhnliche
Kapelle bildete, die hier im Erdgeschosse des süd- und Wahrscheinliche hinaus, dass es nur zu begreif-
lichen Hahnenturms eingerichtet und dem h. Niko- lieh ist, wenn die Phantasie späterer Zeiten die
laus geweiht war. Grenze vollends verwischte, sein Tun ins Unge-
Die Figuren sind etwa 22 cm hoch und laufen heuerliche steigerte und den großen König schließ-
als Kapitälschmuck und Fries in etwas mehr als lieh alles vollführen ließ, was eine erregte Einbil-
Manneshöhe zu beiden Seiten des Portals. In fester dungskraft sich in lieblichen oder schreckhaften
Verbindung mit dem ältesten romanischen Teile des Bildern in einer jenseits der Erfahrung gelegenen,
Münsters und gleichzeitig mit diesem entstanden, sozusagen transzendentalen Welt nur immer als mög-
haben sie schon darum immer die Aufmerksamkeit lieh dachte.

der Freunde des Altertums erregt. Aber auch nach Diese Umformung der Geschichte zur Sage hat
dem Inhalte ihrer Darstellung sind sie anziehend wohl früh eingesetzt und ist noch innerhalb der helle-
genug, und fast kein Lehrbuch der Kunstgeschichte nistischen Zeit selbst zu ihrem literarischen Abschluss
des Mittelalters versäumt, sie um dessentwillen zu gekommen in einem großen Roman, über den auch
nennen. Freilich ist es nicht ganz leicht, sie mit spätere Jahrhunderte, soviel sie mit der Alexandersage
einiger Sicherheit zu deuten, und es scheint wohl, sich beschäftigten, materiell nicht mehr hinaus-
dass die mehrfachen Bemühungen darum die hier gingen s. Im 3. Jahrhundert n. Chr. entstand in
gestellte Aufgabe noch nicht so gelöst haben, dass Alexandria jenes Werk, das zunächst anonym oder
nicht ein neuer Versuch sich lohnte1. unter dem Namen des Aristoteles oder Äsop in Um-
Treten wir vor unsere Figuren, so findet schon lauf erscheint; seit dem 15. Jahrhundert wird Kal-
der erste Blick, dass sie zu einer Reihe einzelner listhenes als Verfasser genannt, der Philosoph aus
Szenen sich ordnen, die wir auch einzeln behandeln Olynth, der den König zeitweilig auf seinem Zuge
müssen. Wir beginnen auf der südlichen Seite begleitete, daher man das Buch als Pseudo-Kallisthe-
mit der Darstellung an dem Kapitale rechts, die nes zu bezeichnen pflegt. Hier zeigen sich nun ge-
dem Beschauer zuerst in die Augen fällt. schichtliche Nachrichten zwar allenthalben zu Grunde
Es zeigt sich uns (Fig. 3) in der Mitte eine durch gelegt, aber völlig ins Fabelhafte gezogen. Es wur-
die Krone als König gekennzeichnete menschliche den dabei einerseits die weiten Fahrten des Königs
Gestalt mit am Halse reichgesäumtem Leibrock und unter reichlicher Benützung von Motiven aus der so
darüber geworfenem Mantel. Sie wird aber nur mit beliebten Literatur der griechischen Reiseromane aufs
dem Oberleib sichtbar; die untere Hälfte steckt in bunteste ausgeschmückt, anderseits aber sichtlich
einem kahnartigen Korbe, an den sich rechts und orientalische Überlieferungen verwertet, in denen
links je ein aufsteigender Greif mit starken Stricken unter Übertragung uralter babylonischer Mythen und
gefesselt zeigt. Die Tiere kehren sich nach außen, jüdischer Messiasprophezeiungen auf Alexander vor-
wenden die Köpfe aber nach rückwärts und oben, züglich dessen Weltimperium herausgearbeitet war.
augenscheinlich angelockt von den hasenartigen Tier- Das Werk hatte seinen großen Erfolg. Nicht
chen an den Spitzen der beiden Stangen, die des nur, dass es viel abgeschrieben, auch wiederholt
Königs Hände emporhalten. umgestaltet und erweitert ward; wir kennen von

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