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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 2.1906

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Panzer, Friedrich: Der romanische Bildfries am südlichen Choreingang des Freiburger Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.2397#0020
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Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang



schwer und vorher gelte es anderes zu lernen. „Sprich

mir nach:

„Ita ja, non nein."
„Gutes Fleisch ohne Bein
Das äße ich gar gerne
Sei's hier oder in Salerne."

Der Meister tadelt die Gefräßigkeit des Schülers,
der aber antwortet trotzig, mit leerem Magen vermöge
niemand etwas zu lernen.

Da sprach der Meister llias

„Du scheinst mir recht ein töricht Aas.

Sprich mir noch mal nach: a b c."

„Ich hätte gern der Lämmer meh

Sein's Schafe oder Geißen."

„Sprich nach, wie wir dich's heißen

Hebe an: a b c."

„Mir ist nach einem Schafe weh."

Der Meister wird ungeduldig und droht mit Prü-
geln. Da nimmt das Wölflein schleunig Reißaus
und kehrt in den heimischen Wald zurück zu den
Eltern, um ihnen die leidvollen Erlebnisse in der
Schule zu klagen.

Da sprach der alte Isengrein:

„Sohn, lass du mir die Schule sein !

Bei mir magst du nun bleiben.

Wir woll'n die Zeit vertreiben

Mit schönster Kurzweile.

Von hier 'ne halbe Meile

Weiß ich dir feiste Rinder,

Die hüten schwache Kinder.

Da lass uns jetzt hintraben.

Den jungen Dorfknaben

Entreißen wir ein Morgenbrot,

Das schützt uns gegen Hungers Not.

Nun gräm dich, Söhnlein, weiter nicht

Und pfeif auf Schul' und Unterricht."

Da sprach der junge Isengrein:

„Ja, solche Lehre geht mir ein!

Ich seh, daß du ein Meister bist.

Du kennst manch alterprobte List.

Jetzt bin ichs worden inne,

Daß alle sieben Sinne

In deinem Geist beschlossen sind.

Vater, ich bin dein folgsam Kind

Und weich in alle Zukunft nicht

Von deinem holden Unterricht."

Wir haben in Deutschland vor diesem Gedichte
keine ausgeführte Darstellung der Geschichte vom
Wolf als Schüler. Sie ist aber in Wahrheit viel älter.
Konnte doch Papst Urban II. in einer Bulle, die er
während seines Aufenthaltes in Frankreich im Jahre
1096 für ein Kloster in Poitiers erließ, auf sie als
eine allgemein bekannte Geschichte anspielen"8. Im
12. Jahrhundert hat die englisch-normannische Dich-
terin Marie de France die Erzählung unter ihren Fa-
beln59 und späterhin begegnet sie öfter in lateinischer
Fassung in französischen und englischen Handschrif-
ten60. Ihre Entstehung muss wohl weit zurückliegen,
da sie auch der orientalischen Überlieferung bekannt
ist. Schon das Anvar-i-Suhaili aus dem 15. Jahr-

hundert erzählt die Fabel vom Wolf, der den Der-
wisch, als er ihm Moral predigen will, sogleich im
Stiche lässt, wie eine Herde Schafe erscheint61, und
auch in „Tausend und eine Nacht" ist die Erzählung
übergegangen62. Die umfangreichste Bearbeitung der
Tiersage in lateinischer Sprache, der sogenannte Ysen-
grimus, von einem geborenen Deutschen um 1148 in
Gent verfasst, enthält zwar nicht genau diese Anekdote,
aber eine sehr verwandte. Dort62 wird dem Wolf,
der ins Kloster getreten ist, mit augenscheinlicher
Episierung des Gleichnisses aus dem 10. Kapitel des
Johannesevangeliums das Hüten der Schafe zuge-
wiesen. Er führt das Amt denn nach seiner Weise;
statt „dominus vobiscum", wie man ihn sagen heißt,
sagt er stets „cominus ovis" („da steht ein Schaf"),
ruft den Schafen statt mit lateinischem „veni" mit deut-
schem „kum" („komm her!"), weil er von früher her
weiß, dass die Schafe doch besser deutsch verstehen,
und statt „amen" sagt er immer „agne" („o Schaf!").
Die gierigen Wortverdrehungen passen aber augen-
scheinlich für den Wolf als Schäfer sehr viel weniger
gut als für den Wolf als Schüler und diese Situation
wird auch vorausgesetzt, wenn in Handschriften des
12. Jahrhunderts mehrfach lateinische Sprichwörter
begegnen64, wie: Cum lupus addiscit psalmos, deside-
rat agnos — „Während der Wolf im Psalter lernt, sehnt
er sich nach Schafen" oder: In discendo lupus nimis
affirmans ait agnus — „Beim Unterricht sagt der Wolf
statt Ja mit allzu großem Eifer: Schaf". Auch deut-
sche Dichter spielen häufig auf die Anekdote an.

ez ist verlorn,

swaz man dem wolf gesagen mac
„pater noster" durch den tac,
wan er spricht doch anders niht
niuwan (außer) „lamp"

sagt Thomasin, der Domherr von Aquileja, um 1216
in seinem welschen Gast6"1, und andere äußern sich
ähnlich; noch Pauli erzählt in seiner großen Anek-
dotensammlung „Schimpf und Ernst" das Geschicht-
chen in etwas erweiterter Gestalt60: Beweise genug
für die allgemeine Bekanntheit und Beliebtheit des
Stoffes.

Unser Freiburger Relief, das denWolf im Mönchs-
kleid erst als unaufmerksamen Schüler bei Erlernung
des Abc, sodann unter den Schlägen des Meisters
dem Unterrichte enteilend zeigt, scheint ja der Er-
zählung des deutschen Gedichtes (das übrigens be-
trächtlich jünger ist als unsere Skulpturen) recht ge-
nau zu entsprechen. Ein Unterschied zeigt sich nur
darin, dass im Relief der Unterricht nicht bloß durch
Vorstellungen vom Schaf gestört wird, sondern wirk-
lich ein Widder erscheint und von dem enteilenden
Wolfe zerrissen wird. Das könnte nun sehr leicht
eine Änderung des Künstlers sein, der eben not-



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