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Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang

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wendig alles ins Sinnliche wandeln musste; recht
wohl aber kann ihm auch schon die literarische Fas-
sung, in der er die Anekdote kannte, hierzu Veran-
lassung gegeben haben.

Unter dem Namen des Dichters Spervogel ist
uns folgender deutsche Spruch des 12. Jahrhunderts
überliefert67:

Ein Wolf und ein kluger Mann

Hüben Schach zu spielen an;

Ein hoher Einsatz winkt als Lohn.

Der Wolf war seines Vaters Sohn,

So mocht's nicht lange dauern:

Es lief ein Widder übern Weg,

Da gab er beide Thürm' um einen Bauern.

Dieser Spruch ist in einer Donaueschinger Hand-
schrift68 in der Weise weiter ausgeführt, dass der
Wolf wirklichen
Unterricht im
Schachspiel er-
hält. Der Lehrer
tadeltihn,dasser
immer über das
Brett weg nach
einem Lamme
schielt und dar-
übertörichteZü-
ge macht; aber
es nützt nichts:
der Wolf „er-
kriphte dazlamp
unde vloch".
Und wie hier
beim Schach-
spiel derWidder

wirklich er-
scheint, muss es nach manchen Varianten wohl auch
beim Unterricht im Lesen gegangen sein. Nur so
konnte Konrad von Würzburg im Trojanerkrieg69
von seinem Achill, der nur Augen für die Geliebte
hat, sagen', er habe wie der Wolf getan, der auch
nur auf das Lamm hinsah, als man ihn in die Schule
brachte und lesen lehren wollte.

Nun ist unser Relief ja auch nicht die einzige
Darstellung der Anekdote in der mittelalterlichen
Kunst, die diesen Vorwurf vielmehr kaum minder
häufig als die Literatur behandelt hat. Dem Frei-
burger Friese ist da vor allem ein Kapital vom Süd-
portale der Stiftskirche in S. Ursanne am Doubs
aufs nächste verwandt. Man findet dort (Fig. 28) die
Geschichte wieder in zwei Szenen dargestellt: zuerst
den Wolf als unaufmerksamen Schüler vor dem
sitzenden Mönch, beide zwischen sich ein auf-

27. Tympanon vom Dome zu Lund.

stimmen aufs genaueste zu der Freiburger Darstel-
lung; dass der Widder in S. Ursanne nicht auch
schon bei der ersten Szene erscheint, ist beinahe der
einzige Unterschied.

Auch eine zweite Darstellung Schweizer Ur-
sprungs zeigt sich der Freiburger nahe verwandt.
Sie findet sich auf einem der sehr bekannten Fliese,
die, aus der Fabrik des Klosters S. Urban im Kan-
ton Luzern stammend, in fast allen historischen Mu-
seen der Schweiz anzutreffen sind70. Die schief ab-
geschnittene, in mehrfachenWiederholungen erhaltene
Platte (Fig. 29) zeigt nur die erste unserer beiden
Szenen, aber augenscheinlich wieder unter Benützung
desselben Schemas. Von besonderem Interesse sind
hier die Beischriften. Das A b c d im Buche ver-
gleicht sich dem
ABC unseres
Frieses.Die übri-
gen Beischriften
aber bieten eine
lehrreiche Pa-
rallelezumYsen-
grimus, indem
auch hier neben
dem lateinischen

„Lupus" und
„Magister" (in

„Herroris"
steckt wohl feh-
lerhafte Wieder-
gabeeinesEigen-

namens71) in
dem „Lamp" das
Deutsche durch-
kum" steht neben

ri

bricht, wie dort das deutsche
„cominus ovis" und „agne".

Die mittelalterliche Kunst Deutschlands hat Dar-
stellungen des gleichen Gegenstands noch an den
Chorschranken des Kölner Doms, sowie an der
Kirche zu Marienhafe in Ostfriesland72 hervorgebracht,
von denen mir Abbildungen leider ebensowenig zu
Gesicht gekommen sind, wie von der anscheinend
einzigen französischen Darstellung am Portal von
Autun73. Mehrfache Beispiele weist Italien auf. Im
Kreuzgang von S. Paolo fuori le mura findet sich
eine gleichsame abgekürzte Darstellung: der Wolf
sitzt ohne Lehrer vor einem Pulte mit aufgeschlage-
nem Buch, während vor ihm das Schaf steht7'. Die
Kathedrale von Parma bietet dagegen die Szene
gleichsam karrikiert; denn hier sitzt der Wolf in der
Mönchskutte, in seinem Buche lesend, einem Esel
geschlagenes Buch haltend, sodann aber den Zog- gegenüber, der, gleichfalls im Mönchshabit und eine
ling auf den Widder sich stürzend und mit ihm ent- Rute in der Hand haltend, hier die Stelle des Lehrers
eilend. Die ganze Anordnung wie alle Einzelheiten vertritt75. Im Buche steht die Inschrift: Est mona-

Freiburger Münsterblätter II, 1. 3

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