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Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang

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33. Fries aus der Krypta des Münsters zu Basel.

ein Drache usw.; die allegorische Absicht aber, die
all diesen Darstellungen innewohnt, ist, den Menschen
im Kampfe gegen den bösen Feind zu zeigen. Nicht
selten geht die Darstellung weiter in Andeutung der
Gefährlichkeit des Kampfes und der Notwendigkeit
göttlicher Hilfe; sie zeigt dann wohl den Menschen
schon von seinem satanischen Gegner bezwungen,
in seine Klauen gedrückt oder schon halb ver-
schlungen in seinem Rachen: er wäre verloren, eilte
nicht Christus auf seinen dringenden Ruf: Salva me ex
ore leonis! (Psalm 21 22), Apprehende arma et scutum
et exsurge in adjutorium mihi! (Psalm 34 a) zu seiner
Rettung herbei. Fig. 36 gibt ein berühmtes Beispiel
einer derartigen dramatischen Darstellung aus dem
Chorumgange des Basler Münsters.

Die seltsamste Darstellung tritt uns nun zum
Schlüsse an dem äußeren linken Kapital (Fig. 37) ent-
gegen. Wir sehen ein langhaariges Meerweib in sitzen-
der Stellung mit angezogenen Beinen und symmetrisch
aufgestellten Fischschwänzen. Es umfasst mit den
Armen sein gleichfalls fischgeschwänztes Kind, das
ihm an der Brust liegt. Das Kind aber hält mit der
linken Hand einen großen, aufwärts strebenden Vogel
vom Aussehen eines Falken oder Raben am Schwänze
fest. Dieser Gruppe naht von links eine ebenfalls
langhaarige und mit einem Fischschwanz zwischen
den Beinen bedachte Gestalt. Sie ist mit einem
Stricke gegürtet und hebt die Rechte mit gestrecktem
Zeige- und Mittelfinger gegen den Vogel empor, wäh-
rend ihre Linke das eine Schwanzende der ersten
Meerfrau zu fassen scheint.

Man hat versucht, auch diese Darstellung aus
der Alexandersage zu deuten92. Es wird nämlich bei
Pseudokallisthenes unmittelbar vor der Greifenfahrt
Alexanders93 erzählt, wie der König zu dem von
ewiger Finsternis bedeckten Lande der Seligen vor-
gedrungen sei. Sein Koch entdeckt dort durch Zu-
fall die zauberische Eigenschaft des Lebensquells,

trinkt selbst davon und gibt einer Tochter Alexanders,
Kaie, zu trinken. Der König missgönnt den beiden,
als er die Sache erfährt, die gewonnene Unsterblich-
keit. Er verstößt die Tochter, die hinfort als Dämon,
Nereide genannt, im Gebirge hausen soll; dem Koch
aber lässt er einen Stein um den Hals hängen und
ihn so ins Meer werfen, wo er nun gleichfalls als
Dämon weiterlebt.

Es ist ganz unmöglich, diese Erzählung in unserer
Gruppe wiederzufinden. Ihre Darstellung passt in
keiner Weise zum Text und wird durch ihn nicht
erklärt. Überdies ist das ganze Geschichtchen dem
abendländischen Mittelalter gar nicht bekannt gewesen,
da es nicht in die lateinischen Bearbeitungen des
Pseudokallisthenes übergegangen ist. Man könnte
eher noch auf den Einfall kommen, dass hier als
Gegenstück zur Greifenfahrt Alexanders Wasserfahrt
dargestellt sei, bei der er die Ungeheuer der Tiefe

TL

34. Aus dem Kreuzgang an der Stiftskirche zu Neuberg
in Steiermark.
 
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