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Panzer, Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang

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Sünde zu deuten liebt;
die Süßigkeit ihres Ge-
sanges ist ebenso
sprichwörtlich wie ihre
Gefährlichkeit und
mancher verliebte
Versemacher beschul-
digt kecklich die Ge-
liebte, dass sie wie die
Sirene an ihm handle,
indem sie mit ihrer
Herrlichkeit ihn an-
ziehe, nur um ihn ret-
tungslos zu verderben.
Auch hat das Aben-
teuer des Odysseus
manchen Spätlingen
unter unsern höfischen
Epikern die Phantasie
befruchtet; nach seinem
Vorbild ließ sich ohne
Mühe ein gefahren-
reiches Abenteuer er-
finden, das der Held
dieser endlosen Epen
neben hundert andern

schadlos durchtau-
melt101. Es ist dabei spasshaft zu sehen, wie die
schlimme Sirene, mit andern Ungeheuerlichkeiten
des Meeres in Beziehung tretend, ins Lebermeer und
neben den Magnetberg gesetzt wird102.

Die mittelalterliche Kunst hat die Sirene auch
außerhalb jeder epischen Situation als Einzelwesen
überaus häufig dargestellt. Nach der antiken Über-
lieferung waren die Sirenen Vögel mit dem Ober-
körper von Frauen. So schildert sie, wie wir gesehen
haben, auch der Physiologus (vgl. auch Fig. 39) und

37. Relief am linken Kapital.

noch Isidor103; so hat auch Herrad von Landsberg sie
dargestellt (Fig. 38). Aber schon in dem Traktat
eines Unbekannten De monstris et beluis, der viel-
leicht noch dem 6. Jahrhundert angehört, wie bei
Alanus ab Insulis verbinden sie weiblichen Ober-
körper mit Fischschwänzen und nach Konrad von
Megenberg, der im 14. Jahrhundert ein „Buch der
Natur" schrieb, zeigte ihr Unterkörper gar beides:
der Oberleib sei der eines Weibes, aber „daz nider
teil an dem tier ist als daz nider teil eins adelarn
und hat daz tier gar scharpf kräuln
an den fuezen und hat ze letzt
ainen swantz mit schüepeln als
ein visch, mit dem swimmt ez in
den wazzern." So hat denn auch
die mittelalterliche Kunst sie am
häufigsten mit menschlichem Ober-
leib und einem oder zwei Fisch-
schwänzen gebildet; nicht zu sel-
ten werden ihnen daneben noch
menschliche Beine zugestanden.
Man wird wohl sagen dürfen, dass
diese Entwicklung sich zum Teil
in Anlehnung an heimische Vor-
stellungen von fischgeschwänzten
Wassernixen vollzogen hat10i, aber

38. Aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg. auch schon der Antike war die
 
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