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EINLEITUNG

Die Ziele, die sich die vorliegende Arbeit zu
geben versucht, waren bereits ein Ergebnis
längerer Untersuchungen, die ihrerseits bei einer
vollständig verschiedenartigen Aufgabe ihren
Ausgangspunkt genommen hatten. Erst vom
Augenblick an, da sich diese Ziele in ungefähren
Umrissen in der Vorstellung zusammenzusetzen
begannen, konnte Gefundenes und noch zu
Findendes zusammengestückt werden, durch
Gesetze, die einen endlichen Kreis dermaßen
ordnend umschlossen, daß alle Lücken in ihm
offensichtlich werden mußten. Dieses Geständ-
nis könnte zu der Annahme verleiten, als ob
sich die nachfolgenden Ausführungen in irgend-
einer Hinsicht Vollständigkeit anmaßten: solchen
Erwartungen tritt schon die Überschrift ent-
gegen. Es handelte sich bei dem eben verwen-
deten Gedankenbild vielmehr um ein abschätzen-
des Überblicken aller denkbaren und möglichen
Fragestellungen, aus denen bestimmte, die in
einem engeren Verhältnis zueinander standen,
ausgewählt wurden.
Die erste, von außen her gestellte Aufgabe
setzte sich zum Ziel, den französischen Einfluß
im Werke des schwäbisch-oberdeutschen Malers
Konrad Witz festzustellen. Langsam weitete sich
die Fragestellung auf Grund des Versuchs einer
scharfen Umreißung der verschiedenen deutschen
und französischen Besonderheiten zu einer grund-
sätzlichen Gegenüberstellung der beiden künst-
lerischen Bekenntnisse. Um der Arbeit einen
festen Mittelpunkt zu geben, wurde dann die
Betonung auf die französische Seite gelegt; die
Verhältnisse in der deutschen Kunst, sowie die-
jenigen in der noch hinzugenommenen italieni-
schen, wurden als fruchtbare und klärende Ver-
gleiche an zweckdienlichen Stellen - ohne beson-
dere Ordnung - beigefügt. Es war kein Zufall, daß
schließlich der französischen Kunst die erste
Aufmerksamkeit zufiel; denn ihr wohnt eine
außerordentlich starke Gesetzmäßigkeit inne, die
jeder grundsätzlichen Betrachtung einladend ent-
gegenkommt.
Die allgemeinen Fragen, denen sich das Inter-
esse zu wandte, waren folgende: i. Was ist das
volkstümlich Besondere im französischen Kunst-

schaffen? 2. Wann ist der Zeitpunkt seines Wer-
dens und seiner Erfüllung? 3. Warum kommt
dieses Besondere zustande? (Welches sind die
entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge ?)
Die beiden ersten Fragen beantworten sich
aus dem Tatsachenmaterial, und zwar ist die
eine absolut, d. h. sie sucht nach einer (mehr
oder weniger) konstanten Größe, die andere
relativ, indem sie die Begrenztheit jener Kon-
stanz festzustellen sucht; die letzte Frage geht
auf die verschiedenen genetischen Voraussetzun-
gen aus, die die vorher gemachten Feststellungen
als Gesamtheit bedingen. Die absolut-konstante
Komponente in der wissenschaftlichen Definition
französicher Besonderheiten ergibt sich aus den
volksmäßig bedingten, die relativ-variable aus
den wirtschaftlich-gesellschaftlich, also zeitlich
bedingten Gesetzmäßigkeiten. Jede der beiden
grundsätzlichen Tatsachenfragen des Was und des
IFiz»» verlangt nach den entsprechenden Erklä-
rungen des Warum. Die Geschichte der künst-
lerischen Entwicklung (und darüber hinaus die
politische und kulturelle Geschichte schlechthin),
die sich einerseits absolut nach Völkern, ander-
seits relativ nach Epochen scheiden läßt, offenbart
sich als das Produkt eines konstanten (trennenden)
volkspsychologischen und eines variablen (verbin-
denden) wirtschaftsgeschichtlichen Faktors. Sie
ist das Ergebnis aus dem Widerstreit von - völ-
kisch bedingtem - Geist und - zeitlich bedingter
- «Materie» (bzw. System der Auswertung der
Materie).
Eine Feststellung - irgendwelcher Art -ist
nur dann von erkenntnismäßigem Wert, wenn
sie sich in ein allgemeingültiges Gesetz kleiden
läßt; die Haupterfordernisse zur Erhebung von
Gesetzmäßigkeiten sind jedoch a) materiell: größt-
mögliche Genauigkeit der Tatsachenfeststellung,
b) geistig: eine objektiv-reale, logisch-deduktive
Erklärung. Was die materielle Ausbeutung der
Unterlagen anbetraf, so war die Untersuchung -
entsprechend der Beschaffenheit des zu behandeln-
den bildlichen Stoffes - an eine systematische Beob-
achtung (und - im Falle der Notwendigkeit oder
Wünschbarkeit - an Messungen) gebunden; die
Erklärung griff - grundsätzlich - auf eine allge-

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