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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0018

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Einleitung

sprochenen Arbeiten zur römischen Hauptraumkunst ist
die einseitige Ausrichtung auf bestimmte formale Qua-
litäten der Bilder. Der in der Nachkriegszeit vollzogene
methodische Schwenk zu Ikonographie und Ikonologie
hat in der Diskussion über römische Palastausstattungen
tiefe Spuren hinterlassen, blieb für die Erforschung der
kirchlichen Dekorationen hingegen weitgehend folgen-
los.23

Eine auf die Bildgegenstände ausgerichtete Lektüre der
Hauptraumdekorationen beginnt dann ergiebig zu wer-
den, wenn man von einer ikonographischen zu einer se-
miologischen Perspektive überwechselt und den Bildern
die Fähigkeit einräumt, eigene Erzählungen über ihre
Gegenstände vorzutragen. Mit neueren Beiträgen einer se-
miotisch orientierten Erzählforschung möchte ich davon
ausgehen, dass Bilder ihre Themen mit genuin „ikoni-
schen" Mitteln umerzählen und ihnen so eine eigene Form
aufprägen.24 Das erste Strukturmerkmal der Bilderbauten,
das es in diesem Sinne ernst zu nehmen gilt, ist die Mehr-
teiligkeit der Bildgegenstände. Die systematische Aus-
wahl mehrerer Bildgegenstände und ihre Kombination im
Ensemble vermögen in der Wahrnehmung der Kirchen-
besucher eine eigene Verknüpfungsebene der Narration
zu stiften.

Das narrative Verknüpfungspotential der Bilderbauten
wurde von der Forschung bislang nicht ernst genommen.
Der Blick auf bildübergreifende Zusammenhänge ist
durch das monofokale Wahrnehmungsraster des Einzel-
bildes verstellt. Entscheidende Impulse zur Erprobung
einer polyfokalen Optik verdankt meine Arbeit den
Untersuchungen Wolfgang Kemps zur christlichen Er-
zählkunst.25 Am Beispiel der mittelalterlichen Sakralkunst
hat Kemp ein genuin komposites Bilddenken herausgear-
beitet: Eine größere Zahl von Bildelementen wurde dort
zu komplexen „Bildsystemen" zusammengefasst, die
nach narrativen Kriterien organisiert sind. Ihren „Bezie-
hungsgrund" fanden die Bildsysteme im heilsgeschicht-
lichen Strukturmodell ihrer Erzählstoffe.2'1 Durch Zu-
sammenschaltung verschiedener „Modi" wurde der Be-
ziehungsreichtum heilsgeschichtlicher Handlungszusam-
menhänge sichtbar gemacht.

Dieses Grundprinzip eines vielteiligen Erzählens in
unterschiedlichen Modi greifen die von mir untersuchten
Bilderbauten in der Neuzeit noch einmal auf. Als eine ers-
te Erklärung für den Kompositcharakter der Erzählung
würde ich Kemps These vom „Beziehungsgrund" auch
für die römische Hauptraumkunst gelten lassen: In we-
sentlichen Zügen sehe ich die spezifische Organisations-
form der Bilderbauten durch das alte Strukturmodell der
Heilsgeschichte motiviert. Doch das Idiom, welches die

Bilderbauten sprechen, ist ein vom neuzeitlichen Para-
digma fiktionaler Bildlichkeit geprägtes: Das Miteinander
der Bilder wird von einer eigenen Ebene der Rahmen-
handlung gesteuert, die unterschiedliche Modi der Bild-
produktion und -präsentation ins Spiel bringt. Bei der
Analyse dieser fiktionalen Dimension stütze ich mich auf
Modelle der semiologischen Erzählforschung, wie sie von
Algirdas Julien Greimas ausgearbeitet wurden.27

Institution

Die historische Fragestellung der Arbeit zielt, wie ein-
gangs angedeutet, auf die Bewertung der „Sprechabsich-
ten" der Bilderbauten. Die von mir vertretene These einer
„institutionellen" Orientierung der Bilderbauten schließt
an neuere Ansätze der Sozial- und Kulturgeschichte an,
die eine Relektüre der historischen Entwicklungen im Eu-
ropa des 16.-18. Jahrhunderts vornehmen. Unter dem
Stichwort „Konfessionalisierung" hat die Geschichtswis-
senschaft zuletzt die unfruchtbare Dichotomie zwischen
den alten Kategorien „Gegenreformation" und „Katholi-
scher Reform" zu überwinden versucht.28 Unterstellt wird
dabei, dass die Verfestigung unterschiedlicher Glaubens-
strömungen zu eigenen Konfessionen auf protestantischer
wie katholischer Seite in prinzipiell vergleichbaren Schrit-
ten ablief. Gesamtgesellschaftlich sei dabei hier wie dort
ein Zuwachs an „Modernisierung" und „Sozialdiszipli-
nierung" erzielt worden. Von Beginn an ist betont worden,
dass sich dieser Prozess als Neu- bzw. Umbau kirchlicher
Institutionen vollzog. Die neuartige Konkurrenz zwischen
den Glaubensgemeinschaften verlangte nicht nur nach
Optimierung organisatorischer Strukturen, sondern auch
nach Schärfung kirchlicher Identität. Rom erfuhr dabei ei-
ne entscheidende Aufwertung als das eine Zentrum der
katholischen Christenheit. Dass unter diesen Vorzeichen
gerade die römischen Kirchen als ein Forum institutionel-
len Handelns gefordert waren, leuchtet unmittelbar ein.
Die Bilder waren aus dieser Perspektive erst einmal ein
Differenzmedium, das den Gotteshäusern ein spezifisch
katholisches Gesicht verleihen konnte. Darüber hinaus
aber vermochten sie andere, weiter reichende Aufgaben
symbolischer „Selbstrepräsentation" zu übernehmen, de-
nen Karl-Siegbert Rehberg eine konstitutive Rolle bei der
Stabilisierung von Institutionen beimisst:29

„Die [...] vorgeschlagene institutionelle Analyse [...] [geht] nicht
von fixen Ordnungen aus [...], sondern von Ordnungsbehaup-
tungen, nicht von unbefragten Geltungen, sondern von Gel-
tungsansprüchen, nicht von institutionellen Normerfüllungen,
sondern von Handlungs- und Rollenstilisierungen. Damit wer-
den die institutionellen Mechanismen immer auch mit Vorgän-
gen der Fiktionalisierung verbunden [...]."30

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