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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0061

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Erster Teil - Bilderbauten in römischen Kirchen - Erzählebenen, Raumbindung, Rahmenhandlung

menhandlung der Bilderbauten im Hinblick auf das ein- dung der Jesuiten, nun auch ihre zweitwichtigste römi-

gangs aufgeworfene Koordinationsproblem der Erzäh- sehe Kirche ausmalen zu lassen, mitgespielt zu haben. Ein

lung einschlägt: Für die Koordination des historischen Re- 1688 erstelltes Memorandum der Ordensleitung stellt da-

gisters wird durch die fiktionale Aufteilung in mehrere zu folgende Überlegungen an:

Artefakte eine Kooperation menschlicher Auftraggeber* ^ Ualtre chiese prmcipali sono adornate o s'adornano comunque

und Bildkünstler* verantwortlich gemacht. Die Anteile appena finite, e perche questa non dovrä mai similmente ador-

dieser beiden Sprecherpositionen an der Produktion der narsi? La bianchezza non e la principale vaghezza delle chie-
Artefakte müssen im Rahmen dieser Fiktion nicht näher

bestimmbar sein. Entscheidend ist die Präsentationsleistung Ahnlich hätte zur Zeit der Dekoration von San Girola-

des Auftraggebers*, der arazzi und quadri an einer be- mo kein kirchlicher Auftraggeber argumentieren können,

stimmten Stelle in einer bestimmten Kirche in einer be- Das Memorandum der Jesuiten gibt somit Auskunft über

stimmten Anordnung hat anbringen lassen. Die Aktivität einen Konkurrenzdruck unter den verschiedenen kirch-

der Himmelshelfer*, die sich selbst in der Präsentation der liehen Institutionen und über eine Erwartungshaltung

Artefakte engagieren, belohnt in erster Hinsicht diese Prä- der römischen Öffentlichkeit, die sich seit 1580 langsam

sentationsleistung des Auftraggebers* und erst in zweiter hatten festigen können. Das Memorandum zeigt aber

Hinsicht die von den Bildkünstlern* mitverantwortete auch, dass selbst um 1680 noch jede Bildausstattung einer

Produktionsleistung. gesonderten Initiative der Auftraggeber bedurfte. Einen

Automatismus der Ausmalung und Ausstuckierung von
Kirchen hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben, auch keine
verbindlichen Normen der Themenwahl, der Disposition
und der Ausdehnung von Bildensembles. Das bestätigt

Das zweite Beispiel des Kapitels führt in einem Zeit- auch die Entstehungsgeschichte von Pozzos Fresken: Die

sprung von gut einem Jahrhundert an das Ende der von Rechnungsbücher der Kirche berichten von einem über-

mir diskutierten Periode. Die Rede ist von der Jesuiten- aus verwickelten Ausführungsprozess in mehreren Pha-

kirche SantTgnazio, dem Gotteshaus des Collegio Romano. sen. Immer wieder blieb Pozzos Arbeit für längere Zeit

Die Errichtung des monumentalen Wandpfeilerbaus ganz liegen. Bereits fertig gestellte Abschnitte wurden am

2.2. Artefakt und Erscheinung.
Sant'lgnazio/1

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nach Entwürfen des Ordensarchitekten Orazio Grassi war Ende noch einmal völlig neu dekoriert.
1626 mit großem Ehrgeiz begonnen worden. Mittel für Alles hatte drei Jahre vor dem zitierten Memorandum
Bau und Ausstattung hatte Kardinal Ludovico Ludovisi damit begonnen, dass Pozzo den Auftrag zur Ausstattung
bereitgestellt. Er war als Nepote Gregors XV. zu Geld ge- von Vierung und Chor erhielt. Mit einer auf Leinwand ge-
kommen, des gleichen Papstes, der 1622 die Heiligspre- malten Scheinkuppel schloss der Künstler den bis dato of-
chung des jesuitischen Ordensgründers vollzogen hatte. fenen Kuppelring, die Pendentifzwickel freskierte er mit
Wegen finanzieller und anderer Schwierigkeiten nach alttestamentlichen Motiven aus (Abb. 44). Kurz darauf
dem frühen Tod Ludovicos sollten die Bauarbeiten je- machte Pozzo sich an die Ausstattung des Chorabschnitts
doch knapp sechs Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die in mit einem „kleinen Ignatiuszyklus", der bis 1688 fertig ge-
der Folgezeit realisierte Ausstattung der Kirche mit einem stellt war. Geblieben sind davon das Fresko im Vorchor
monumentalen Freskenzyklus finanzierte der Orden dann (Schlacht von Pamplona) und weite Teile des Freskos in der
aus eigener Kasse. Die Jesuiten legten sie in die Hände des

Oberitalieners Andrea Pozzo, selbst Mitglied der Societas
Jesu (Abb. 42-43).m

Als die Jesuiten das Freskenprojekt in Auftrag gaben,
war ein großer Teil der neuzeitlichen römischen Kirchen
bereits mit monumentalen Bildensembles dekoriert. Ins-
besondere die neuen Reformorden, zu denen die Jesuiten
gehörten, hatten ihre großen Gotteshäuser nach und nach
in Bilderbauten umgewandelt: Den Anfang hatten, wie ge-
sehen, die Theatiner in Sant'Andrea della Valle gemacht,
gefolgt von den Oratorianern in der Chiesa Nuova und
von den Jesuiten in ihrer eigenen Mutterkirche, dem Ge-
sü.120 Diese veränderte Situation scheint bei der Entschei-

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42. Sant'Ignazio, Grundriss



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