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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0379

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Rahmenbedarf. Kultbilder und ihr narrativer Kordon

fängt. Mitten über dem offenen Kuppelrund scheint die
schwere Steinkonstruktion zu schweben und dabei ge-
krönt zu werden. Ihre Schwebekraft schöpft sich aus der
im Okulus sichtbar werdenden Geist-Taube, dem großen
Schirm-Zeichen der Kirche. Mit der schwebenden Laterne
vollzieht sich eine immerwährende Krönung der „Neuen
Kirche" im doppelten Sinne von Ecclesia und Gotteshaus.
Der Scheitel der Kuppelausmalung hält damit ein ent-
scheidendes Bindeglied zwischen dem schwebenden Bal-
ken (Langhaus) und der Krönung der „Balkenträgerin"
(Apsis) bereit. Der Zwist zwischen Christus und Gottva-
ter ist durch die dritte göttliche Person immer schon zu-
gunsten der Neuen Kirche vorentschieden.

Deckenbild und Einsturzgefahr

Wenn wir an dieser Stelle an den Ausgangspunkt unseres
Rundgangs zurückkehren, dann kann man sich des Ein-
drucks nicht erwehren, dass Rahmung II den Stellenwert
des Kultbildes insgesamt zurückfährt: In der Wundersze-
ne ist das Bild unsichtbar, in der Apsis überfliegt Maria
selbst ihr Bild, in der Kuppel überfliegt die Trinität Maria.
Dieser Eindruck einer „Deckelung" durch die Deckenbil-
der kann revidiert werden, wenn wir abschließend einen
Blick auf das Langhausbild werfen (Abb. 335-37). Die Rah-
menhandlung des Langhausfreskos, so hatte ich oben be-
reits angedeutet, steht in deutlicher Analogie zur Rah-
menhandlung des Hochaltarretabels. Auch Cortonas qua-
dro riportato schwebt - von einer fiktiven Levitation erfasst
- an der Decke der Kirche. In seinem Schwebezustand
und in seiner längsovalen Form ähnelt es dem Kultbild
auf dem Hochaltar. Innerhalb des Rahmens wird die Pro-
tagonistin des Kultbildes von Engeln und Wolken noch-
mals in schwebender Position bildhaft gerahmt. Ausge-
hend von diesen Beobachtungen kann man versuchen, auf
die Frage nach dem Ort des Kultbildes in der Erzählung
des Deckenbildes eine Antwort zu geben.

Auf einer ersten Stufe lässt sich die Marienfigur des
Freskos als die narrativ aktivierte Hauptfigur des Gna-
denbildes betrachten. Indem Maria die bildhafte Einfas-
sung des Puttenkranzes durchstößt, fängt diese Vision
der Madonna an zu handeln. Wie Schöne bemerkte, hat
Cortona die Marienfigur gegenüber den irdischen Akteu-
ren des quadro spürbar vergrößert.920 Schöne sah darin -
wie auch im leichten da sotto in su der Akteure und der Ar-
chitektur - eine Rezeptionsvorgabe, die einen schrägsich-
tigen Betrachterstandpunkt einfordere (Abb. 335-36). Von
einem Standpunkt am Eingang des Mittelschiffs gewinnt
die obere Bildzone mit ihren Schwebefiguren an fiktiver
Dynamik, an Beweglichkeit und Dreidimensionalität

gegenüber der Planimetrie des Bildfeldes, in welcher die
untere Bildzone befangen bleibt. Transzendentes und ir-
disches Geschehen koppeln sich voneinander los, die Ma-
rienerscheinung wird frei für eine immerwährende Aktu-
alisierung ihrer selbst.

„Wir lesen das Deckenbild auf diese Weise [...] nicht nur optisch
von Maria aus, sondern wir erfahren das dargestellte Wunder
leibhaftig von ihr aus, sind mit ihr, es ist 'unsere' Maria, die da
schwebt und deren Gnadenstrom der fern unten kniende Heili-
ge empfängt."921

In einer schrägsichtigen Position gegenüber dem Lang-
hausfresko rückt Maria nah an die Ebene der Malfläche
heran. Der gemalte Balken liegt dann auf einer Ebene mit
der Achse der gebauten Gurte außerhalb des quadro, die
gemalte Maria erscheint als eine direkte Verwandte der
stuckierten Trägerengel. An diesem Punkt kann es in der
Projektionstätigkeit der Kirchenbesucher zu einem „Kurz-
schluss" zwischen Rahmenhandlung und erzählter Ge-
schichte kommen, der die eben zitierte Aussage in einem
noch weitreichenderen Sinne einlöst als Schöne selbst dies
annahm: Gemeinsam von Innen und von Außen stüt-
zend, scheinen Maria und die Trägerengel das Dach des
Neubaus der Kirche vor einem möglichen Einsturz zu be-
wahren. Eine monumental vergrößerte „Tochter" des Gna-
denbildes schwebt an der Wölbfläche und trägt die Dach-
konstruktion des Kirchenraums. Von der Dargestellten
selbst wie von den Trägerengeln wird diese „Tochter" dy-
namisch aktiviert und in ein lebendiges, handelndes Bild
transformiert. Vier Putten in den Zwickeln des Rahmens
geben einen ironischen Kommentar zu dieser fiktiven Ret-
tung des aktuellen Kirchenbaus ab: Sie haben dauerhaft
das Messgerät in Verwahrung genommen, welches in der
Geschichte vom Priester in Sicherheit gebracht wird.

Fazit

Die narrative Einfassung von Kultbildern kann mit Blick
auf die Chiesa Nuova als eines der besonders ergiebigen
Themenfelder der Bilderbauten bewertet werden. Aber
welches sind die wichtigsten Elemente, die diese Praxis
prägten, gerade wenn man versucht, der Unterschied-
lichkeit der beiden zuletzt analysierten Beispiele Rech-
nung zu tragen? Die Beantwortung dieser Frage wird er-
schwert durch unsere lückenhafte Kenntnis älterer Ein-
fassungspraktiken von Kultbildern, die auf Einzelfällen
wie Santa Maria Maggiore oder Santa Maria in Aracoeli
basiert. Ausgehend von dieser punktuellen Vergleichs-
basis lassen sich vorläufig folgende Charakteristika angeben:
Die typisch mittelalterliche Präsentationsform von Kult-
bildern war ein häufig exzentrisch postiertes Ziborium. Im

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