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Ganz, David
Barocke Bilderbauten: Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen 1580 - 1700 — Petersberg, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.13166#0380

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Vierter Teil - Thematische Präferenzen. Auswahl und Transformation der Erzählstoffe

Gegensatz dazu sorgten die Bilderbauten für eine zentra-
le Aufstellung der Kultbilder, die materiell in den Haupt-
altar der Kirche integriert wurden. Als primärer kultischer
Kontext der verehrten Bilder trat die Messfeier an die
Stelle der im Mittelalter so wichtigen Festprozessionen.422

Die zentrale Aufstellung am Endpunkt der Mittelachse
vervielfachte und verstärkte die Anschlussmöglichkeiten
für eine visuelle Vernetzung der Kultbilder mit dem übri-
gen Bildprogramm der Kirche, das nun erst eigentlich die
Funktion einer „Rahmung" übernehmen konnte. Der ent-
scheidende Faktor ist dabei die Ausdifferenzierung von
zwei Fiktionsebenen der Bilderzählung, mit der die mittel-
alterlichen Bildkünstler noch nicht operierten. Die Schei-
dung in materielle und immaterielle, artifizielle und divi-
ne Bildanteile hält den Betrachtern den doppelten Bild-
status der Kultbilder vor Augen. Die Vermittelbarkeit bei-
der Bildformen wird in der Madonna dei Monti wie in der
Chiesa Nuova durch die visuelle Evidenz von „Projek-
tionswundern" an den Langhausdecken suggeriert: Die
transzendenten Protagonisten gerahmter Historien schei-
nen sich bei schrägsichtiger Betrachtung aus der Bildflä-
che zu lösen und virtuell frei im Raum zu schweben. Die
optische Erfahrung dieses Kippeffekts soll von Kirchen-
besuchern als Beweis dafür anerkannt werden, dass eine
tatsächliche Verlebendigung toter Artefakte durch göttli-
che Einwirkung möglich wäre.

Über den Auftritt plastischer Himmelshelfer* wird die-
se Demonstration mirakulöser Bildmacht zu einer Bestä-
tigung für die Erzählleistung der auftraggebenden Insti-
tutionen ausgeweitet. Denn das Fresko an der Langhaus-
decke ist in beiden Fällen als im kirchlichen Auftrag her-
gestellte Erzählung eines historischen Ereignisses ausge-
wiesen. Die projektive Verlebendigung der schwebenden
Christus- bzw. Marienfigur ist in einen Kontext der Pro-
duktion und Präsentation heilsgeschichtlicher Bilder ein-
gebunden. Die Präsenz der Rahmenengel prämiert folg-
lich die Fähigkeit der Kirche, göttliche Wunderkraft in ei-
nem menschlichen Artefakt einzufangen. Die institutio-
nelle Kontrolle über das Kultbild wird als eigene System-
stelle im Verkehr zwischen dem Himmel und den Gläu-
bigen thematisiert.

Im Gegenzug bleibt zu fragen, ob die Aufspaltung in
zweierlei Bilder nicht dazu beiträgt, die Wirkmacht der
Kultbilder zu untergraben. Primäres Vergleichsmoment
für das Wirkpotential des Kultbildes ist Gottes Fähigkeit,
immaterielle Bilder zu projizieren. In der Rahmung der
Bilderbauten ist ein Kultbild somit dazu verurteilt, die ei-
gentlich göttlichen Bilder erst noch freizusetzen, um seine
wunderbare Kraft unter Beweis zu stellen. Die von Gott
gebildeten Erscheinungen transzendieren jede Bindung an
ein materielles Substrat. Lediglich die Ausstattung der
Madonna dei Monti rekurriert auf Akte materieller Bild-
produktion als „ikonisches" Vergleichsmoment: Der Auf-
fahrt des himmelfahrenden Christus steht dort die Inkar-
nation im Körper Annas und Mariens gegenüber. Eine sol-
che Aufladung gerade der gerahmten Historien kollidier-
te jedoch mit dem Bemühen der Bilderbauten, die göttli-
che Bildproduktion als einen Vorgang der Entgrenzung
von der menschlichen Bildproduktion abzuheben.

Mit der Schwächung der materiellen Wirkkomponente,
so scheint es, ging auch eine Schwächung des historischen
Registers innerhalb der Bilderzählung einher. Während in
der Madonna dei Monti sehr stark auf die Verbindlichkeit
der heilsgeschichtlichen Ereignisse aus dem Leben Ma-
riens gesetzt wurde, ruht in der Chiesa Nuova die gesam-
te Last des Historischen auf dem Fresko des Stützwunders.
Dieses aber droht in der Fülle seiner visuellen Bezüge mit
einer hohen metaphorischen Aufladung überfrachtet zu
werden: Ein einzelnes Datum der Vita Filippo Neris wird
kraft projektiver Aktualisierung für allgemeinere Aussagen
(Kirchenreform, Anteil Mariens am Heilsgeschehen) in An-
spruch genommen. Die historische Dimension des
Heiligenlebens tritt gegenüber der metaphorischen
Dimension wechselseitiger Bildbezüge in den Hintergrund.

Die Bilanz am Ende fällt somit ähnlich aus wie im Fall der
Symbolerzählungen: Beide Themenfelder florieren in dem
Maß, in dem sie einen Bild-Diskurs ermöglichen, für den die
Struktur der Bilderbauten die besten Voraussetzungen mit-
bringt, beide setzen auf visuelle Erfahrungen des Um-
schlags, der dynamischen Transformation durch Projek-
tionswunder, beide weisen eine starke Tendenz auf, Heils-
geschichte in ein reines Bildgeschehen zu transformieren.

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