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Die Gartenkunst — 30.1917

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Heicke, C.: Die Gärtnerinnenfrage: eine erste Zukunftsfrage
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bisher für die Frauenarbeit vorwiegend in Be-
tracht kommenden Büro- und Ladentätigkeit?
Das junge Mädel sitzt von frischer Luft und
Sonne abgesperrt in nüchterner Räumlichkeit bei
einer Tätigkeit, die wenig anregt. Es ist be-
greiflich, dal? es an alle möglichen andern Dinge
denkt und die Zeit des Arbeitsschlusses — dieser
Ausdruck hat das viel bedeutsamere Feier-
abend fast ganz verdrängt — herbeisehnt. Dann
geht es heim in die reizlose Wohnung, wo kein
Gegengewicht gegen die Tagesarbeit geboten ist,
oder aber zu zweifelhaften Großstadtgenüssen
zumeist in Begleitung eines Gefährten oder
Freundes, der kein anderes Verlangen hat wie
sie selbst: Kino, Cafe und leichte Musik.

Hierauf sind während des ganzen Tages die
Gedanken gerichtet, soweit sie nicht durch die
damit zusammenhängende Frage des Putzes und
der Mode daneben noch in Anspruch genommen
sind.

An dieses Leben ist das Mädchen so gewöhnt,
daß es auch als Frau nichts Besseres verlangt,
da es nichts Besseres kennt. Selbst wenn ihr das
Schicksal einen Gatten zuführt, der höhere An-
sprüche stellt und gar mit dem Vorschlag kommt,
ein Heim außerhalb der Bannmeile der Großstadt
zu gründen, in hübscher Umgebung, mit einem
Gärtchen und andern Annehmlichkeiten, so wird
er kein Verständnis finden und gar ausgelacht
werden. Sie will das oberflächliche Leben der
Großstadt nicht vertauschen mit einem Dasein
draußen, wo ihr alle gewohnten Genüsse fehlen.

Demgegenüber wird ein Mädchen, das statt
öder Schreibmaschinenarbeit sich mit Gartenbau,
seinen Anregungen und Schönheiten vertraut ge-
macht hat, den Gedanken an das eigene Heim
mit Begeisterung aufgreifen, wohl selbst die An-
regung dazu geben. Da kann sie die erworbenen
Kenntnisse verwerten, durch Ausnutzung des
Gartens zum Lebensunterhalt beitragen, die
Kinder, auf deren Zahl da draußen es weniger
wie in den engen Stadtverhältnissen ankommt,
in gesunder Umgebung groß ziehen; sie kann
sparen, weil die Freuden des Lebens im Garten
den Verzicht auf die nichtigen, aber kostspieligen
Großstadtvergnügungen leicht machen.

Und die, die nicht heiraten? Die Möglichkeit,
auf Pachtland einen kleinen Gartenbaubetrieb
einzurichten, von dem Verkauf seiner Erzeug-
nisse den Lebensunterhalt zu bestreiten, dürfte
wohl lockender sein, wie als alte Jungfer im
Schulbetrieb und hinter der Schreibmaschine zu
verkümmern.

Ich bin der Ansicht, daß der Gartenbau un-
seren Frauen gar nicht genug erschlossen und zu-
gänglich gemacht werden kann. Hauswirtschaft

und Gartenbau sind die ureigensten Gebiete der
Frauentätigkeit. Was das Mädchen im Garten-
bau gelernt hat, ist von Wert fürs ganze Leben.
Der Garten soll und muß wieder die Lebens-
grundlage breiter Schichten unseres Volkes wer-
den, wenn es wirklich dauernd gesund bleiben soll.
Wir werden das aber nur dann dauernd
erreichen, wenn wir die Frauen als
verständnisvolle Helferinnen gewin-
nen. Daß dann Gartenkultur, Gartenkunst
blühen und das Leben reizvoll ausgestalten, so-
daß es für viele erst wieder lebenswert wird, ist
keine Frage.

Wer unter diesen Gesichtspunkten die Gärt-
nerinnenfrage betrachtet — es konnte hier nur
ein Bild in flüchtigen Strichen ohne Vertiefung in
den Einzelheiten entworfen werden —, wird ihre
große Zukunftsbedeutung erkennen. Vorbedin-
gung für die Verwirklichung wird zunächst die
Lösung der Ausbildungsfrage sein. Die be-
stehenden Gartenbauschulen für Frauen und
ihre Leiterinnen haben da wertvolle Vorarbeit
geleistet und Erfahrungen gesammelt. Diese
müssen jetzt nutzbar gemacht werden, um die
Ausbildung der Frauen im Gartenbau auf eine
breitere Grundlage zu stellen als seither. Von
grundlegender Wichtigkeit ist es, daß namentlich
die Töchter des Mittelstandes für diesen Frauen-
beruf gewonnen werden. Dementsprechend muß
der Ausbau der Ausbildungsmöglichkeiten er-
folgen.

Wir brauchen nicht nur Gartenbauschulen
für Berufsgärtnerinnen, sondern Gartenbau-
schulen an jedem Orte, die wie Haushaltungs-
schulen den jungen Mädchen Kenntnisse für das
Leben als Hausfrau vermitteln. Es wird dazu
auch die Mitarbeit derjenigen Kreise nötig sein,
die die Anforderungen, die der Gartenbau als
Beruf an seine Hilfskräfte stellt, und die Mög-
lichkeiten, die er den Frauen ganz allgemein
bietet, kennen. Es kann kein Zweifel bestehen,
daß man sich dabei von pädagogischen Eng-
herzigkeiten freizuhalten und eine tunlichst
freie Zukunftsentwickelung ins Auge zu fassen
hat. Hier dürfte der Deutschen Gesellschaft für
Gartenkunst eine wichtige Aufgabe erwachsen.
Die Gesellschaft ist nicht auf die Erfüllung der
Sonderwünsche und Forderungen enger Berufs-
gruppen eingestellt und hat Fühlung mit allen
Kreisen, die an Garten und Gartenkultur be-
teiligt sind. Sie wird klug tun, ihren Einfluß
bei Lösung dieser hochwichtigen Zukunftsfrage
voll einzusetzen; denn vielmehr als: Wer die
Jugend hat, hat die Zukunft, trifft es zu: Wer
die Frauen hat, dem gehört die Zu-
kunft. Heidte.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Gartendirektor Heicke, Frankfurt a. M. Selbstverlag der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst.

Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.
 
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