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Die Gartenkunst — 30.1917

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Engelhardt, Walter von: Zukunftsgedanken in Erinnerung an die Werkbund-Tagung 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.21302#0122

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Seite bei der Formgebung völlige Freiheit des
Künstlers gefordert wird, um so mehr betont die
andere Seite die den Gebrauch bedingenden Um-
stände, die doch auf allen Gebieten angewandter
Kunst die Möglichkeiten der Formgebung be-
grenzen. Freiheitsbeschränkungen machen sich
doch schon in der Malerei und Plastik da geltend,
wo ihre Schöpfungen für besondere Räume be-
stimmt sind und ein Zusammenklang mit einer
vorhandenen Umgebung gefordert werden muß.
Obgleich diese Schranken meist nur künstleri-
scher Natur sind, empfindet sie mancher Künstler
als Hemmnis seines Schaffens. Noch mehr wird
das der Fall sein, wo die vom Nutzungszweck
gezogenen Grenzen den Spielraum merklich ein-
engen, wie auf dem Gebiete der sogenannten
angewandten Kunst (Architektur, Gartenkunst
und Kunstgewerbe). Je höher der Grad des
Zweckes ist, dem der Gegenstand aus diesen Ge-
bieten dienen soll, je tiefer demnach seine Be-
ziehung zu unserem persönlichen Innenleben ist,
um so weiter wird derSpielraumfürdieBetätigung
des Künstlers sein. Je niedriger der Grad des
Zweckes ist, dem der Gegenstand dienen soll, je
mehr er demnach dem mechanischen Apparat
unserer Lebensführung angehört, um so zahl-
reicher und anspruchsvoller treten die Forde-
rungen der Zweckform auf; und damit verengt
sich der Spielraum künstlerischer Möglichkeiten
ganz beträchtlich, bis die Kunstform kaum mehr
mitzuwirken imstande ist. Durch diesen Hinweis
sollte das Ineinandergreifen von Kunstform und
Zweckform gekennzeichnet und der Schluß ge-
zogen werden, daß bei den verschiedenen Ge-
genständen die Rangstufe des Zweckes und seine
mehr oder weniger weitgehende Machtbefugnis
darüber entscheidet, welcher von beiden Formen
die Vorherrschaft gebührt. Von der kunstvoll
geschnitzten Madonna am Altarpfeiler der goti-
schenKirche bis zum zweckvoll gebautenTorpedo-
geschoß im U-Boot können wir die unendlich
vielen Gegenstände, die aus Menschenhand her-
vorgehen, einzeln oder gruppenweise ranggemäß
anordnen. Aus solcher Reihenfolge werden wir
entnehmen, wie sehr es darauf ankommt, die
Bedeutung des Gegenstandes, der entstehen soll,
die Rangstufe, die er im Leben einnehmen soll,
instinktiv oder bewußt zu erfassen, um ihm sinn-
gerechte Gestalt geben zu können. Wer diese
Forderung nicht erfüllt, wird als einseitiger
Künstler unterschiedslos unbeschränkte Vorherr-
schaft der Kunstform ungeachtet der Gebrauchs-
forderung durchsetzen wollen, während der Mann
der Praxis die Nutzungsfähigkeit eines Gegen-
standes als einzigen Wertmaßstab gelten läßt.
Zwischen beiden wird sich ein unversöhnlicher
Zwist entspinnen. Der Künstler wird die Höhe
seines Strebens als Aufstiegsbedingung für das
Leben hervorheben und dem Praktiker den Tief-
stand seiner Zwecke vorhalten; der Praktiker wird

demgegenüber die Wichtigkeit seiner Ziele als
Daseinsbedingungen fürs Leben ins Feld führen
und dem Künstler die UnWichtigkeit seiner Schöp-
fungen nachweisen. Zu einer Einigung beider
kann es nur kommen auf Grund möglichst klarer
Verständigung über die jeweils gestellten Auf-
gaben, für deren gute Lösung die Einfühlung in
jene Rangordnung menschlicher Gebilde eine
unerläßliche Bedingung ist.

Es will mir scheinen, als wenn diese Bedin-
gung heute noch lange nicht ausreichend erfüllt
wird. Die Despotie der Kunstform unterdrückt
noch allzusehr berechtigte Zweckforderungen. Das
läßt sich an vielen Beispielen nachweisen, bei
denen an der Form der Gebilde, ihrer Farben-
gebung, kurz ihrer künstlerischen Wirkung für
das Auge nichts auszusetzen ist, die aber sobald
sie in Gebrauch genommen werden, ihre Mängel
offenbaren. So habe ich viele Gärten von der
Hand namhafter Künstler gesehen, die ihre Auf-
gabe dadurch befriedigend glaubten gelöst zu
haben, daß sie dem Wohnhause einen formal
wohltuenden Rahmen gegeben und Raumwir-
kungen erzielt hatten, die von den Fenstern des
Wohnhauses aus betrachtet, durch farbige Flä-
chenwirkung , durch rhythmische Gliederung der
grünen Heckenarchitektur das Auge erfreuen
sollten. Der Wert einer solchen künstlerischen
Leistung soll hier keineswegs herabgesetzt wer-
den; es soll auch nicht bestritten werden, daß
es gartenkünstlerische Aufgaben geben kann, die
denen der freibildenden Kunst sehr nahe stehen.
In dem angeführten Beispiel aber entdeckt der
Besitzer zu seiner großen Enttäuschung allzu-
schnell, daß der Garten nicht gebrauchsfähig ist.
Es fehlt ein behaglicher Sitzplatz, wo die Familie
sich unter schattenden Bäumen versammeln kann.
Die steifen weißlackierten Bänke in den Taxus-
heckennischen sind dafür nicht geeignet. Sie
müßten sich über Mangel an Kunstsinn beklagen,
wollte man sie je nach dem Sonnenstand von
ihrer angewiesenen Stelle rücken. Es fehlt dem
Garten ferner ein Spiel- und Turnplatz für die
Kinder. Die glatt geschorene, mit blauen und
violetten Blüten umsäumte Rasenfläche vor der
Mitte des Hauses vermag hierfür nicht Ersatz zu
bieten; denn die vornehme Ruhe des feierlichen
Gartenraumes würde man während des lustigen
Kinderspieles nicht genießen können und der
gleichmäßig grüne Teppich bald verdorben sein.
Es fehlt eine Arbeitsstelle und ein Kehrichtraum
für den Gärtner, und überall drängen sich Kunst-
formen auf, ohne auf die Forderungen des Lebens
Rücksicht zu nehmen. Solche Gärten mögen dem
außenstehenden Künstler eine Lust sein; für den
Besitzer und seine Familie werden sie mehr und
mehr zur Last. Das habe ich mehr als einmal
beobachten können. Auch Gartenanlagen in
Krankenanstalten, Erholungsheimen und Laza-
retten, öffentliche Spielplätze in Städten, zoolo-

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