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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 21.1898

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Glück, Gustav; Bénédite, Léonce: Die französische Lithographie der Gegenwart und ihre Meister I, [1]: H. Fantin-Latour, H. Dillon, E. Carrière
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https://doi.org/10.11588/diglit.4070#0031
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Daudet allein dargestellt ist, nicht im Stiche gelassen. Der Kopf Daudets ist nach rechts geneigt,
die langen Haare verlieren sich im Grunde und so ähnlich auch das Bildnis ist, so gibt es uns in
seinem schmerzerfüllten Antlitz, in den feinen, geistvollen, aber von der Krankheit abgezehrten
Zügen ein Bild höheren Leidens, ja fast das Idealbild eines sanft und ergeben leidenden Christus.
Was soll man endlich von dem seltsamen Gesichte Paul Verlaines sagen? Welcher Zauberpinsel
wäre imstande, diesen sonderbaren Kopf wiederzugeben, diese Mischung von Reinheit und
Cynismus, von zärtlicher Liebe, mystischer Religiosität und ergebener Demuth und zugleich von
gemeiner Sinnlichkeit und tiefer Verkommenheit, dieses Antlitz eines blinden Sokrates oder eines
Cyklopen, mit der stumpfen Nase, der kahlen und buckligen Stirn und den tief in den Höhlen
liegenden Augen, die wie in das eigene Innere blicken, diese abgezehrten und entarteten Züge, in
welchen wir die eines Heiligen neben denen eines Satyrs zu erkennen glauben? Carriere hat daraus
ein ergreifendes, phantastisches, übermenschliches Bild gemacht und trotzdem war nie in einem
Bildnisse die Wirklichkeit lebendiger als in dieser ihrer idealen Verklärung.
Wenn schon das Porträt Daudets in der Technik grosse Fortschritte gezeigt hat und der
Künstler darin seiner Mittel vollkommen Herr geworden ist, so erreicht er in dem mächtig und kühn
modellirten Bildnisse Verlaines durch die Schönheit der tiefen, kräftigen Schwärzen in den Augen,
der zarten Halbtöne in Bart und Haaren und der feinen weissen Lichter ein geheimnisvolles Hell-
dunkel, einen Reichthum an Tönen, einen Ausdruck von fast übernatürlichem Leben, Vorzüge, die
das Blatt zu einem der schönsten machen, die unsere Zeit hervorgebracht hat. Es würde allein
genügen, Eugene Carriere in die Reihe der grossten Lithographen der Gegenwart zu stellen.

Leonce Benedite.
 
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