HEINRICH SEUFFERHELD.
Für einen Laien in ästhetischen Dingen — und zu diesen Laien gehört auch der bildende
Künstler — ist es schwer, in allem, was die Kunst betrifft, ein gültiges Urteil abzugeben, ja über-
haupt etwas Stichhältiges zu sagen. Weiß doch der bildende Künstler, mit seltenen Ausnahmen,
selbst nicht, weder was er eigentlich wollte, als er ein Kunstwerk schuf, noch was an seiner
Schöpfung gut ist. Erst dem Ästhetiker ist es gegeben, dies festzustellen und die Intentionen des
Künstlers zu ergründen und zu begründen. Der Künstler bemerkt das mit Erstaunen. Er hat zwar
etwas ganz anderes gefühlt und erstrebt, während er arbeitete, ihm werden ganz entgegengesetzte
Absichten nachträglich unterschoben, aber was ist zu machen, er verhielt sich eben während des
Schöpfungsaktes wie »das Negerkind im Unverstand« und er kann das gütige Geschick preisen,
welches mit Hilfe des Ästhetikers seinem Werke wenigstens post festum die »wohlbegründete
Grundlage, auf der es basieren kann« gibt. Schade, daß diese Arbeitsteilung eingetreten ist. Welch
goldenes Zeitalter würde anbrechen, wenn die Künstler wüßten, was sie wollen, während sie das
Schöne schöpferisch in Erscheinung treten lassen, oder wenn die Ästhetiker etwas könnten von
dem, was sie mit so schönen, erhabenen Worten zu sagen verstehen. Leider müssen wir uns, so
gut es geht, mit dem herrschenden traurigen Zustand abfinden: die einen können was, wissen aber
angeblich nichts, die anderen können nichts, wissen aber angeblich alles.
Doch ich klage über Zustände, die ich nicht ändern kann, statt ohne Furcht und mit recht viel
Tadel über einen Künstler einen ästhetischen Aufsatz zu schreiben.
Ich beginne also mit dem grundlegenden Schema F: der Klassifizierung. Ja, ihr großen Götter,
welche unendlichen Perspektiven öffnen sich auf diesem vielbeackerten, stets neuen Mist
verschlingenden, dornen- und unkrautreichen Gebiet dem denkenden Menschengeist! Man könnte
zunächst dem Künstler überhaupt einen Platz innerhalb des Systems anweisen, wobei man eine
Auswahl unter etwa 12 Klassen hat, von der Historie (Klasse 1) bis zum Stilleben (Klasse 12). Ist
der Künstler Landschafter, so gehört er in Klasse 6, malt er Landschaft mit Figuren, so kommt er
herauf in die Klasse 5, umgekehrt macht der Historienmaler eine Landschaft, dann: fünf herunter
in Klasse 6, eine recht unterhaltende und amüsante Tätigkeit, nebenbei auch von allergrößter
Wichtigkeit, denn welch beruhigendes Bewußtsein, ein klares Verständnis für den Künstler und
sein Werk zu haben, indem man ihn sofort in irgend ein Schubfach unterbringt.
Dann könnte man auch dem Künstler nach dem Material, mit welchem er arbeitet, seinen Platz
anweisen. Früher rangierte der Freskomaler an erster Stelle. Jetzt, wo man die Wände vernünftiger-
weise mehr zu Reklamezwecken benützt, ist diese Kunst ins Hintertreffen geraten. Heute würde
man von der Ölmalerei als höchster Kunst auf einer Reihe von Stufen herabsteigen bis zur Zeichnung.
Diese Einteilung ist jedoch etwas unmodern. Man darf sie zwar jederzeit in der Praxis anwenden,
aber ein anständiger Mensch spricht davon so wenig, wie von seinen Krankheiten. Also schweige
auch ich, aber jeder Gebildete weiß, was er von einem Künstler denkt, der, statt mit schönen Öl-
farben bunt zu malen, die Niedrigkeit der Gesinnung besitzt, nur gewöhnliche Zeichnungen zum
Beispiel mit einem einfachen Bleistift zu machen. Der gehört mit Verachtung gestraft. Glücklicher-
weise bleibt auch die Strafe nicht aus. Auf den Ausstellungen kommen diese farblosen Dinger in
Für einen Laien in ästhetischen Dingen — und zu diesen Laien gehört auch der bildende
Künstler — ist es schwer, in allem, was die Kunst betrifft, ein gültiges Urteil abzugeben, ja über-
haupt etwas Stichhältiges zu sagen. Weiß doch der bildende Künstler, mit seltenen Ausnahmen,
selbst nicht, weder was er eigentlich wollte, als er ein Kunstwerk schuf, noch was an seiner
Schöpfung gut ist. Erst dem Ästhetiker ist es gegeben, dies festzustellen und die Intentionen des
Künstlers zu ergründen und zu begründen. Der Künstler bemerkt das mit Erstaunen. Er hat zwar
etwas ganz anderes gefühlt und erstrebt, während er arbeitete, ihm werden ganz entgegengesetzte
Absichten nachträglich unterschoben, aber was ist zu machen, er verhielt sich eben während des
Schöpfungsaktes wie »das Negerkind im Unverstand« und er kann das gütige Geschick preisen,
welches mit Hilfe des Ästhetikers seinem Werke wenigstens post festum die »wohlbegründete
Grundlage, auf der es basieren kann« gibt. Schade, daß diese Arbeitsteilung eingetreten ist. Welch
goldenes Zeitalter würde anbrechen, wenn die Künstler wüßten, was sie wollen, während sie das
Schöne schöpferisch in Erscheinung treten lassen, oder wenn die Ästhetiker etwas könnten von
dem, was sie mit so schönen, erhabenen Worten zu sagen verstehen. Leider müssen wir uns, so
gut es geht, mit dem herrschenden traurigen Zustand abfinden: die einen können was, wissen aber
angeblich nichts, die anderen können nichts, wissen aber angeblich alles.
Doch ich klage über Zustände, die ich nicht ändern kann, statt ohne Furcht und mit recht viel
Tadel über einen Künstler einen ästhetischen Aufsatz zu schreiben.
Ich beginne also mit dem grundlegenden Schema F: der Klassifizierung. Ja, ihr großen Götter,
welche unendlichen Perspektiven öffnen sich auf diesem vielbeackerten, stets neuen Mist
verschlingenden, dornen- und unkrautreichen Gebiet dem denkenden Menschengeist! Man könnte
zunächst dem Künstler überhaupt einen Platz innerhalb des Systems anweisen, wobei man eine
Auswahl unter etwa 12 Klassen hat, von der Historie (Klasse 1) bis zum Stilleben (Klasse 12). Ist
der Künstler Landschafter, so gehört er in Klasse 6, malt er Landschaft mit Figuren, so kommt er
herauf in die Klasse 5, umgekehrt macht der Historienmaler eine Landschaft, dann: fünf herunter
in Klasse 6, eine recht unterhaltende und amüsante Tätigkeit, nebenbei auch von allergrößter
Wichtigkeit, denn welch beruhigendes Bewußtsein, ein klares Verständnis für den Künstler und
sein Werk zu haben, indem man ihn sofort in irgend ein Schubfach unterbringt.
Dann könnte man auch dem Künstler nach dem Material, mit welchem er arbeitet, seinen Platz
anweisen. Früher rangierte der Freskomaler an erster Stelle. Jetzt, wo man die Wände vernünftiger-
weise mehr zu Reklamezwecken benützt, ist diese Kunst ins Hintertreffen geraten. Heute würde
man von der Ölmalerei als höchster Kunst auf einer Reihe von Stufen herabsteigen bis zur Zeichnung.
Diese Einteilung ist jedoch etwas unmodern. Man darf sie zwar jederzeit in der Praxis anwenden,
aber ein anständiger Mensch spricht davon so wenig, wie von seinen Krankheiten. Also schweige
auch ich, aber jeder Gebildete weiß, was er von einem Künstler denkt, der, statt mit schönen Öl-
farben bunt zu malen, die Niedrigkeit der Gesinnung besitzt, nur gewöhnliche Zeichnungen zum
Beispiel mit einem einfachen Bleistift zu machen. Der gehört mit Verachtung gestraft. Glücklicher-
weise bleibt auch die Strafe nicht aus. Auf den Ausstellungen kommen diese farblosen Dinger in