Diese Herdenbilder könnten gegen die Annahme sprechen, daß dem Tier eine höhere,
individuellere Stellung zukommt als früher. In Wahrheit wirken sie bestätigend. Auf alten
holländischen Bildern führt jedes der Tiere eine bescheidene Sonderexistenz, die Herde ist auf-
gelöst, wirkt aber nicht zusammenhangslos, weil das einzelne Wesen keine eigene Stimmung weckt;
auch werden häufig Tiere von verschiedener Art, etwa Pferde, Ziegen und Kühe auf einem Bilde
vereinigt. In den Herden auf Fikentschers Werken ist ein einziger Wille herrschend, der sie wie
eine Individualität erscheinen läßt, so bei den Kühen im Wasser, bei der Schafherde, die in geschlos-
senem Strome am Waldesrand hinzieht. Dies verbietet, die Gattungen gemischt auftreten zu lassen.
Gelegentlich bildet auch eine Gruppe von Tieren eine gleichmäßige Folie, von der sich um so
stärker ein Wesen mit eigenem Wollen abhebt, wie die Hirsche unter der Schar der Hirschkühe.
Weniger leicht läßt sich der Unterschied in der malerischen Auffassung, welche die Werke
des modernen Künstlers von denen älterer trennt, charakterisieren. Doch darf man sagen, daß ein
Tier Fikentschers flächenhafter wirkt oder umgekehrt ein solches eines holländischen Malers
absichtlicher aus der Umgebung herausmodelliert erscheint. In dem modernen Kunstwerk umfließt
mehr Luft und Licht die Gestalt, die Umrisse sind noch weicher geworden und die Beleuchtung
fällt oft so willkürlich, daß die Form beim ersten Anblick aufgelöst erscheint. Was im allgemeinen
von jeder im Sinne der Plein-air-Malerei sich entwickelnden Kunst gilt: die Freude an differenzierten
Lichtwirkungen, an momentanen Bewegungen, an vorübergehenden, aber eindringlichen Natur-
stimmungen, an Übergangserscheinungen, wie Morgen- und Abenddämmerung, erfüllt auch diese
Kunst. Aus dichtem Nebel erscheint der Hirsch auf der Waldwiese, leuchtender Glanz umfließt
sein Geweih und mit dem hellem Schein dringt die schneidende Stimme durch den Dunst. Oder
er steht abends im hohen Grase, wenn die Sonne hinter dem Gehölz versinkt und badet die er-
hobene Brust im glühenden Abendschein. Am frühen Maimorgen tritt der Rchbock von zartem
Dämmerschein umflossen auf den blühenden Klee, lauschend, ob Menschenschritte seinen Weg stören.
Wenn Fikentscher Nebelstimmungen wiedergibt, zeigt sich seine Fähigkeit, durch Silhouetten
zu wirken, eine Kunst, die verlangt, nur durch den Umriß die Gestalt nach allen Seiten hin
deutlich, charakteristisch und körperlich zum Ausdruck zu bringen. Hier betätigt sich die Freude
am Silhouettenschneiden, die ihn schon als Kind begleitete und später in der Ausstattung der Tier-
märchen von Nathusius eine reizvolle Gestaltung fand, im Sinne der malerischen Auffassung seiner
Kunst. Wie diese bedingt, den Schattenriß weich in den Raum zu stellen, so fordert sie allgemeiner
einen engen Zusammenhang des Tieres mit der landschaftlichen Umgebung. Die Natur ist in
Linien und Charakter dem Tier angepaßt, das von der augenblicklichen Stimmung des Lichtes und
der Farben völlig durchdrungen ist; selbst der Ausdruck des lebenden Wesens deckt sich mit dem
Geist der Landschaft, wie die Krähen starren Blickes auf der Schneedecke sitzen, wie die zwei
Rehe mit großen treuen Augen aus dem blühenden Kornfeld schauen. Während so das Tier auf
der einen Seite bei größerer Individualisierung zu selbständiger Bedeutung gelangt ist, so daß von
der umgebenden Natur nicht mehr, als es um seinetwillen notwendig ist, erscheint, so bewirkt die
malerische Anschauung der Welt, daß es im Naturganzen aufgelöst wird.
Jede echte Kunst steht in innerer Beziehung mit den Bestrebungen der eigenen Zeit; nichts
ist merkwürdiger, als diesen Zusammenhang in einem scheinbar so abliegenden Gebiet wie der
Tiermalerei deutlich vor Augen zu haben. Unsere Zeit will ein reales, von Vorurteilen freies Denken:
der Maler verschönert nicht mehr künstlich die Natur, er will sie geben, wie er sie findet, wahr
und schlicht, vielleicht auch häßlich in einem vergangenen Sinne, aber voll starken Erdgeruches
und innerer Lebenskraft. So bilden anspruchslose Gegenden den Hintergrund auf Bildern unseres
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individuellere Stellung zukommt als früher. In Wahrheit wirken sie bestätigend. Auf alten
holländischen Bildern führt jedes der Tiere eine bescheidene Sonderexistenz, die Herde ist auf-
gelöst, wirkt aber nicht zusammenhangslos, weil das einzelne Wesen keine eigene Stimmung weckt;
auch werden häufig Tiere von verschiedener Art, etwa Pferde, Ziegen und Kühe auf einem Bilde
vereinigt. In den Herden auf Fikentschers Werken ist ein einziger Wille herrschend, der sie wie
eine Individualität erscheinen läßt, so bei den Kühen im Wasser, bei der Schafherde, die in geschlos-
senem Strome am Waldesrand hinzieht. Dies verbietet, die Gattungen gemischt auftreten zu lassen.
Gelegentlich bildet auch eine Gruppe von Tieren eine gleichmäßige Folie, von der sich um so
stärker ein Wesen mit eigenem Wollen abhebt, wie die Hirsche unter der Schar der Hirschkühe.
Weniger leicht läßt sich der Unterschied in der malerischen Auffassung, welche die Werke
des modernen Künstlers von denen älterer trennt, charakterisieren. Doch darf man sagen, daß ein
Tier Fikentschers flächenhafter wirkt oder umgekehrt ein solches eines holländischen Malers
absichtlicher aus der Umgebung herausmodelliert erscheint. In dem modernen Kunstwerk umfließt
mehr Luft und Licht die Gestalt, die Umrisse sind noch weicher geworden und die Beleuchtung
fällt oft so willkürlich, daß die Form beim ersten Anblick aufgelöst erscheint. Was im allgemeinen
von jeder im Sinne der Plein-air-Malerei sich entwickelnden Kunst gilt: die Freude an differenzierten
Lichtwirkungen, an momentanen Bewegungen, an vorübergehenden, aber eindringlichen Natur-
stimmungen, an Übergangserscheinungen, wie Morgen- und Abenddämmerung, erfüllt auch diese
Kunst. Aus dichtem Nebel erscheint der Hirsch auf der Waldwiese, leuchtender Glanz umfließt
sein Geweih und mit dem hellem Schein dringt die schneidende Stimme durch den Dunst. Oder
er steht abends im hohen Grase, wenn die Sonne hinter dem Gehölz versinkt und badet die er-
hobene Brust im glühenden Abendschein. Am frühen Maimorgen tritt der Rchbock von zartem
Dämmerschein umflossen auf den blühenden Klee, lauschend, ob Menschenschritte seinen Weg stören.
Wenn Fikentscher Nebelstimmungen wiedergibt, zeigt sich seine Fähigkeit, durch Silhouetten
zu wirken, eine Kunst, die verlangt, nur durch den Umriß die Gestalt nach allen Seiten hin
deutlich, charakteristisch und körperlich zum Ausdruck zu bringen. Hier betätigt sich die Freude
am Silhouettenschneiden, die ihn schon als Kind begleitete und später in der Ausstattung der Tier-
märchen von Nathusius eine reizvolle Gestaltung fand, im Sinne der malerischen Auffassung seiner
Kunst. Wie diese bedingt, den Schattenriß weich in den Raum zu stellen, so fordert sie allgemeiner
einen engen Zusammenhang des Tieres mit der landschaftlichen Umgebung. Die Natur ist in
Linien und Charakter dem Tier angepaßt, das von der augenblicklichen Stimmung des Lichtes und
der Farben völlig durchdrungen ist; selbst der Ausdruck des lebenden Wesens deckt sich mit dem
Geist der Landschaft, wie die Krähen starren Blickes auf der Schneedecke sitzen, wie die zwei
Rehe mit großen treuen Augen aus dem blühenden Kornfeld schauen. Während so das Tier auf
der einen Seite bei größerer Individualisierung zu selbständiger Bedeutung gelangt ist, so daß von
der umgebenden Natur nicht mehr, als es um seinetwillen notwendig ist, erscheint, so bewirkt die
malerische Anschauung der Welt, daß es im Naturganzen aufgelöst wird.
Jede echte Kunst steht in innerer Beziehung mit den Bestrebungen der eigenen Zeit; nichts
ist merkwürdiger, als diesen Zusammenhang in einem scheinbar so abliegenden Gebiet wie der
Tiermalerei deutlich vor Augen zu haben. Unsere Zeit will ein reales, von Vorurteilen freies Denken:
der Maler verschönert nicht mehr künstlich die Natur, er will sie geben, wie er sie findet, wahr
und schlicht, vielleicht auch häßlich in einem vergangenen Sinne, aber voll starken Erdgeruches
und innerer Lebenskraft. So bilden anspruchslose Gegenden den Hintergrund auf Bildern unseres
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