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einen Schritt weiter. Die Bilder sind reine Phantasie-
schöpfungen, haben mit Naturkopien nichts mehr zu
tun. Das Motiv an sich, besonders das der religiösen
Darstellung, nötigt den Künstler, von innen heraus zu
schaffen. Das körperliche Auge ist bloß Mittel zum
Zweck, nicht mehr Hauptvermittler in der Bildgestaltung.
Das Formale im alten Sinn tritt zurück, die Linie wird
wieder wichtigstes Ausdrucksmittel, sie wird Träger
der künstlerischen Empfindung im buchstäblichen Sinn.
Das Berechnende des nur im Formalen schaffenden
Künstlers weicht dem unmittelbaren Empfindungs-
ausdruck, der sich am stärksten eben in der Linie
äußert. DieseEmpfindungist aliengeistigen Schöpfungen
unserer Zeit eigen, der Musik so gut wie der Literatur
und bildenden Kunst. Sie ist wie die Linie unklar, oft
zerrissen, voll Erregtheit, aber in dumpfer Leidenschaft
befangen, mehr leid- als freudvoll, in sich gekehrt. Die
innere Kraft derLinie, von den Künstlern selbst Dynamik
genannt, steigert sich mit der zunehmenden Entfernung
vom Impressionismus. Zugleich mit der Linie ist auch
der Raum in seiner Bedeutung geändert. Der Raum,
früher greifbar dargestellt und oft Selbstzweck der
Bildkomposition, läßt sich wie die Linie nur empfinden,

Alfred Kubin, Reiterstandbild. Federzeichnung. T_, , . , , . _.. . „, .

die Klarheit weicht einer fürs Auge unmeßbaren Aus-
dehnung. Gegenwartskünstler sprechen oft vom Raumerlebnis, von Raumkurven und Ähnlichem
und meinen eben damit das mystische Leben ihrer Bilderräume. Den äußerlich konstruierten Räumen
der alten Künstler setzen die neuen ihre innerlich geschauten Raumvisionen entgegen. —

Der Wassermann hat neue Pläne, er geht daran, eine eigene Akademie in Salzburg zu gründen,
eine von Wien unabhängige, von modernem Geist geleitete Kunstschule, die im Laufe der Jahre
Öffentlichkeitsrecht erhalten soll. Eine Art freier Arbeitsgemeinschaft. Die Schüler sollen von Salz-
burg oder auswärts kommen, die Lehrer wollen die Künstler des Wassermanns selbst sein. Neben
dem Studium der Natur soll der wichtigste Unterrichtszweig das Studium alter Meister sein. Die
Anfänger sollen in die Kunst eingeführt werden gleich den Lehrlingen der alten Meister, sie sollen
von Grund auf zuerst das Handwerk lernen. Auch der theoretische Unterricht (Kunstgeschichte)
soll nicht fehlen und soll möglichst vielseitig ausgestaltet werden.

Auf die große Gefahr einer solchen ländlichen Kunstschule sei hingewiesen: auf die geistige
Vereinsamung, auf den Mangel an geistigem Verkehr mit den bedeutenden Künstlern anderer Länder.
Dieser Gefahr kann man immerhin einigermaßen begegnen, wenn man die Verbindung mit der Groß-
stadt und auch mit anderen Ländern aufrechthält. Völlige Trennung von der Großstadt aber würde
gerade das Gegenteil von dem erreichen, was der Wassermann anstrebt.

Josef Mühlmann.
 
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