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Hans Figura, Trinity College, Cambridge. Farbige Radierung

Für den Käufer ist Hans Figura in seinen Bildern
Realist, für sich selbst ist er zarter gestimmt, Lyriker.
Beides verträgt sich in ihm harmonisch. Auch sein Stil
vereinigt zwei verschiedene Richtungen zur Einheit:
man kann bei ihm eine durchaus impressionistische
Rechnung mit Valeurs, namentlich mit grauen Ab-
tönungen, feststellen und wird doch daneben fühlen,
daß er mehr Wärme aufbringt als alle Impressionisten.
Nicht die leichtbewegliche, kühlbläuliche oder zart-
grüne Pariser Atmosphäre, nicht die silbergraue Luft-
tönung Hollands und des Rheinlands findet an ihm
ihren Darsteller, sondern die österreichisch stille Land-
schaftsstimmung mit ihrer fast schon östlichen Ver-
langsamung des Lebenstempos, mit allem Zauber
ihrer Ruhe und Unverrückbarkeit des Daseins. Sein
Impressionismus ist also nicht dynamisch und intel-
lektuell, sondern statisch und emotionell. Schon
die Komposition ist auf Ausgleich der Waagrechten
und Senkrechten, der Kurve und Gegenkurve an-
gelegt, atmet also Stille, Beschaulichkeit. Die Farb-
stimmung ist trotz Verwendung heller Töne schwer-
mütig, lastend. Olivgrün und Blaugrau werden nur selten durch ein lebhaft grelles Rot unter-
brochen. Reizvoll ist es zu sehen, wie Figura diese eigenartige österreichische Landschaftsstimmung
mit Erfolg aufs ausländische Motiv überträgt, wie er es dadurch ästhetisch ergiebiger macht.
Freilich kommt diese reizvolle Wirkung in der einfarbigen Wiedergabe nicht zur Geltung.

Der bisherige Lebenslauf dieses Graphikers gibt die Begründung für seinen künstlerischen
Charakter. In den träumerischen Südosten weist seine Kindheit, nach dem betriebsamen nüchternen
Nordwesten führen ihn die Wanderjahre, die ja heute noch nicht abgeschlossen sind. 1898 ist er
als Sohn eines Verkehrsbeamten in einer Kleinstadt Ungarns zur Welt gekommen. Die ersten
Kinderjahre verbringt er in den verschiedenen Stationen der Ostbahnstrecke. 1908 kommt er nach
Wien, besucht die Mittelschule auf der Wieden. Da freut ihn am meisten die Zeichenstunde; ja er
tut ein übriges und arbeitet in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt nach dem Modell. Ein
Schulkollege veranlaßt ihn zu ersten autodidaktischen Versuchen in der Radiertechnik. Doch jäh
greift der Weltkrieg in sein Leben ein, wirft ihn nacheinander an die russische, die italienische Front.
Nach der Heimkehr 1918 beginnt Figura, der realistischen Seite seines Wesens folgend, Medizin
zu studieren. Aber nie und nimmer kann es der Mensch sein, der ihn als Thema interessiert, sei es
in der Wissenschaft, sei es in der Kunst. Den Studenten zieht es hinaus, aus dem Anatomiesaal
fort in die Landschaft, auf Ferienfahrten in die Alpen, in die Wachau; es genügt ihm aber auch ein
Spaziergang durchs heimliche Paradies der vorstädtischen Laubenkolonien in Erdberg und Sim-
mering oder entlang den verträumten Ufern der Alten Donau, deren Bild in seiner Erinnerung nach-
lebt und ihm wieder und wieder vorschwebt, in Venedigs Lagunen, an der Seine und an der Themse.
An der Alten Donau hat er jenes zitternde, schaukelnde Linienspiel der Wasserspiegelung darstellen
gelernt, das uns in seinen späteren Blättern immer wieder begegnet. Und aus Erdberg hat er die
Vorliebe für alte Vorstadtvvinkel behalten.
 
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