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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Eckhardt, Ferdinand: Berliner Graphiker der Nachkriegszeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0039
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an, doch scheint seinem Temperament mehr die Weichheit und das betont Kompositionelle Otto
Müllers, auf den wir hier gleichfalls nicht eingehen, da er seit Jahren in Breslau lebte, zu liegen.
Nach seinen in gröberen Formen gesehenen früheren Arbeiten wird er in der Radierungen-Folge
»Großkraftwerk Klingenberg« (1926) ungeheuer minutiös, ein passionierter Techniker, bildet diese
Technik in einer Anzahl Figurenkompositionen noch weiter und wird schließlich in letzter Zeit in
verschiedenen ein- und mehrfarbigen Lithographien ganz besonders weich.1 Eine Folge von Litho-
graphien brachte 1923 die 3. Kestner-Mappe (Kestner-Ges., Hannover).

Emil Nolde, geboren 1867, dürfte auch auf dem Gebiete der Graphik die stärkste heute
lebende Künstlerpersönlichkeit sein. Schleswig-Holsteiner von Geburt, eignet seinen Arbeiten etwas
von der Schwere des Norddeutschen, aber aus derselben Quelle scheint er auch eine Phantasie mit-
bekommen zu haben, die eigentlich weit über das hinausgeht, was wir gemeinhin so bezeichnen. Seit
Goya wußte kein Künstler Visionen von solcher Stärke durch seine Kunst zu übertragen, die Nerven
des menschlichen Organismus, wie mit Nadeln, an ihren empfindlichsten Stellen zu berühren. Nolde
malt nicht Dinge, sondern Erscheinungen. Er spricht nicht zum Intellekt, sondern zu den Sinnen,
aber nicht zu den leichten, sondern zu denen, die die Wurzeln des Lebens ausmachen. Seine fratzen-
haften Figuren dürfen wir nicht mit dem Maßstabe der Natürlichkeit messen, seine Gemälde sind
keine Kompositionen, weder an Farben noch an Flächen, daher dürfen wir auch nicht mit dem
Wertmesser traditioneller Kunstanschauung an sie herangehen. Seine Kunst ist nur mittels der höchst
unbestimmten Fühlarme des Empfindens zu messen möglich: entweder sie erschüttert oder sie
läßt überhaupt kalt. Darum scheint Nolde so problematisch unter allen anderen Künstlern, von den
einen wird er vergöttert und von den anderen überhaupt nicht anerkannt.

In der Graphik wurzelt Nolde vielleicht noch am stärksten in der Tradition. Aber wie er aus
dem Holzstock Köpfe bildet, indem er die Faser förmlich herausreißt, Prophetenköpfe, und dabei
die Struktur des Grundes und der Faser auswertet, ließe sich beinahe als das Bilden mit Urwelt-
formen bezeichnen. Ähnlich in der Lithographie, wo er die breit fließende Lithographentusche in
ihrem eigensten Charakter verwendet. Am kompliziertesten ist er in der Radierung. Wie die anderen
Maler des Kreises der »Brücke«, dem Nolde zu Anfang kurz angehörte, ätzt er auf die mit leichten
Umrissen bezeichneten Platten den Ton durch Auftragen der Säure mit dem Glaspinsel. In der
Kompliziertheit und in der Verfeinerung dieses Tones liegt das Hauptkönnen Noldescher Radierungen.
Aber dieser Ton gibt nicht in erster Linie malerische, sondern inhaltliehe Werte, wie er es ja auch
in seinen Bildern mit den Farben tut. Der Charakter des Tons, die Struktur, das Temperament ver-
mitteln uns den Inhalt des Dargestellten, und das ist letzten Endes das Substrat des deutschen
Expressionismus, der, in seiner reinsten Form, den Inhalt, unbeschwert von malerischer Tradition, in
ganzer Stärke zum Ausdruck bringt. Über die Persönlichkeit Noldes geben die zu seinem 60. Geburts-
tag im Furche-Verlag erschienenen Briefe Aufschluß. Darin zeigt sich, daß er nicht wie so viele andere
ein Schreier ist, der zu Anfang und Ende immer nur von seiner Kunst spricht, sondern daß er vor
allem ein wertvoller Mensch ist, der sich nur selten und zu ganz wenigen guten Freunden über sein
inneres Erleben äußert. Er verschmäht es aber auch nicht, gegen den Unverstand und gegen die Im-
potenz im Kunstleben führender Persönlichkeiten mit einfachen, aber treffenden Worten vorzugehen.«

Ferdinand Eckhardt.

1 Weitere Folgen: »Dumpfe Trommel und berauschter Gong« (Lithos zu Klabund). Sage von Julian dem Gastfreien (12 I.ithos, Kiepenheuer).

■ Literatur: Den mit zahlreichen Holzschnitten ausgestatteten Oeuvre-Katalog der Xoldeschen Graphik hat Schiefler im Euphorion-Verlag
herausgegeben (Das graphische Werk von E. N. 1910—1925, 1927.) Der erste Band dazu erschien 1910 im Verlag von Julius Bard. — Sauerland,
E.N.,Wolff-Verl.l921. Festschrift für E. N. anläßlich seines 60. Geburtstages, Dresden 1927. Kunst für Alle,1926/27, S. 226ff (K. Weiß). Kunst-
blatt, 1927, S. 289 ff. (Alois J. Schardt).

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