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volkstümlichen des »Starken Baas« Zeugnis
geben. Auch seine 92 Schnitte zu Goethes Ben-
venuto Cellini mußten als Bibliophilendruck er-
scheinen, in diesem Falle vielleicht berechtigt,
weil diese Höhenleistungder Rössingschen Holz-
schnittkunst in ihrer raffinierten Einfachheit und
Größe nicht mehr alslllustrationswerk zu erfassen
ist, sondern als Gestaltungswille, der sich ein
Thema wählt und daraus das freie Kunstwerk
schafft. Dieses freie Schaffen betätigt sich nun
nochmals auf einem Feld, zu dem schon in den
vielen Tierbildern des »Hanne Nute« das Vor-
spiel gegeben ist, in seinen 62 Schnitten zu
Lessings Tierfabeln, die bisher unveröffentlicht
geblieben sind und die ein Höchstmaß von
Charakteristik bei größter Vereinfachung bedeu-
ten. So drängt Rössing immer mehr zum freien
künstlerischen Schaffen hin, losgelöst vom lite-
rarischen Thema. Reisen nach Holland und Paris
hatten mittlerweile seinen künstlerischen Ge-
sichtskreis geweitet, und seine mit immergrößerer
Liebe und Begeisterung gepflogene Betätigung
als Maler kam auch der Entwicklung seines gra-
phischen Werkes zugute. Die Landschaft, in der

Abb. 2. Karl Rössing, Rennstallbesitzer. Originalholzschnitt.

bisher die schöne Gmundner Heimat und das
oberösterreichische Land herrschend waren, wurde durch den mächtigen Eindruck des Meeres und
durch das schöne Stadtbild von Paris bereichert. Seine Lehrtätigkeit hatte ihm viele schöne Erfolge
gebracht, die in den zahlreichen Veröffentlichungen der Rössing-Klasse zum Ausdruck kamen
(vergleiche »Das Zelt«, Zeitschrift des Ehmcke-Kreises, München 1930, Heft 4, »Holzschnitte der
Rössing-Klasse«). Als Dreißigjähriger erhielt er nun 1927 den Professortitel. Seine Persönlichkeit war
jetzt zu reif und zu stark geworden, um sich in der Stoffwahl noch an Fremdes binden zu können;
das Erleben des Kriegsendes und der Nachkriegszeit mit den vielen furchtbaren Enttäuschungen
und mit den vielen Widersprüchen, die um die europäische Seele ringen, haben sein ganzes Wesen
mächtig aufgewühlt, und die grotesken Gegensätzlichkeiten der Zeit wirkten erschütternd und
herausfordernd auf ihn ein. In Goethe und Homer suchte er Zuflucht und Ruhe gegenüber den
kleinen Menschen, die im Chaos der Zeit ihr spukhaftes Unwesen treiben. Und aus dem zürnenden
Ablehnen dieses Spuks entsteht die Holzschnittfolge »Mein Vorurteil gegen diese Zeit«, in der
er die üblen Typen dieser Nachkriegsjahre, die korrupte Journaille, die brettstirnige Justiz, die fort
trompetenden Soldatenspieler, die zum Platzen satten Reichen und all die Macher und Betuer und
die neuen Blüten der Nation im Sport- und Starwesen mit oft michelangelesker Wucht anprangert.
Einige Proben aus dem großen auf 90 Schnitte angewachsenen Werk mögen dies erweisen: Blatt 18,
»Der Pressephotograph bei der Hinrichtung« (Abb. 1), gibt in der Gegenüberstellung des heroischen
Erduldens des an die Wand Gestellten und des commis voyageur der Berichterstattung mit seiner
hastigen Geschäftigkeit, die ihn fast aus der Bildfläche herauswirft, die grause Tragikomik dieser

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