Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]: Die Graphischen Künste (54.1931)

wenn auch dabei das herrliche klare Erlebnis ein totes Puppenspiel geworden wäre. Oder wie
anders wieder der Impressionist des Jahrhundertendes, der aus dem Thema nur die Möglichkeiten
malerischer und zeichnerischer Qualitäten geschöpft hätte. Der Künstler unserer Zeit, der durch
den Zusammenbruch von Autorität und Wissenschaft hindurchgegangen ist in den chaotischen
Jahren seiner Jugend, der stellt das. was mächtig in ihm nach Gestaltung ringt, mit der inneren
Wahrheit seiner Vision ins Bild. Der Bildungsphilister wird zusammenzucken, wenn die Göttin und
Odysseus durch eine Gasse halbmoderner Bauten zur Burg emporsteigen, oder er wird einen Spaß
darin finden wollen. Wer aber die tiefen seelischen Untergründe eines Kunstwerkes mitzufühlen
versteht, der wird diesen göttlichen Dulder und seine hehre Beschützerin erleben und verstehen können.

Rössing hat sich schon in den ersten Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit auch mit der
Radiernadel versucht. Sein Drang nach strenger Form führt ihn aber immer wieder zum Holzschnitt
zurück. Erst seit er sich mehr und mehr der Malerei gewidmet hat und in Holzschnitt und Litho-
graphie immer malerischer geworden ist, nahm er auch die Radiernadel wieder zur Hand. Es
lockte ihn, dem es schien, daß im Schwarz-Weiß nichts Neues mehr zu holen sei, bezeichnender-
weise vor allem die farbige Radierung. In dieser vornehmen Technik kehrt er nun wieder ganz zur
klassischen Ruhe zurück. Das Blatt »Die rote Hose« (Abb. 5) gibt dafür ein gutes Beispiel, soweit
dies ohne Wiedergabe der Farbe möglich ist. Aber die Größe und Ruhe in diesem viel variierten
künstlerischen Thema der ruhenden Frau spricht auch in dieser unvollkommenen Wiedergabe
mächtig zu uns und läßt ganz große Namen zum Vergleich aufklingen, wie Goya und Manet.

Der dreiunddreißigjährige Künstler Karl Rössing steht heute auf einer Höhe des graphischen
Schaffens, die ihn bereits in die erste Reihe der modernen Graphiker stellt, und hat auch im Ölbild
bereits große Erfolge errungen. Wie immer ihn sein Weg weiterführen wird, bei dieser Reinheit
des künstlerischen Wollens, bei dieser strengen Gestaltungskraft und Selbstzucht, bei dieser
mächtigen visionären Sicherheit seines künstlerischen Schadens kann ihn der Weg nur aufwärts
führen. Emil Kugler.

Abb. 5. Karl Rössing. Die rote Hose.

Farbige Radierung.