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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 54.1931

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Haberditzl, Franz Martin; Schwarz, Heinrich: Beiträge zum Werke von Carl Schindler
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https://doi.org/10.11588/diglit.6346#0077
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»Der Postillon« (Kat. Nr. 28), das noch auf der großen
Historischen Kunstausstellung im Jahre 1877 in der
Akademie der bildenden Künste zu sehen war — Graf
Viktor Wimpffen, der das Bild neben vielen anderen
Werken des Künstlers von Schindlers Gönner, Baron
Simon Georg Sina, kurz vorher geerbt hatte, war der
Besitzer — blieb unauffindbar und konnte auch nicht
durch Studien oder zeitgenössische Beschreibungen
vergegenwärtigt werden. Ein kleines Aquarell (Abb. 1),
das wohl als erster quadrierter Bildentwurf für dieses
1840 entstandene Ölgemälde gelten kann und das aus
demselben Besitze stammt, in dem sich auch das Bild
befand, vermag nun doch zumindest die Komposition
des Gemäldes zu rekonstruieren, in dem zum ersten
Male das Motiv auftaucht, das Schindler ein Jahr später
in dem Ölgemälde und in dem Aquarell »Die Hoch-
zeitsfahrt« (Kat. Nr. 13 u. 121) variiert hat: Ein zwei-
spänniger Postwagen fährt, kutschiert vom Postillon,
mit einer lustigen Gesellschaft von Bauernburschen
und Bauernmädchen im Galopp über Land, ein zweiter
Postillon — Lenaus Gedicht, das kurz vorher entstand,
taucht aus der Erinnerung empor — bläst, im Wagen
stehend, in sein Horn, und hinten reitet auf dem aus-
gespannten Sattelpferd ein kleiner Bauernjunge dem
Fuhrwerk nach. Alle Bildelemente der »Hochzeits-
fahrt« scheinen schon in diesem, ein Jahr früher ent-
standenen Werke enthalten gewesen zu sein: das reichbesetzte Fuhrwerk, das im Vordergrund die
ganze Bildbreite einnimmt, der landschaftliche Hintergrund und schließlich die Details, wie der Hund,
der das Fuhrwerk begleitet und die Pferde verbellt, und der kleine Bauernjunge, der in beiden Bildern
die genrehafte Pointe — zuerst als Reiter, dann als Kutscher — zu verkörpern hat. Aber die räumliche
Disposition und den Bildaufbau hat Schindler in dem später entstandenen Bilde verändert und im
Gegensinn umgestaltet.1 Zwei Einzelstudien, die bereits bekannt waren, können nun mit Hilfe des
kleinen Aquarells für dieses Werk des Künstlers in Anspruch genommen werden: die Zeichnung
mit der Rückenfigur eines Postillons (Kat. Nr. 229), die zweifellos als Detailstudie für die Figur des
Kutschers entstand, und die Ölskizze eines Bauernmädchens mit Goldhaube (Kat. Nr. 23), die wohl
in der Gruppe auf dem Rücksitz des Postwagens zur Ausführung gelangte und daher nicht mehr als
Studie für die »Hochzeitsfahrt« gelten kann. Die beiden figuralen Studien — Ölskizze und Bleistift-
zeichnung— und der kleine Aquarellentwurf vermitteln nunmehr auch in großen Zügen die Kenntnis
des letzten bisher gänzlich unbekannten Ölgemäldes aus Schindlers reifer Zeit.

Das unerschöpfliche Werk der Zeichnungen und Aquarelle aber, das unabhängig von den
Ölgemälden entstand, scheint noch lange nicht in seinem ganzen Umfang bekannt zu sein. Denn
immer wieder tauchen solche Arbeiten einzeln und in kleinen Gruppen auf, ergänzen unser Wissen vom

Abb.

Carl Schindler, Ungarische Grenadiere. Bleistiftzeichnung.
15:8'8. Sammlung Dr. Heinrich Schwarz.

1 In der neuen Bildkomposition sind der Dreiecksaufbau der Figuren und die diagonale Tiefenbewegung zugunsten einer, alle wesentlichen
Bildelemente gleichmäßig berücksichtigenden, zur Bildfläche parallel geführten, reliefartigen Anordnung aufgehoben.

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